Experten für Verkehr und Infrastruktur: Stephan Schwarzer, Michael Schwendinger, Markus Fischer, Christian Diewald, Anil Rai © beisgestellt/Montage: Selektiv
Experten für Verkehr und Infrastruktur: Stephan Schwarzer, Michael Schwendinger, Markus Fischer, Christian Diewald, Anil Rai © beisgestellt/Montage: Selektiv
Österreich

Verkehr & Infrastruktur: Das halten Experten vom Regierungsprogramm

Fünf Monate nach der Wahl legen ÖVP, SPÖ und Neos ihr Regierungsprogramm vor. Auf 211 Seiten unter dem Titel „Jetzt das Richtige tun. Für Österreich“ finden sich Ideen von drei teilweise sehr unterschiedlichen Parteien. Selektiv hat Experten gebeten, sich das Programm in den Bereichen Verkehr und Infrastruktur näher anzusehen und einzuordnen.

„Die Masterpläne Mobilität werden neu bearbeitet. Faktenbasierter Realismus wird einkehren“, beurteilt Stephan Schwarzer, Geschäftsführer der eFuel Alliance Österreich das Regierungsprogramm: „Durch pragmatische Maßnahmen – z.B. Beimischung von E-Fuels – werden die Emissionen eher sinken als durch „Verkehrsvermeidung“ infolge von Verlangsamung des Verkehrs.“ Michael Schwendinger, Verkehrsexperte für den Verkehrs-Club-Österreich VCÖ sieht „Lichtblicke und Schattenseiten“ im Regierungsprogramm. Während er „Ziele zur weiteren Verbesserung und zum Ausbau des Öffentlichen Verkehrs und der Rad-Infrastruktur, zur Erhöhung des Radverkehrsanteil sowie zur Verringerung der Autoabhängigkeit in ländlichen Regionen“ sowie das Nein zu Gigalinern positiv herausstreicht, kritisiert er die Pläne für „den massiven Straßenausbau“ als Rückschritt. Langjährige Forderungen der Güterbeförderungsbranche berücksichtigt sieht deren Spartenobmann in der Wirtschaftskammer, Markus Fischer: „Allen voran ist dies das Bekenntnis zur Technologieoffenheit. Denn um die Transformation hin zu klimaneutralem Verkehr zu schaffen, werden wir alle Technologien brauchen. Ebenso ist die geplante Abschaffung der NoVA für N1-Fahrzeuge und Klein-LKW eine Maßnahme, für die wir uns im Sinne der Kleintransporteure schon lange einsetzen.“ Christian Diewald und Anil W. Rai, Präsident und Geschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie, sehen wichtige Akzente im Regierungsprogramm: „Das Bekenntnis zur Schiene als Rückgrat der Mobilitätswende, die angekündigte Vergaberechtsreform sowie die Stärkung des öffentlichen Verkehrs sind zentrale Punkte, die aus Sicht der Bahnindustrie positiv zu bewerten sind.“ Sie mahnen aber auch: „Ohne zügige Umsetzung und gesicherte Finanzierungspläne bleiben die formulierten Ziele bloße Absichtserklärungen.“

Die Experten-Analyse zum Thema „Steuern & Finanzen“ finden Sie hier, jene zu „Arbeit & Soziales“ hier und zu Klima & Energie hier und die Einschätzungen zu „Exporte und Startups“ hier.

„Gut, statt gut gemeint“ – Stephan Schwarzer, Geschäftsführer der eFuel Alliance Österreich

Europa muss erwachsen werden, das spürt man auch im neuen österreichischen Regierungsprogramm. Das betrifft auch die Verkehrswende. Realismus und Pragmatismus sind vertrauenswürdigere Wegbegleiter als Romantik und Fundamentalismus.

Dem Erhalt Österreichs als Wirtschaftsstandort wird endlich wieder Aufmerksamkeit gezollt. Das dritte Jahr der Rezession hat Spuren hinterlassen. Die Ausgabenfreudigkeit der letzten Regierung hat weder die Wirtschaft belebt noch war sie beim Klimaschutz erfolgreich. Zurück blieb ein hohes Budgetdefizit als „Geschenk“ an die neuen Koalitionspartner.  Das verstehe ich nicht unter Nachhaltigkeit.

Die Masterpläne Mobilität werden neu bearbeitet. Faktenbasierter Realismus wird einkehren. „Aus der Mitte für die Mitte der Gesellschaft“ muss Klimaschutz kommen. Autobahnen sind nicht böse, sie werden wieder als Teil der notwendigen Verkehrsinfrastruktur gesehen. Lücken sollen geschlossen werden, schon aus Umweltschutzgründen. Durch pragmatische Maßnahmen – z.B. Beimischung von E-Fuels – werden die Emissionen eher sinken als durch „Verkehrsvermeidung“ infolge von Verlangsamung des Verkehrs.  

Die Staus auf der Wiener Südost-Tangente stehlen den Menschen Zeit und verursachen mehr Emissionen als Fließverkehr. Die Anrainerbezirke haben ein Anrecht auf Lärmschutz durch Entlastung ihrer Durchfahrten durch Wohngebiete.

Technologievielfalt ist Garant für Fortschritt, „Technologieklarheit“ ist Illusion

Die neue Bundesregierung bekennt sich zur Innovation einschließlich klimaneutraler Treibstoffe im verkehrsbezogenen Klimaschutz. E-Autos und E-Fuels bilden nicht den Gegensatz, das gemeinsame „E“ für erneuerbar ist ein Stück gemeinsame Transformations-DNA.

E-Fuels werden als Baustein der Energiewende anerkannt. Das ist ein großer Fortschritt. Die Energiewendearchitekten dürfen mit den Technologien, die benötigt werden, nicht auf Kriegsfuß stehen.  Wie ein Auto fährt auch die Energiewendepolitik mit vier Rädern, eines davon sind E-Fuels.

Das ideologiegetriebene Verbrenner-Aus 2035 wird im Regierungsprogramm nicht fortgeschrieben. Die Europäische Kommission geht von ihm ab, das ist gut so. Auch sie hat erkannt, dass man in der Klimapolitik nicht auf eine Option setzen soll, sondern auf viele gleichzeitig.

Die Streichung der Ausnahme für E-Autos von der motorbezogenen Versicherungssteuer trägt der Abnützung der Straßen Rechnung. Schwere Fahrzeuge nutzen die Straßen mehr ab als leichte. Sie haben auch höhere Partikelemissionen durch Abrieb.  Anzustreben ist eine CO2-orientierte technologieoffenen Gestaltung von Sachbezug und NoVA. Die Gleichstellung bei der Versicherungssteuer ist ein erster Schritt.  

Autos, die mit klimaneutralen Treibstoffen fahren, belasten das Klima weniger als E-Autos, für die bei der Produktion der Batterie sehr viel CO2 freigesetzt wird. E-Autos sind vorteilhaft mit Eigenstrom vom Hausdach, diese Möglichkeit haben viele Autobesitzer nicht, daher kommt der E-Auto-Anteil bei den Neuzulassungen trotz staatlicher Förderung nicht über 20% hinaus. 96% der PKW sind auf klimaneutralen Sprit angewiesen.

Fakten sprechen für E-Fuels

Aus Ladestationen kommen regelmäßig, nicht nur bei Dunkelflaute, Kohlestrom und Strom aus Gaskraftwerken. Wenn jetzt auch noch die Industrie ihre Prozesses elektrifiziert, dann sollte man schon innehalten, bevor man den Straßenverkehr komplett von Strom abhängig macht. Das kann ähnlich ins Auge gehen wie der kostenmäßig unschlagbare Import von Gas aus Russland. Resilienz gebietet Diversifikation bei Energieträgern.  

„Ein Rückschritt sind die Pläne für den massiven Straßenausbau“ – Michael Schwendinger, Experte für Verkehrspolitik des Verkehrs-Club-Österreich

Aus Sicht der Mobilitätsorganisation VCÖ enthält das Regierungsprogramm Lichtblicke und Schattenseiten. Positiv sieht der VCÖ die Ziele zur weiteren Verbesserung und zum Ausbau des Öffentlichen Verkehrs und der Rad-Infrastruktur, zur Erhöhung des Radverkehrsanteil sowie zur Verringerung der Autoabhängigkeit in ländlichen Regionen. Öffentliche Verkehrsmittel ermöglichen allen Bevölkerungsgruppen leistbare Mobilität. Mehr Bahn- und Busverbindungen sind die wirksamste Maßnahme zur langfristigen Verringerung von Staus.

Beim Güterverkehr begrüßt der VCÖ das Nein zu Gigalinern auf Österreichs Straßen und das Ziel, verstärkte Maßnahmen zur Reduzierung des Lkw-Transits und zur Verlagerung der Güter auf die Schiene umzusetzen. Was aber fehlt sind kurzfristig umsetzbare Maßnahmen, wie die Erhöhung der Lkw-Maut und die Abschaffung der Steuerbegünstigung von Diesel. Nicht nachvollziehbar ist, dass einerseits für Elektroautos die motorbezogene Versicherungssteuer eingeführt und andererseits aber die Normverbrauchsabgabe NoVA für Klein-Lkw abgeschafft wird. Die Abschaffung der NoVA für Klein-Lkw behindert die Umstellung auf Elektro-Transporter, die im Unterschied zu den Diesel-Transportern die Luft nicht mit schädlichen Abgasen verschmutzen. Ein Rückschritt sind die Pläne für den massiven Straßenausbau. Dieser steht nicht nur im Widerspruch zu den Klimazielen, sondern verursacht neben hohen Kosten auch zusätzliche Verkehrsbelastungen für die Bevölkerung.

„Um die Transformation hin zu klimaneutralem Verkehr zu schaffen, werden wir alle Technologien brauchen“ – Markus Fischer, Obmann des Güterbeförderungsgewerbes in der Wirtschaftskammer Österreich

Wir begrüßen, dass das Regierungsprogramm einige langjährige Forderungen der Güterbeförderungsbranche berücksichtigt. Allen voran ist dies das Bekenntnis zur Technologieoffenheit. Denn um die Transformation hin zu klimaneutralem Verkehr zu schaffen, werden wir alle Technologien brauchen. Ebenso ist die geplante Abschaffung der NoVA für N1-Fahrzeuge und Klein-LKW eine Maßnahme, für die wir uns im Sinne der Kleintransporteure schon lange einsetzen.

Bei der im Arbeitsprogramm der neuen Regierung vorgesehenen behördenübergreifenden Kontrollen im Schwerverkehr kommt es auf die Umsetzung an. Wichtig ist hier, dass die Kontrollbehörden mit Maß und Ziel arbeiten und den Austausch mit der Branch suchen. Denn die Kontrollen sollten sich darauf konzentrieren, die heimischen Güterbeförderer vor illegalem Wettbewerb aus dem Ausland zu schützen.

Aber auch sonst existieren noch einige offene Punkte, dazu zählt, wie eine nachhaltige Finanzierung der Asfinag künftig aussieht. Keinesfalls darf dies über weitere Mauterhöhungen geschehen. SLOT-Systeme und Dosierungs-Systeme sehen wir sehr kritisch da sie zu einer Verknappung der Transportkapazitäten führen und das Problem verschärfen. Auch die Abschaffung des überholten Nacht-60er wäre längst an der Zeit.  

„Gute Weichenstellungen – jetzt braucht es Tempo in der Umsetzung“ – Christian Diewald und Anil W. Rai, Präsident und Geschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie

Das Regierungsprogramm setzt wichtige Akzente für die Bahnindustrie – insbesondere das Bekenntnis zur Schiene als Rückgrat der Mobilitätswende, die angekündigte Vergaberechtsreform sowie die Stärkung des öffentlichen Verkehrs sind zentrale Punkte, die aus Sicht der Bahnindustrie positiv zu bewerten sind.

Die Bahn ist das mit Abstand klimaschonendste Verkehrsmittel und ein unverzichtbarer Schlüssel zur Erreichung der Klimaziele. Laut dem Austrian Rail Report 2023 kann jeder auf der Schiene transportierte Güterzug den CO₂-Ausstoß um bis zu 80 Prozent im Vergleich zum Lkw-Verkehr senken – ein Gamechanger für nachhaltige Logistik und den Kampf gegen den Klimawandel.

Investitionen in die Bahn sind Investitionen in die Zukunft

Die neue Regierung sieht eine Fortsetzung der Investitionen in die Bahninfrastruktur sowie ein Bekenntnis zum ÖBB-Zielnetz 2040 vor. Dies sind zentrale Maßnahmen, um den Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene von derzeit rund 31 Prozent auf 40 Prozent bis 2040 zu erhöhen.

„Das Regierungsprogramm enthält ambitionierte Ziele zur Modernisierung des Bahnsektors. Die angekündigte Stärkung der Schiene als Rückgrat des öffentlichen Verkehrs ist erfreulich. Aus Absichtserklärungen müssen schnell Taten werden – denn jede Investition in die Bahn ist eine Investition in die Zukunft Österreichs als Wirtschaftsstandort. Nur wer jetzt handelt, sichert nachhaltiges Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz in einem. Besonders wichtig ist es, die Voraussetzungen für ein modernes Schienenfahrzeugtest- und Kompetenzzentrum zu schaffen. Damit können wir nicht nur die Mobilitätsindustrie stärken, sondern auch einen entscheidenden Beitrag zur Klimastrategie leisten und die Innovationskraft unseres Standortes weiter ausbauen“, so Christian Diewald.

Vergaberechtsreform: Ein entscheidender Hebel für die Wettbewerbsfähigkeit

Ein zentrales Anliegen der Bahnindustrie ist die Reform des Vergaberechts. Aktuell liegt der Fokus in öffentlichen Ausschreibungen noch zu stark auf dem niedrigsten Preis, anstatt auf nachhaltiger Wertschöpfung und Innovationskraft. Eine stärkere Berücksichtigung von europäischen Bestbieter-Kriterien (MEAT-Prinzip) könnte nicht nur die europäische Bahnindustrie vor unfairer Konkurrenz aus Drittstaaten schützen, sondern auch Innovationen und Qualität fördern.

„Die geplante Vergaberechtsreform muss sicherstellen, dass Innovation, Nachhaltigkeit und regionale Wertschöpfung stärker in den Fokus rücken. Österreich ist mit einem Bahnexportanteil von 73,5 Prozent eine der führenden Bahnindustrien weltweit. Es wäre fatal, wenn heimische Unternehmen durch unfair subventionierte Anbieter aus Drittstaaten aus dem Markt gedrängt werden“, betont Anil W. Rai.

Exportstärke absichern – Bürokratische Hürden abbauen

Die österreichische Bahnindustrie ist eine stark exportorientierte Branche – fast drei Viertel der
Wertschöpfung entstehen im Ausland. Um diese Exportstärke zu erhalten, braucht es bessere Rahmenbedingungen und fairen Marktzugang auf europäischer Ebene. Besonders in Hinblick auf
den Wiederaufbau der ukrainischen Eisenbahn könnte Österreich mit seiner technologischen
Expertise eine Schlüsselrolle spielen.

Fazit: Die Weichen sind gestellt – jetzt braucht es Tempo

Das Regierungsprogramm enthält viele sinnvolle Ansätze, doch die entscheidende Frage bleibt: Wie schnell werden diese Maßnahmen umgesetzt? Ohne zügige Umsetzung und gesicherte
Finanzierungspläne bleiben die formulierten Ziele bloße Absichtserklärungen. „Die Bahnindustrie steht bereit, ihren Beitrag zur Mobilitätswende zu leisten. Doch wir brauchen
langfristig stabile Rahmenbedingungen, damit die Weltmarktführer von heute auch morgen aus
Österreich und Europa kommen können“, so Diewald abschließend.


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