Wie China mit E-Autos seine Machtposition stärkt

12. September 2024Lesezeit: 3 Min.
Bernhard Seyringer Illustration
Kommentar von Bernhard Seyringer

Bernhard Seyringer ist Politikanalyst. Seine thematischen Schwerpunkte fokussieren "Strategic Foresight" und "Neue Technologien und Internationale Politik". Seyringer ist zudem Experte für digitale Geopolitik.

Innerhalb von nur einer Dekade hat Europa sämtliche Führungspositionen bei „grünen“ Technologien verloren. Aus Angst, aus Unvermögen, aus ideologischem Überschwang. Die technologiepolitische Bilanz der letzten Dekade ist verheerend. Die freiwillige Aufgabe der Führungsrolle in der hochkompetitiven und hochinnovativen Autoindustrie, in der Europa uneinholbare Wettbewerbsvorteile genießt und in der, direkt und indirekt, 14 Mio. Europäer beschäftigt sind, dürfte wohl die dekadenteste wirtschaftspolitische Entscheidung der Weltgeschichte sein.  

Die chinesische Industrie hat Mitte der 2000er Jahre erkannt, dass sie bei Verbrennungsmotoren kaum jemals wettbewerbsfähig werden wird. Somit wurde E-Mobilität als „leapfrog“-Technologie identifiziert, mit der China international wettbewerbsfähig werden kann. Ab 2009 begann das Ministerium für Wissenschaft und Technologie mit der Förderung der Beschaffung von elektrischen Bussen und Fahrzeugen für den öffentlichen Dienst in einigen Städten. Ein Jahr darauf wurde das Förderprogramm auf die Beschaffung von privaten Fahrzeugen in Peking, Shanghai, Shenzhen, Hangzhou und Hefei ausgeweitet. Der Markt für Elektromobilität unterscheidet sich damit von anderen „grünen“ Technologien wie etwa der Solarindustrie, der primär für den Export entwickelt wurde. Bei ersterem wollte China zuerst einen starken Heimmarkt mit stabiler Nachfrage schaffen. Das heißt, mittels großteils erzwungener Technologietransfers von ausländischen Unternehmen, die Forschung entwickeln, eine Zulieferindustrie und Fertigung aufbauen. 

Die Smart Manufacturing-Strategie „Made in China 2025“ (MIC2025) von 2015 hat bereits deutlich gemacht, dass Peking auch in diesem Sektor nur kurzfristig Innovationssysteme mit internationalen Partnern entwickeln will, und bereits mittelfristig, die Absorption der gesamten Wertschöpfungskette anstrebt. In der 2017 überarbeiteten „Roadmap“ zu MIC2025 wurde der angestrebte Marktanteil chinesischer Unternehmen am Heimmarkt von 80 auf 90 Prozent erhöht, bei bestimmten Komponenten sogar auf 100 Prozent. Mit dem “NEV Industry Development Plan” für 2021 bis 2035 wurden diese Ambitionen unterstrichen. 

Von 2020 bis 2023 sind Chinas Elektroauto(EA)-Exporte um 851 Prozent angestiegen. Davon gingen fast 40 Prozent nach Europa. Chinas Autohersteller produzieren aktuell 21 Prozent aller PKW der Welt, bereits mehr als 60 Prozent der EAs (inklusive ausländischen Herstellern) und fast 80 Prozent der dafür notwendigen Batterien. Im Jahr 2023 waren 39 Prozent der aus China exportierten EA’s von Tesla und von Joint-Ventures zwischen europäischen und chinesischen Herstellern stammen ungefähr 10 Prozent. Chinesische Unternehmen zeigen sich also für ungefähr die Hälfte der Exporte verantwortlich. Eine nähere Betrachtung der Zahlen am Beispiel Deutschland lohnt allerdings: In der ersten Hälfte 2023 waren 11 Prozent der EAs die in Deutschland verkauft wurden, „Made in China“. Ungefähr 32.000 Stück. Davon waren ca. 10 Prozent von chinesischen Marken. 

China betrachtet E-Mobilität aus dem Blickwinkel der Sicherheits- und Industriepolitik. Das Land importiert fast 80 Prozent seines Ölbedarfs. Daher bedeutet eine Zunahme an EAs ganz einfach, ein Mehr an Energieunabhängigkeit. Bei Beibehaltung der Dominanz von Verbrennungsmotoren, hätte die chinesische Industrie wohl niemals internationale Wettbewerbsfähigkeit erreicht, und eine deutliche Zunahme seiner Machtposition im internationalen Wirtschaftssystem verbuchen können. Seit dem Nationalen Volkskongress vom März letzten Jahres, gelten die „New Three“-Industrien, Solarpaneele, Batterien und Elektroautos als die zentralen Wachstumstreiber der chinesischen Wirtschaft. Das macht aus der Sicht Pekings durchaus Sinn. 

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