Karlheinz Kopf ist Nationalratsabgeordneter und Generalsekretär der Wirtschaftskammer © WKÖ/Marek Knopp
Karlheinz Kopf ist Nationalratsabgeordneter und Generalsekretär der Wirtschaftskammer © WKÖ/Marek Knopp
Interview mit Karlheinz Kopf

Nationalrat: „Das ist wie in Jesolo am Strand“

Karlheinz Kopf verlässt mit der neuen Legislaturperiode nach 30 Jahren den Nationalrat. Im Interview erzählt er von hitzigen Debatten und gelebter Praxis und erklärt, wie Ausschüsse funktionieren, was er Neulingen im Parlament rät und wie Sitzplätze gewählt werden.

30 Jahre Nationalrat sind eine lange Zeit. Wie war das Parlament Mitte der 1990er-Jahre?

Karlheinz Kopf: Da fand eine konstruktive Phase von Rot-Schwarz mit dem EU-Beitritt ihren Abschluss. Das war ein Projekt, das die beiden Parteien geeint hat. Der EU-Beitritt war gleichzeitig mein erster Beschluss im Parlament. Andererseits war das auch die Zeit einer erstarkenden FPÖ mit Haider und Stadler. Die haben eine scharfe Oppositionsrolle eingenommen und eine teils sehr giftige Stimmung erzeugt. Die angesprochene Konsensphase von SPÖ und ÖVP, geeint durch das gemeinsame Projekt, EU-Beitritt hat später viele Jahre gefehlt.

Ist die Stimmung heute im Parlament mitunter noch giftiger? Die Ordnungsrufe sind mehr geworden.

Die Zahl der Ordnungsrufe ist nur bedingt ein Indikator dafür, denn jeder Präsident handhabt das Instrument etwas anders. Aber es stimmt schon, die Sorgfalt, mit der man sich äußert, hat abgenommen. Es gibt mehr persönliche Angriffe und die sind schärfer geworden.

Erinnern Sie sich an besonders hitzige Debatten und Grenzüberschreitungen?

Anfang der 2000er wurde Finanzminister Grasser monatelang in jeder Sitzung heftig attackiert. Aber auch die heftigen Attacken des eigenen Koalitionspartners gegen Bundeskanzler Kurz 2021 waren schon außergewöhnlich. Die Grünen waren ein Koalitionspartner, der gerne gleichzeitig Opposition gespielt hat – mit einer Härte und Schärfe, die ein Novum war. Es waren aber auch Koalitionszeiten mit der SPÖ konfliktbeladen. Aber die Konflikte mit den Grünen hatten schon eine eigene Qualität.

Sie waren seit 2017 auch Vorsitzender des Finanzausschusses. In den letzten Jahren bestimmt kein einfacher Job. Wie funktionieren solche Ausschüsse – und sind sie eine Begräbnisstätte für Oppositionsanträge, wie man oft hört?

In Österreich haben wir eine stark regierungsgetriebene Demokratie. Das zeigt auch die große Anzahl an Regierungsvorlagen, die ins Parlament kommen, im Verhältnis zu den Initiativanträgen der Abgeordneten. Im Gesetzwerdungsprozess ist es also zumeist eine Regierungsvorlage, die dann zunächst in Begutachtung geht. Wenn die Vorlage dann ins Parlament geht, ist der Text meist schon in mehreren Schleifen verhandelt worden und liegt daher dem zuständigen Ausschuss schon gut vorbereitet vor. Dennoch sind im Ausschuss Änderungen nicht selten.

Und Oppositionsanträge?

Wenn die Opposition einen Antrag einbringt, geschieht dies meist ohne vorherige Befassung anderer Fraktionen. Somit ging solchen Anträgen in der Regel auch keine Begutachtung voraus. Das ständige Vertagen solcher Anträge, um sie nicht im Plenum öffentlich diskutieren zu müssen, ist trotzdem eine Unsitte.

Heute ist konstituierende Sitzung des neuen Nationalrats – diesmal werden einige Neulinge dabei sein. Was raten Sie denen?

Durch aufmerksames Beobachten rasch die Gesetzmäßigkeiten und Abläufe antizipieren. Und dann sollte man sich möglichst auf ein, zwei Themen spezialisieren, um Profil zu entwickeln. Jemand, der zu allem und jedem etwas sagt, hat zu nichts etwas zu sagen.

Das kann man sich im Parlament vielleicht nicht immer aussuchen.

Stimmt schon, ich habe es mir ja auch nicht ausgesucht. Ich wurde zu Beginn nahezu ungefragt nach vier Wochen zum Umweltsprecher der ÖVP gemacht und das war ich dann über zehn Jahre. Später kam noch der Energiesprecher dazu, Darüber bin ich im Nachhinein sehr froh, weil’s die Sichtbarkeit erhöht und die Profilbildung gestärkt hat.

Sicher eine lohnende Position.

Ja, weil es mir die Möglichkeit gab, ein Zukunftsthema auch mit dem Blick der Wirtschaft zu begleiten. Zudem war es eine gute Schule, sich in kontroversiellen Diskussionen behaupten zu können.

Im Parlament wäre rein technisch eine elektronische Abstimmung möglich. Warum kommt sie nicht zum Einsatz?

Bisher haben sich die Klubs immer dagegen ausgesprochen. Aber mit dem derzeitigen Abstimmungsmodus geht es auch recht schnell.

Apropos gelebte Praxis. Die gibt es auch bei der Wahl zum Nationalratspräsidenten. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass die mandatsstärkste Fraktion den ersten Präsidenten stellt. Gibt es viele dieser ungeschriebenen Gesetze im Parlament und sollte man diese vielleicht einmal niederschreiben, um sich fallweise Diskussionen zu ersparen?

Die Usance hat schon sehr viel Sinn. Die drei stärksten Fraktionen stellen die drei Präsidenten in der Reihenfolge ihrer Stärke. Sonst könnte ja theoretisch eine Partei mit absoluter Mehrheit alle drei Präsidenten stellen. Dasselbe gilt für die Usance bei den Ausschussvorsitzenden, die auf alle Fraktionen im Parlament aufgeteilt werden. Theoretisch könnten sonst die Regierungsparteien alle Vorsitze für sich in Anspruch nehmen, weil sie ja die Mehrheit in den Ausschüssen haben, wo die Vorsitzenden gewählt werden. Grundsätzlich finde ich es aber beim Nationalratspräsidenten gut, dass es keine gesetzliche Vorgabe und somit auch die Freiheit gibt, es anders machen zu können. Ich hoffe aber, dass mit der Usance auch in Zukunft nicht gebrochen wird.

Es würde die aktuelle Debatte aber vereinfachen, gäbe es eine klare Regel.

Die Tatsache, dass es eine Usance ist, eröffnet – wenn auch theoretische – Möglichkeiten. Und die hat man in der Vergangenheit durchaus genutzt. So wurden schon mehrfach vorgeschlagene Kandidaten durch andere derselben Partei ersetzt.

Was muss ein Nationalratspräsident für Eigenschaften haben?

Es braucht eine integrative Persönlichkeit, die dafür sorgen kann, dass bei aller Gegensätzlichkeit der Parteien, vor allem in prozeduralen Fragen des Zusammenwirkens Überparteilichkeit gewährleistet ist und eine vernünftige Streitkultur herrscht. Dazu gehört in der Regel parlamentarische Erfahrung.

Wie funktioniert eigentlich die Platzwahl innerhalb der definierten Fraktionsblöcke im Sitzungssaal?

Die Zuteilung der Blöcke wird im Einvernehmen zwischen allen Klubs ausgehandelt und hat in erster Linie mit Zweckmäßigkeit zu tun.

Wie funktioniert nun die Platzwahl innerhalb der Blöcke?

Als Neuling fängst du in er letzten Reihe an – wenn du Glück hast in der vorletzten. Im Laufe der Zeit rückt man dann immer weiter vor. Andreas Khol, mein erster Klubobmann, hat mir das einmal so erklärt: „Das ist wie in Jesolo am Strand. Wenn du ankommst, bekommst du einen Liegestuhl in der letzten Reihe. Im Zuge der Abreise vor dir Angekommener rückst du weiter vor ans Meer. Das Blöde ist nur, wenn du vorne angelangt bist, ist es Zeit heimzufahren“.

Von hinten hat man aber sicher den besten Überblick?

Die letzte Reihe hat vor allem den Vorteil, dass der Besucherbalkon darüberliegt und – mit einem Augenzwinkern – damit auch kein Kameramann in deinen Laptop filmen kann.

Diverse Umfragen bescheinigen der Demokratie und der Politik in Österreich einen Vertrauensverlust. Woran liegt das und was könnte man tun?

Politik und Gesellschaft sind viel komplexer geworden und die Interessen und Wünsche der Menschen vielfältiger, heterogener und kontroversieller. Es wird immer schwieriger, einen breiten Konsens zu finden. Der Populismus hat zugenommen und durch bewusste Verwirrungsstiftung über Social Media wird Orientierung für die Menschen immer schwieriger. Hinzu kommen die ständigen Krisen, die ein Spielfeld für Populismus bieten. Corona hat tiefere Wunden hinterlassen, als ich gedacht hätte. Der Solidaritätsgedanke in der Gesellschaft hat abgenommen, genauso wie die Bereitschaft zum Kompromiss. Es sind also nicht nur die Fehler von Politikern, sondern schon auch gesellschaftliche Veränderungen bzw. Erwartungshaltungen, die den Vertrauensverlust generieren.

Für Sie heißt es nun Abschied nehmen vom Nationalrat. Was haben Sie jetzt vor?

Das verrate ich noch nicht, aber mein Schwerpunkt wird wieder in Vorarlberg liegen und ein stark unternehmerischer sein. Und ich werde aber jedenfalls auch weiterhin einen Fuß in Wien behalten.

Grafik: Die Nationalratspräsidenten der Zweiten Republik

von Christoph Hofer

Fünf Parteien stellten bisher in der Zweiten Republik Präsidenten des Nationalrates – am häufigsten Abgeordnete der ÖVP. Die Längste Amtszeit konnte mit über 15 Jahren Anton Benya (SPÖ) verbuchen. Noch nie nahm ein Freiheitlicher das Amt des Nationalratspräsidenten ein.