Warum und wie Herbert Kickl die Wirtschaft umarmt

19. August 2024Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Rainer Nowak

Rainer Nowak ist österreichischer Journalist und Ressortleiter für Wirtschaft und Politik bei der „Kronen Zeitung“. Zuvor war Nowak Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer der Tageszeitung „Die Presse“.

Herbert Kickl hat und macht es gerne spannend. Der FPÖ-Chef gibt schon einmal zwei Mitarbeitern den Auftrag, eine Rede für einen bestimmten Anlass zu formulieren. Er sucht sich dann die aus, die ihm besser gefällt oder dem Anlass mehr entspricht. Ist er nun ähnlich beim Wirtschaftsprogramm vorgegangen? Hat er gleich zwei Varianten bestellt, einmal von den internen Wirtschaftsexperten um Ex-ÖBB-Finanzvorstand und Ministerreserve Arnold Schiefer, einmal von der wortgewaltigen Wirtschaftswissenschafterin und Ex-Nationalbank-Vizepräsidentin Barbara Kolm? Leicht divergierende Aussagen der Betroffenen, Verzeihung: Beauftragten lassen diesen gewagten Schluss zumindest zu. Vielleicht wird Herbert Kickl heute im ORF-Sommergespräch Klarheit schaffen. Erste Vorhaben hat der FPÖ-Kanzlerkandidat und Umfragen-Primus bereits angekündigt, die interessant und wirtschaftsfreundlich klingen. Kickl, dem die Zuschreibung Rechtspopulist niemand in Abrede stellen wird, plant demnach die Körperschaftsteuer auf breiter Front zu senken. Das ist erstaunlich, ein mehrheitsfähiger Wahlschlager ist das nicht gerade.

Das andere Steuersenkungsversprechen dürfte das schon eher sein: Eine bereits bestehende Massen-Vermögensteuer soll sogar abgeschafft werden. Die Kapitalertragssteuer bei kleineren Vermögen müsse fallen, meint Kickl. Gleichzeitig schließt er aus, dass neue Vermögen- und Erbschaftssteuern mit der FPÖ eingeführt werden würden. Wie die Steuersenkungen und -abschaffung trotz seit langem wachsendem Schuldenberg (gegen)-finanziert werden sollen, verriet Kickl bisher nicht so genau. Nur einen klaren Punkt nennt er: Er will zahlreiche grüne Maßnahmen zurücknehmen, etwa die höhere CO2-Bepreisung in Industrie und Verkehr. Wie das genau gehen soll, werden wir hoffentlich noch erfahren. Nicht-mehr-lange-Grün-Koalitionspartner ÖVP müsste sich freuen und ärgern zugleich.

Nein, ich bin nicht über Nacht vom Kickl-kritischen Beobachter zum Anhänger mutiert, aber die Stoßrichtung der bisher vorliegenden Brosamen klingt deutlich wirtschaftsfreundlicher als erwartet – und natürlich als die der SPÖ. Ein Punkt sei hier ebenfalls festgehalten: Die Freiheitlichen sind die einzige Partei, bei der Journalisten wie ich mit Empörung und Druck ein neues Wirtschaftsprogramm einfordern. Alle anderen Parteien haben entweder auch gut angestaubte Wirtschaftspapiere oder verweisen wie die ÖVP auf den neuen Österreichplan Karl Nehammers oder wie die anderen Parteien auf das jeweils aktuelle Wahlprogramm, in dem die Wirtschaft eine zentrale Rolle spiele. Die strategische Überlegung hinter der neuen FPÖ-Positionierung ist jedenfalls klar: Die ÖVP soll sich immer schwerer tun zu erklären, warum sie gegen die Interessen der österreichischen Industrie und Wirtschaft lieber mit der SPÖ (und den Neos) als der FPÖ koaliert. Die FPÖ-Taktik ist leicht zu durchschauen, das macht sie nicht weniger wirkungsvoll.

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