Universitätsprofessor und Föderalismus-Experte Peter Bußjäger, gebürtiger Vorarlberger, teilt im Gespräch mit Selektiv seine Einschätzungen zur Vorarlberger Landtagswahl: Könnte die FPÖ Platz 1 erringen? Warum ist „leistbares Wohnen“ besonders in Vorarlberg ein heißes Thema? Im Interview geht es außerdem um die umstrittene Bodensee-Schnellstraße S18, Innovationsstärken und die spezielle Situation der Baubranche in Vorarlberg.
Hat das Ergebnis der Nationalratswahl, die Sondierungsgespräche sowie Spekulationen um Regierungsverhandlungen und -konstellationen einen Einfluss auf die Landtagswahl in Vorarlberg?
Peter Bußjäger: Das Ergebnis der Nationalratswahl bestätigt verschiedene Meinungsumfragen und unterlegte Trends in Vorarlberg und hat vielleicht einen verstärkenden Effekt. Demnach ist am Sonntag mit massiven Zugewinnen der FPÖ und ebenso massiven Verlusten der ÖVP zu rechnen.
Hat die FPÖ Vorarlberg Chancen auf den Landeshauptmann oder ist Markus Wallner da gesetzt?
Ich glaube jetzt nicht, dass es der FPÖ gelingen wird, den ersten Platz zu erringen – ausgeschlossen ist es indessen nicht. Das Ergebnis wird wohl jenem von Salzburg ähneln, wo letztlich dann doch ein paar Prozent zwischen der ÖVP und der FPÖ lagen, die den Amtsinhaber Haslauer dann stützten.
Stichwort Salzburg, da ist es ja dann auch zu einer schwarz-blauen Zusammenarbeit gekommen. Wird das schwarz-grüne Modell in Vorarlberg weiterhin präferiert oder denken Sie, dass es nach der Wahl auch zu anderen Konstellationen kommen könnte?
Das wird letztlich auch davon abhängen, wie groß die Verluste der ÖVP und der Grünen sind. Wenn sie gemeinsam nicht mehr die absolute Mehrheit erreichen, dann wirds ohnehin schwierig. Außerdem hätte eine solche Koalition dann doch den Nimbus, dass letztlich zwei Wahlverlierer daran beteiligt wären. Ich würde eine ÖVP-FPÖ-Koalition keineswegs ausschließen. Denn die Frage ist immer, welche Alternativen hat die ÖVP – falls sie stimmenstärkste Partei bleibt – sonst noch? Wenn als einzige Alternative nur noch eine Drei-Parteien-Koalition in Frage käme, dann tippe ich auf eine ÖVP-FPÖ-Zusammenarbeit.
Landeshauptmann Wallner hat im Wahlkampf betont, dass in Vorarlberg das „Klima ein anderes ist“, dass man „gut zusammenarbeitet“ und „kein Ableger von Wien ist, auch in den Parteien nicht“. Warum grenzt man sich da so explizit von Wien ab?
Natürlich gibt es in Vorarlberg eine ganz besondere föderalistische Tradition und einen gelebten Föderalismus, der Gestaltungsmöglichkeiten ausschöpfen und Verantwortung wahrnehmen will. Aber generell muss man bei einer Landtagswahl immer die Eigenständigkeit der Landespolitik betonen. Sonst würde man sich fragen, warum es die eigentliche Landespolitik überhaupt gibt. Die pragmatischere Erklärung wäre, dass man gerade dadurch, dass man sich von Wien abgrenzt, im Fall der ÖVP zu erkennen gibt: Wir partizipieren nicht unbedingt an den Verlusten auf Bundesebene, wir gehen in Vorarlberg von einem maßvolleren Verlust aus.
Das Thema „leistbares Wohnen“ dominiert den Vorarlberger Wahlkampf. Im Osten ist das Thema Wohnen und Flächenwidmung neben dem Bodenverbrauch auch mit teils dubiosen Umwidmungen durch Bürgermeister assoziiert. Auch in Vorarlberg gibt es eine Anklage gegen den Bludenzer Bürgermeister wegen Amtsmissbrauchs und in Feldkirch wurden Bauregeln zugunsten des nächsten Bürgermeisters abgeändert; wie ist das prinzipiell in Vorarlberg?
Es können natürlich immer persönliche Verstrickungen und Interessenkollisionen auftreten, die Vorarlberger sind da nicht besser oder schlechter als der Rest Österreichs. Tatsache ist natürlich, dass der zur Verfügung stehende Baugrund in Vorarlberg besonders knapp ist und wegen der topographischen Verhältnisse nur ein kleiner Teil der Landesfläche überhaupt verbaut werden kann. Da Vorarlberg aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein attraktiver Lebensraum ist, ist der Druck auf diese Grundflächen recht hoch. Leistbares Wohnen ist in Vorarlberg ein besonderes Thema und die Gesetzgebung hat im Raumordnungs- und Grundverkehrsgesetz in den letzten Jahren mehrfach versucht, die Schrauben anzuziehen, um leistbares Wohnen auch zu ermöglichen. Das steht aber dann natürlich wieder in einem gewissen Spannungsverhältnis mit dem Ziel, dass man ja möglichst wenig Boden verbrauchen will. Dieses Spannungsverhältnis ist für eine Region, die grundsätzlich wirtschaftlich attraktiv und damit auch für den Zuzug attraktiv ist, ein besonders schwieriger Spagat.
Um eben Bodenschutz und den Bedarf nach Wohnungen unter einen Hut zu bekommen, gibt es Forderungen, die Raumordnung auf eine überregionale Ebene zu heben und die Bürgermeister etwas in ihrer Entscheidungsmacht zu beschneiden. Wie würden Sie solche Vorhaben beurteilen?
Ich würde die sogenannte örtliche Raumordnung nicht generell den Gemeinden entziehen. Aber es ist unbestritten, dass ein Bedarf daran besteht, dass die überörtliche Raumordnung gestärkt wird, dass also die Widmungsvorgaben für die Gemeinden intensiviert werden. Da muss man ansetzen und das Korsett für die Gemeinden noch enger schnüren, auch wenn einige Gemeinden es schon jetzt sehr schwer haben, überhaupt noch Wohnraum für ihre Einwohnerinnen und Einwohner zu schaffen.
Neben dem Thema „leistbares Wohnen“ spielt auch die „Bodensee Schnellstraße S18“ eine große Rolle im Wahlkampf. Wie steht es denn um die S18 derzeit?
Die S18 ist derzeit in der Schwebe. Bundesministerin Gewessler hat für die S18 einen Planungsstopp verhängt und die Prüfung weiterer Alternativen angeordnet, die jetzt einmal von der ASFINAG so vorgenommen werden müssen. Es wird sich weisen, ob diese Politik nach Bildung einer neuen Bundesregierung so fortgesetzt wird. Die ASFINAG hatte eine Version der S18 favorisiert, die in der Volksbefragung in Lustenau abgelehnt wurde – das hat aber an sich keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen. Sollte also eine neue Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der ASFINAG zum Schluss kommen, dass die S18 weiterverfolgt wird, dann müsste sich die ASFINAG entscheiden: Wird diese sogenannte CP-Variante zur Bewilligung eingereicht? Wenn das der Fall ist, wird die Gemeinde Lustenau natürlich alle Rechtsmittel dagegen ergreifen. Ein solches Verfahren würde sicher eine zweistellige Anzahl von Jahren in Anspruch nehmen.
Jetzt dauert das Projekt prinzipiell schon sehr lange und auch die Schweiz hat kürzlich moniert, dass der ganze Wirtschaftsraum in seiner Entwicklung gehemmt wird, wenn dieses Projekt nicht endlich umgesetzt wird. Wie wichtig wäre es wirtschaftlich für Vorarlberg und die Nachbarregionen, dass das Projekt S18 in die Gänge kommt?
Auf Dauer wird man sich schwertun, den gesamten Schwerverkehr durch Lustenau durchzuführen. Auch dann, wenn die LKW mit anderen Antriebsmitteln als mit fossilen Brennstoffen fahren – fahren werden sie dann doch. Selbst dann, wenn es sich um selbstfahrende LKW handeln wird – auch dann werden sie irgendwo fahren müssen. Die Straßeninfrastruktur wird benötigt und es braucht eine leistungsfähige Straßenverbindung zwischen dem österreichischen und dem schweizerischen Autobahnnetz. Man kann lange darüber diskutieren, wo die beste Stelle dafür ist, und tut das eben schon seit vielen Jahrzehnten. Aber dass es ein solches Projekt braucht, ist meines Erachtens klar.
Sie haben zuvor die wirtschaftliche Attraktivität Vorarlbergs betont – Vorarlberg hat auch pro Kopf die meisten Patente beziehungsweise Erfindungsanmeldungen, sind die Vorarlberger besonders innovativ?
Das hat natürlich mit der Innovationskraft vor allem der Vorarlberger Industrie zu tun. Die Vorarlberger Industrie und die Wirtschaft sind generell recht innovativ, hier spielt wiederum der Grenzraum zu Liechtenstein und der Schweiz eine Rolle.
Insolvenzen sind aber wie in ganz Österreich auch in Vorarlberg angestiegen (plus 58,8 Prozent), vor allem in der Baubranche (plus 118 Prozent). Ist das der allgemeinen Lage geschuldet, oder sehen Sie in Vorarlberg vielleicht besondere Gründe?
In Vorarlberg ist die Situation besonders kritisch, wie schon beim Thema „leistbares Wohnen“ angesprochen. Die Wohnungen sind einfach so teuer geworden, dass sich die Menschen das nicht mehr leisten können – egal ob Einfamilienhaus oder größere Wohnbauten. Dadurch bricht natürlich in weiterer Folge auch die Bauwirtschaft ein.
Müssen wir die Vorurteile über die Alemannen – fleißig, ehrlich und sparsam – revidieren, nach der Wirtschaftsbund-Affäre und nachdem sich Finanzminister Magnus Brunner nun eingestehen musste, dass wir doch ein höheres Budgetdefizit haben?
Es mag diverse Unterschiede in den Identitäten der österreichischen Länder geben, aber sie gleichen sich im Guten wie im Schlechten zunehmend an. *lacht*
Peter Bußjäger
Peter Bußjäger (*1963 in Bludenz) ist Universitätsprofessor für Staatsrecht, Verwaltungslehre und Verwaltungsrecht an der Universität Innsbruck, Institutsdirektor des Instituts für Föderalismus und Verfassungsrichter am Liechtensteinischen Staatsgerichtshof. Er ist einer der renommiertesten Experten für Föderalismus und Staatsorganisation in Österreich.