Wien hat gewählt. Vienna wählt – alles anders und doch vieles gleich.

1. Oktober 2024Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Gerhard Jelinek

Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.

Entscheidet eine Hauskatze aus Springfield, Ohio die amerikanischen Präsidentenwahlen? Lächerlich, aber wer weiß. Besagtes Tier soll von einem Immigranten aus Haiti gefangen und verspeist worden sein. Eine ältere Dame hat das auf Facebook behauptet, später wieder gelöscht. Sie habe es von einer Freundin gehört, die wiederum von einer Bekannten…und schließlich hat es Ex-Präsident Donald Trump im TV-Duell mit seiner Konkurrentin Kamala Harris behauptet, weil er es von seinem Kandidaten für den Posten des Vizepräsidenten gehört hat. Stille Post im Social Media-Zeitalter.

Unterdessen streift die Katze weiter durch Springfield, Ohio. Dutzende Faktenchecks der sich überbietenden Fernsehanstalten haben die Fake-News entlarvt und damit die Trump-Fans bestärkt. Für sie lügen die Medien allesamt ohnehin, daher wird schon was dran sein an der gefressenen Hauskatze. Solcherart entscheidet die wichtigste Macht der Welt über ihren Präsidenten. 

Dagegen waren die Dutzenden heimischen TV-Duelle (welch ein dummes Wort für inhaltliche Debatten) regelrechte Hochkultur-Veranstaltungen.

Österreich hat gewählt – und es wurde nicht ganz so knapp. Die FPÖ schaffte es mit 28,8 Prozent der Stimmen erstmals auf Platz eins, gefolgt von der ÖVP mit herben Verlusten und 26,3 Prozent (vorläufiges Ergebnis mit Wahlkarten-Prognose). Amerika wird wählen – und es wird noch knapper. Weder die Bedeutung der Wahlen, noch die Wahlsysteme, noch das dafür aufgewendete Geld (Harris soll etwa eine Milliarde Dollar investieren können) lassen sich ernsthaft vergleichen, oder doch.

Ich filme derzeit (habe natürlich per Briefwahl vorab meine Stimme abgegeben) für eine ORF-Dokumentation in einem knappen Dutzend Orten mit dem Namen „Vienna“ im amerikanischen Heartland. Es sind kleine und kleinste Orte im „Flyover“-Country, also jene unglaublich große noch immer ländlich geprägte Landfläche zwischen den Metropolen im Osten, New York, im Norden, Chicago und im Westen, Los Angeles. Intellektuelle kennen „Smalltown-America“ nur vom Drüberfliegen. Sie schauen auf die Menschen runter – buchstäblich und im übertragenen Sinn. Und die spüren das. Gibt es auch in Österreich viele kleine „Flyover“-Countries“?

Die Probleme ähneln den Wahlmotiven in Österreich. Es ist die illegale Masseneinwanderung, es sind die hohen Preise, besonders beim Benzin (rund 85 Cent pro Liter) und es ist die Drogenwelle, die über die USA schwappt und wie unser Hochwasser Landstriche verheert. Selbst die vielen kleinen „Viennas“ zwischen Maine und Missouri, zwischen Westvirginia und Georgia spüren die tödlichen Folgen der neuen synthetischen Drogen. Viele der meist republikanischen Wähler wollen das alles wieder wird, wie es einst (angeblich) war: besser.

Covid und die Maßnahmen der Regierung spielen keine Rolle mehr in der politischen Debatte, obwohl für die US-Bürger „Freiheit“ vor allem vom bevormundenden Staat eine große Bedeutung hat. 

Warum wählen Sie Trump? Die Frage beantwortet uns eine deutschstämmige Wirtin in einem „Diner“ knapp: „Gehen sie in den Supermarkt, dann wissen sie es.“

Oder eine andere: „Trump ist ein Idiot, aber ich will, dass die Republikaner in Steuerfragen entscheiden.“ Und der Sheriff in Vienna, Illinois. „Wir müssen unsere Grenzen unter Kontrolle bekommen. Mit den Immigranten kommen Massen an Fentanyl aus Mexiko.“ Das billigst produzierte synthetische Opiat wirkt hundert Mal stärker als „normale“ Opiate und führt zu einer Welle von Drogentoten, auch in Familien und Gesellschaftsschichten, die bisher gegen Suchtgifte immun erschienen.

Derzeit liegen Trump und Harris Kopf an Kopf, jeweils rund 47 Prozent wollen für die eine, oder den anderen stimmen. Die Städte, die Gebildeteren für die Demokraten, das weite Land, eine Mehrheit der Arbeiter, für den verhaltensauffälligen Republikaner. 

Amerika entscheidet? Falsch. Es geht in einigen wenigen Bundesstaaten, den „Swing-States“ um ein paar tausend Stimmen, nicht mehr. Geschätzte 0,01 Prozent der Wahlberechtigten werden den/die Präsident(in)en machen. Wer gewinnt? In Vienna, USA mit Sicherheit Donald Trump.

Aber das ist so repräsentativ, wie das Wahlergebnis von Vienna, Austria (SPÖ: 29,89 Prozent; FPÖ: 21,16 Prozent; ÖVP: 17,58 Prozent) für den vier Mal so großen Rest des Landes. 

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