Warum das Ende der Klimakleber eine gute Nachricht fürs Klima ist

9. August 2024Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Georg Renner

Georg Renner ist freier Journalist in Niederösterreich und Wien mit Fokus auf Sachpolitik. Er publiziert unter anderem für „Datum“ und „WZ“, zuvor war er nach Stationen bei der „Presse“, „NZZ.at“ und „Addendum“ Innenpolitikchef der „Kleine Zeitung“.

Die „Letzte Generation“ hat aufgegeben. Mit großer Geste – „Wir sehen ein, dass Österreich weiter in fossiler Ignoranz bleiben will und damit in Kauf nimmt, für den Tod von Milliarden von Menschen mitverantwortlich zu sein“ – hat die Organisation, die mit „Klimakleben“ und anderen aktionistischen Protesten bekannt geworden ist, am Dienstag ihre Auflösung bekanntgegeben.

In einem ersten Impuls habe ich mich hinreißen lassen, das ohne weitere Erläuterung als „Ein guter Tag für den Klimaschutz“ zu kommentieren. Damit handelt man sich natürlich unversehens die Kritik ein, ein unverbesserlicher Zubetonierer, Benzinbruder oder sonstwas zu sein, dem die Zukunft der Menschheit jedenfalls völlig egal ist, „Don’t look up, Renner!“ und so weiter.

Klar, das war undifferenziert – und nein, es wird nicht so sein, dass ab morgen plötzlich alle Parteien die große Liebe zur Klimapolitik entdecken, leider. Aber schon das Abschiedsstatement der Letzten Generation bringt auf den Punkt, warum die Klimapolitik ohne sie besser dran sein wird: Denn wer sagt, Österreich verharre „in fossiler Ignoranz“ und der Regierung „komplette Inkompetenz“ unterstellt, leistet keinen Beitrag zur konstruktiven Lösung des Klimaproblems.

Denn ja, natürlich braucht es Maßnahmen, um unsere Treibhausgas-Emissionen möglichst schnell Richtung null zu befördern. Es braucht Förderungen für grüne Infrastrukturen und Investitionen, ordnungspolitische Regeln, um fossile Technologien möglichst schnell und sozial verträglich aus dem Verkehr zu ziehen. Und es braucht klare Ziele und Meilensteine, damit sich Bürger und Wirtschaft auf die Transformation einstellen können.

Tut Österreich hier genug? Nein, natürlich nicht. Dass es viereinhalb Jahre, nachdem sich ÖVP und Grüne in ihrem Regierungsprogramm auf „ein Klimaschutzgesetz mit klaren Treibhausgasreduktionspfaden, Zuständigkeiten, Zeitplänen und entsprechenden Ressourcen“ geeinigt haben, noch immer kein solches Gesetz gibt, dass wir als letzter EU-Staat mit unserem Klimaplan bei der Kommission säumig sind, dass elementare Gesetze zur Weiterentwicklung des Energiesektors fehlen: Das ist alles nicht nur peinlich, sondern auch handwerklich fahrlässig, ein schweres Versäumnis.

Aber gleichzeitig – und diese Differenzierung haben „Letzte Generation“ und andere Aktivisten unterlassen – ist Österreich eben nicht untätig: Seit ihrem Höchststand von über 90 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent Mitte der Nullerjahre sind unsere Treibhausgas-Emissionen auf unter 70 Millionen Tonnen 2023 gesunken (und damit im Rahmen der EU-Zielvorgaben). Reformen wie die Abschaffung der Eigenstromsteuer, Milliarden für den Öffi-Ausbau, die neue CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe, Förderungen für Erneuerbare, für Elektroautos und klimaneutrale Technologien in der Industrie haben in den vergangenen zehn Jahren wichtige Grundsteine für einen weiteren Rückgang gelegt.

Im Detail kann und soll man jede dieser Maßnahmen kritisieren – und noch mehr, jene, die noch ausständig sind. Aber all das zeigt: Es ist eben nicht alles so „hoffnungslos“, wie die Aktivisten die Lage seit Jahren darstellen. Es ist möglich, die Emissionen auch als Wohlstandsgesellschaft und Marktwirtschaft zu senken – und so zu tun, als sei die Politik da ewig untätig gewesen, nützt niemandem. Ja, es wird noch weitere, entschlossenere Maßnahmen brauchen, ja, wir sind weit davon entfernt, dass alles gut wird – aber eben auch davon, dass alles schlecht und der Kampf gegen die Emissionen bereits verloren wäre.

Damit die Republik den Weg Richtung Klimaneutralität fortsetzen kann, wird es noch viele solcher Schritte brauchen – aber die kann es in einer Demokratie nur geben, indem man Mehrheiten findet und Kompromisse schließt. Wer – wie die „Letzte Generation“ solche Kompromisse als „Inkompetenz“ und „fossile Ignoranz“ abtut, tut der Sache nichts Gutes: Wer Proteste so ansetzt, dass sie große Teile der Bevölkerung antagonisieren, sabotiert die schwierige Suche nach Mehrheiten.

Klar kann man das z. B. mit „als ob die ÖVP nur wegen provozierter Staus keine Klimamaßnahmen setzen wollen“ abtun. Aber tatsächlich kann sich keine bürgerliche Partei den Eindruck leisten, sie sei vor polarisierenden Protesten von Leuten in die Knie gegangen, die – etwa mit willkürlich provozierten Staus – ihre eigene Wählerschaft attackieren.

Dass die Organisation nun ankündigt, ihre Aktionen einzustellen, sollte es auf politischer Ebene mittelfristig einfacher machen, Kompromisse zu erzielen. Denn klimapolitisch ist viel zu tun – zu viel, um diese Zeit mit polarisierenden Aktionen zu verschwenden.

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