EU-Lohntransparenz bringt neue Bürokratieflut

13. Januar 2025Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Gerald Loacker

Gerald Loacker ist Jurist und geschäftsführender Gesellschafter bei der BWI Unternehmensberatung GmbH, die auf Vergütungssysteme und Gehaltsvergleiche spezialisiert ist. Außerdem arbeitet er als Sachverständiger für Berufskunde, Arbeitsorganisation und Betriebsorganisation. Bis Oktober 2024 war er als Abgeordneter zum Nationalrat in den Bereichen Arbeit, Soziales, Gesundheit und Wirtschaft sowie als stellvertretender Klubobmann der NEOS tätig.

Unseren 30 Jahren Mitgliedschaft in der EU haben wir in Österreich viel Positives zu verdanken: Mehr Wachstum, die Liberalisierung monopolisierter Strukturen, die Teilhabe an politischer Gestaltung in der westlichen Welt. Auf der Schattenseite der Mitgliedschaft sind allerdings die immer häufigeren Bürokratieschübe zu verbuchen, die aus Brüssel und Straßburg zu uns drängen.

Nach der Lieferkettenrichtlinie, der Cybersicherheitsrichtlinie, der Entwaldungsverordnung und anderen administrativ aufwändigen Regulierungen hängt die Entgelttransparenz-Richtlinie 2023/970 den nächsten bürokratischen Klotz ans unternehmerische Bein. Zugrunde liegt der Richtlinie das faire Anliegen, dass Frauen und Männer für gleiche Arbeit gleich viel verdienen. Dieses gerechte Ansinnen haben die wohlmeinenden Europapolitiker in weitestgehender Übereinstimmung über alle großen Fraktionen in einen Rechtstext gegossen, der die Arbeitgeber und Arbeitnehmer schon bald beschäftigen wird.

Jährliche Berichte

Für alle Kalenderjahre ab dem Jahr 2026 verlangt die Richtlinie, dass Firmen ab 250 Beschäftigten im Folgejahr Berichte über das Entgeltgefälle zwischen Männern und Frauen legen. Dabei muss das Unternehmen Gruppen von Beschäftigten in gleichwertigen Tätigkeiten ebenso ausweisen wie die Anzahl Männer und Frauen je Einkommensquartil. Die Frage, was eine „gleichwertige Arbeit“ ist, lässt Raum für Interpretation.

Sollte der Bericht für Gruppen von Beschäftigten mit gleichwertiger Arbeit ein Pay Gap von über 5 Prozent ergeben, ist in Abstimmung mit der Arbeitnehmervertretung eine „Entgeltbewertung“ vorzunehmen. Damit soll festgestellt werden, ob die Gehaltsunterschiede mit objektiven Kriterien begründbar sind. Planen Sie sich dafür Zeit ein, denn Ihr Betriebsrat wird auch Zeit haben.
Den Firmen, die sich bisher mit dem Kollektivvertrag als Gehaltsstruktur begnügt haben, steht einiges an Arbeit bevor, denn gerade bei Spezialisten- und Expertenstellen sind innerhalb einer KV-Beschäftigungsgruppe 5 Prozent Lohnabstand rasch überschritten. Diesen Bericht müssen die Arbeitgeber der national zuständigen Behörde übermitteln. Wer diese Behörde in Österreich sein wird, steht noch nicht fest. Das Potenzial für eine weitere Metastase der Bundesverwaltung mit gut dotierten Leitungsfunktionen für zuverlässige Parteigänger zeichnet sich aber bereits ab.

Individuelle Auswertung

„Auf einen Bericht mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an“, wird manch einer seufzend denken. Zur oben geschilderten Berichtspflicht tritt allerdings, dass alle Beschäftigten künftig jährlich eine schriftliche Auskunft über ihre individuelle Entgelthöhe und die durchschnittliche Entgelthöhe der Beschäftigten mit vergleichbarer Arbeit verlangen dürfen. Das wird die Personalabteilungen auch dann auslasten, wenn die Gehaltsstrukturen lupenrein sind. Denn kein Mitarbeiter will auf einer Auswertung sehen, dass er jährlich 2.000 Euro weniger verdient als seine Kollegen, auch wenn der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist, z.B. weil er nur eine Fremdsprache spricht oder fünf Jahre jünger ist. Firmeninterner Erklärungsbedarf entsteht als Folge dieser Richtlinie also auch bei berechtigten Differenzierungen im Gehalt.

Über dieses individuelle Auskunftsrecht muss der Arbeitgeber seine Beschäftigten übrigens einmal jährlich informieren. Sofern ein Mitarbeiter an die relevanten Informationen gelangt, kann er auch Diskriminierung geltend machen, weil er schlechter bezahlt ist als andere, die gar nicht mehr im Unternehmen sind, aber in der Vergangenheit die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet haben. Man muss nicht gleichzeitig beschäftigt sein, um diskriminiert zu werden.

Was haben Sie zuletzt verdient?

Unabhängig von der Unternehmensgröße erhält die Liste der verpönten Fragen in Bewerbungsgesprächen eine Erweiterung. Neben Fragen zu Familienplanung und gesundheitlichen Problemen, die bisher schon tabu waren, gehört künftig auch die Frage nach dem letzten Einkommen zu jenen, die ein Bewerber nicht oder nicht wahrheitsgemäß beantworten muss, weil sie gar nicht gestellt werden dürfte. Das Gehalt soll sich nämlich aus dem Gehaltssystem der Firma ergeben, das auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien aufbaut.

Umsetzung der Richtlinie

Die kommende Bundesregierung muss diese Richtlinie erst in nationales Recht umsetzen. Die Sozialpartner zanken sich darob schon einige Zeit.

Selbst ohne „gold plating“ wird dieses Regulativ ein bürokratisches Beschäftigungsprogramm für HR-Teams und das Management. Und wenn Sie Ihre Gehaltsstruktur im Jahr 2026 in Ordnung haben wollen, sind Sie gut beraten, rasch ans Werk zu gehen. Ein Jahr ist schnell vorbei.