Martin Zahlbruckner ist Präsident der Austropapier, der Vereinigung der österreichischen Papier- und Zellstoffindustrie. Sie vertritt die Interessen ihrer 23 Mitglieder und der fast 8.000 Mitarbeiter in Österreich. Er spricht über die wirtschaftliche Situation, Herausforderungen für seine Branche und was von Seiten der Politik für den Wirtschafts- und Industriestandort getan werden muss.
Österreichs Wirtschaft steckt in der Rezession, der Ausblick ist nicht rosig und das für die gesamte Europäische Union. Wie geht es der Papier- und Zellstoffindustrie aktuell?
Martin Zahlbruckner: Da müssen wir differenzieren. Weltweit haben wir sehr wohl noch Regionen und Länder mit starkem Wachstum. Aber ja, in Europa haben wir große Herausforderungen. Nach der Corona-Pandemie kam der Angriff Russlands auf die Ukraine und nun sehen wir internationale geopolitische Spannungen, die unsere Arbeit nicht leichter machen. Die Transportwege werden schwieriger, nationale Märkte sind weggefallen, das spüren wir. Und dann haben wir in Europa eine sehr ambitioniert betriebene grüne Wende, die bei uns sehr wohl schon zu großer inflationärer Belastung führt. Und all das verschiebt aktuell die Wettbewerbsfähigkeit global. Eine Industrie, die international im Wettbewerb steht, kann das nicht einfach so wegstecken. Da ist vor allem der Faktor der Energiekosten schwerwiegend.
Für den globalen Wettbewerb, oder reden wir da auch schon von innerhalb Europas?
Auch schon in Europa, weil die Energiekosten in Österreich deutlich höher sind als in Deutschland. Aufgrund der Strompreiszonentrennung, aufgrund der Gasbevorratungskosten, aber auch, weil die deutsche Bundesregierung die energieintensive Industrie massiv unterstützt, was Österreich aber nicht tut. So gut wie alle Länder in Europa unterstützen ihre Industrien durch die Strompreiskompensation. In Österreich wären dafür nicht einmal Steuergelder nötig, da die Gelder aus den Einnahmen der ETS-Zertifikate verwendet werden würden und sich die Industrie die Unterstützung quasi selbst bezahlt. Die EU gibt den Mitgliedsstaaten ganz explizit bis 2030 die Möglichkeit, energieintensive Industrie von bestimmten Belastungen zu befreien. Das gibt das Gemeinschaftsrecht her. Das machen auch im Grunde alle unsere Nachbarländer, nur Österreich nicht. Damit verschlechtert Österreich die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Industrie von innen heraus. Das ist traurig, denn gerade unsere Papier-und Zellstoffindustrie in Österreich ist modern, umweltfreundlich, hat gut investiert und ist innovativ. Aber in den Rahmenbedingungen haben wir jetzt ein Negativmaß erreicht, mit dem uns die internationale Wettbewerbsfähigkeit verloren geht. Wir haben Länder wie Spanien, die mit der Inflation und den Energiekosten wesentlich besonnener umgehen als Österreich. Wir haben Länder wie Finnland, Schweden, Norwegen, die mit ihrer langfristigen Energiekostenplanung wesentlicher strategischer vorgehen, als Österreich das tut.
Sie sehen also viele Hausaufgaben, die die neue Bundesregierung erledigen wird müssen?
Ja, die neue Bundesregierung muss jetzt wirklich einen Kraftakt auf den Boden bringen. Sie muss sich weiterhin zu den Klimazielen bekennen, aber sie muss gleichzeitig den Unternehmen der heimischen Industrie wettbewerbsfähige grüne Energie zur Verfügung zu stellen, das kann die Industrie aus eigenen Stücken nicht schaffen.
Da muss der Staat aktiv werden?
Ja, aber mit einem Plan, der auch zur Umsetzung kommt. Wenn wir in Österreich noch 400 Windräder aufstellen, wird uns das nicht weiterhelfen. Wir müssten Geld in die Hand nehmen und in guter Zusammenarbeit mit unseren Nachbarstaaten die Netze aufbauen, um wettbewerbsfähige grüne Energie ins Land zu bringen und zu exportieren, je nach Situation. Mit einem besseren europäischen Stromnetz können wir in Österreich auch wieder zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren.
Das allein würde aber die schwache wirtschaftliche Stimmung nicht drehen, oder?
Nein, es gibt viele Stellschrauben, die angegangen werden müssen. Wir haben aktuell auch eine hohe Sparquote in Österreich, weil die Menschen Angst haben, den Arbeitsplatz zu verlieren. Sie konsumieren daher weniger. Und das bremst den Handel und die erzeugende Industrie. Es ist eine Spirale, die sich in die falsche Richtung dreht, weil die Zuversicht fehlt, weil jeder Bürger sieht, dass diese Politik zwar das Klima schützen will, aber keine Lösungen bietet. Wir müssen uns nationalstaatlich überlegen, wie wir diese Negativspirale durchbrechen. Wie können wir den Betrieben, die Jobs absichern, dabei helfen, wettbewerbsfähig zu bleiben oder zu werden. Wie können wir dafür sorgen, dass sie die Transformation hin zu einer Produktion innerhalb der Klimaschutz-Rahmenbedingungen schaffen?
Da sind wir dann bei der Frage nach Investitionsprämien?
Ja, allerdings finde ich dieses alte österreichische System, dieses feudalistisch anmutende Geldverschenken durch die öffentliche Hand nicht zeitgemäß. Was ich möchte: gebt mir Planbarkeit und unterstützt jene mit Zuversicht und Mut. Verbietet nicht, sondern ermöglicht! Schafft klare Rahmenbedingungen für Betriebe aller Größe. Wenn ein Unternehmen Eigenkapital für Investitionen einsetzt und damit erfolgreich ist, dann bitte belohnt dieses Unternehmertum! Das ist das Modell des Inflation Reduction Acts in den USA. Ein Unternehmen bekommt also eine Steuervergünstigung, wenn eine Investition sich als gut und zielgerichtet erwiesen hat. Das ist ein Ansporn für die Betriebe und hat Mehrwert für den Staat: Unternehmen investieren dann mehr, beschäftigen mehr Menschen, und zahlen mehr Steuern, nur weniger Ertragssteuern. Das ist wesentlich mehr wert als die Reduktion der Ertragsteuern durch eine Steuergutschrift. Aber damit könnte man das Wirtschaftswachstum durch Investitionen ankurbeln und wieder einen Fortschrittsboom auslösen, indem wir quer über alle sozialen Schichten wieder für Beschäftigung sorgen. Aber wenn wir das nicht machen, kommen wir meines Erachtens in ganz kurzer Zeit in eine Beschäftigungsfalle in Österreich.
Die ist jetzt schon in Ansätzen spürbar. Die Arbeitslosigkeit steigt, gleichzeitig schlägt die demografische Entwicklung immer stärker durch und das Reservoir an Arbeitskräften wird kleiner. Doch durch die schwache Konjunktur ist das Halten von Personal immer schwieriger, auch wenn man durch Entlassungen auch internes Know-how verliert. Wie ist die Situation in der Papierbranche?
Wir als Branche versuchen unsere Mitarbeiter zu halten. Vor allem auch, weil die Ausbildung in der Papierindustrie drei Jahre dauert und unsere Mitarbeiter in anderen Sparten leicht unterkommen, umgekehrt das aber nicht der Fall ist. Deshalb haben wir auch in den letzten zwei Jahren sehr hohe Kollektivvertragsabschlüsse mitgetragen. Doch jetzt kommen wir an einen kritischen Punkt, an dem die Wettbewerbsfähigkeit zu anderen Ländern Europas so geschwächt ist, dass wir betriebswirtschaftlich ganz nüchtern einsehen müssen, dass es ohne Personalabbau womöglich nicht geht. Und das ist doppelt bitter, denn wenn sich die Konjunktur in vier, fünf Jahren wieder stabilisiert, werden wir Personalbedarf haben, der durch die branchenspezifische lange Ausbildungszeit noch verschärft werden könnte.
Sehen Sie die Option von Kurzarbeit als eine Möglichkeit, das Personal zu halten?
Ja, es ist eine Option. Aber wir bekämpfen damit die Symptome und nicht die Ursachen. Wir haben mit den hohen Energiekosten und der schwachen Konjunktur strukturelle Probleme und nicht saisonale. Kurzarbeit ist sicher für einzelne Betriebe eine Unterstützung, aber es belastet unser Staatsbudget, um das es ohnehin nicht gut bestellt ist. Ich würde meinen, diese Gelder müssen wir viel zukunftsorientierter und viel mehr im Bereich des Zurückgewinnens der Wettbewerbsfähigkeit investieren. Wenn wir ganz ehrlich sind, muss die Bundesregierung in die Wettbewerbsfähigkeit investieren, da hat Österreich in den letzten drei Jahren ganz schwer verloren.
Die Industriellenvereinigung warnt deshalb auch vor einer drohenden Deindustrialisierung in Österreich. In Deutschland gibt es Untersuchungen, dass gut ein Fünftel aller Betriebe nicht mehr in ihre Standorte im Inland investieren, sondern nur mehr im Ausland. Sehen Sie diese Gefahr für die Papierindustrie in Österreich?
Ja, das tue ich leider. Wenn wir den Kurs der letzten drei Jahre fortsetzen, sehe ich diese Gefahr. Aber nicht nur in Österreich, auch die EU muss ihre Politik anpassen.
Auf EU-Ebene wurde mit dem Votum des europäischen Parlaments, die Entwaldungsverordnung zu verschieben und zu adaptieren, eine Entscheidung getroffen, die besonders auch die Papierindustrie betrifft. Wie schätzen Sie das ein? Jetzt muss ja im Trilog zwischen Parlament, EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten ein Kompromiss gefunden werden.
Es ist richtig, dass wir bei allem, was wir in Europa produzieren und bei allem, was wir importieren darauf achten, dass es nachhaltig und ohne Zerstörung der Umwelt entstanden ist. Aber der Vorschlag der EU-Kommission war nicht ausreichend vorbereitet und schwer alltagstauglich. Ich interpretiere die Entscheidung des Parlaments so, dass die demokratische Legitimation der europäischen Union, nämlich das Europäische Parlament, der Kommission die Hand reicht und sagt, lasst uns die Ziele erreichen, geben wir uns ein Jahr und bringen wir ein praxisfähiges, gutes Gesetz auf den Boden, dass ein internationales Vorbild sein kann. Denn in der bisher anvisierten Ausgestaltung hätte die Verordnung für enorme Mehrkosten und Mehraufwand gesorgt und hätte zu einer Spaltung der Wirtschaft geführt. Großkonzerne hätten noch die Chance gehabt, sich auf die neuen Regeln vorzubereiten – mit unglaublichem Aufwand, aber es wäre irgendwie machbar gewesen. In meinem Betrieb hat die Vorbereitung auf die EUDR nur am Standort Österreich über 100.000 Euro gekostet. Aber kleine und mittlere Unternehmen hätten keine Chance gehabt. Hier hat das Parlament auch seine soziale Verantwortung wahrgenommen. Diese Unternehmen dürfen nicht aus dem Markt gedrängt werden, nur weil sie Verordnungen nicht rasch genug umsetzen können.
Abschließend: Was müsste für den Wirtschaftsstandort Österreich getan werden, jetzt, wo die neue Bundesregierung verhandelt wird?
Einiges haben wir schon angesprochen, aber es gibt etwas ganz Zentrales: Ich würde mir als Zeichen wünschen, dass, egal zu welcher Regierungskonstellation es auch kommt, alle Parteien der neuen Regierung ein klares Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort Österreich abgeben. Ein Wirtschaftsstandort, der auch die Industrie umfasst, denn daraus ergeben sich viele andere Dinge die wichtig für unsere Gesellschaft sind. Wenn wir uns zum Industriestandort Österreich bekennen, dann bekennen wir uns auch zur Bildung. Wir bekennen uns zur Forschung und zu Aufstiegschancen und Jobmöglichkeiten. Wir bekennen uns damit zur Wettbewerbsfähigkeit und zu einer grünen Energieversorgung für die Zukunft. Ich kann als Unternehmen nicht mehr international bestehen, wenn ich Produkte anbiete, die einen hohen Carbon Footprint haben. Ich kann den Kauf von Zertifikaten nicht mehr an Kunden weitergeben, wenn andere Unternehmen in anderen Ländern schon mit geringstem Carbon Footprint zu geringeren Kosten als in Österreich produzieren. Das ist die Gefahr für unseren Standort und daher gibt es diesen Abwanderungsdruck. Wenn wir eine gute Zukunft für Österreich wollen, dann brauchen wir einen gesamtgesellschaftlichen Kraftakt mit Konsequenz und langfristigen Überlegungen. Und nicht mehr populistische, auf Wochenbasis spekulierende Politik.