Vom Wesen des Leuchtturms
Alexander Purger ist Redakteur der Salzburger Nachrichten und schreibt die satirische Kolumne „Purgertorium“. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter der Kanzlerbiografie „Wolfgang Schüssel – Offengelegt“.
Die angewandte Psychologie kennt den sogenannten Masselon-Test: Die Probanden bekommen drei Wörter vorgegeben (zum Beispiel Spiegel, Schnitzel und Freude) und müssen mit ihnen möglichst viele Sätze bilden. Die Anzahl der gefundenen Sätze gibt Aufschluss über die Kreativität und geistige Beweglichkeit der jeweiligen Testperson. In Österreich findet dieser Test zur Zeit großflächig statt. Die drei vorgegebenen Wörter lauten Projekte, gemeinsam und Leuchtturm.
Eindeutiger Gewinner ist das Testpersonen-Team Nehammer, Babler und Meinl-Reisinger.
Es ist erstaunlich, wie viele Sätze ihnen mit den drei Wörtern schon eingefallen sind: Wir arbeiten gemeinsam an Leuchtturmprojekten. Es geht um die gemeinsame Entwicklung von Leuchtturmprojekten. Wir werden gemeinsam Leuchtturmprojekte auf Schienen setzen. Mit gemeinsamen Leuchtturmprojekten werden wir … Und so weiter und so fort. Mindestens zwanzig Sätze wurde seitens der Koalitionsverhandler bereits ersonnen – und das in kaum hundert Tagen!
Während die letzte Regierung das Beste aus zwei Welten brachte (wobei man bekanntlich peinlich genau darauf achtete, dass die beiden Welten niemals zueinander in Kontakt traten), wird man in der neuen Regierung das Meer vor lauter Leuchttürmen nicht mehr sehen. Daher scheint es angebracht, sich einmal etwas ausführlicher mit dem Wesen des Leuchtturms auseinanderzusetzen. Also:
Der Leuchtturm ist ein längliches Bauwerk (ähnlich länglich wie die Koalitionsverhandlungen) und wird zumeist in zwei Farben angestrichen. Dreifärbige Leuchttürme sind extrem selten. Die dominierende Farbe des Anstrichs ist in aller Regel Rot. Betreut wird der Leuchtturm von Leuchtturmwärtern. Sie werden gemeinhin als „Die da oben“ bezeichnet und gelten als etwas abgehoben. Kontakt zur Basis haben sie wenig. Dafür den großen Überblick.
Das natürliche Habitat des Leuchtturms ist die wellenumtoste Küste. Bei ruhiger See ist er eigentlich überflüssig. Sinn und Erfüllung findet der Leuchtturm ausschließlich bei Nacht und Sturm. Am helllichten Tag und bei Schönwetter braucht ihn kein Mensch. Der wesentlichste Bestandteil des Leuchtturms ist – wie der Name schon sagt – eine Leuchte am Turm, die stark mit sich selbst beschäftigt ist, da sie beständig um sich selbst kreist. Wenn man den Leuchtturm als Produktionsstätte betrachtet, wird darin eigentlich nichts Handfestes hergestellt – nur Signale.
Um aber auch etwas Positives zu sagen: Leuchttürme sehen außerordentlich schmuck aus und sorgen im Idealfall dafür, ein lädiertes Schiff auch bei hohem Seegang sicher in den Hafen zu leiten. Dazu ist es allerdings notwendig, dass die Leuchttürme nicht nur gemeinsam projektiert werden (die drei Wörter!), sondern dass man sie auch wirklich baut. Finster genug, dass man das Licht sehen würde, wäre es ja schon.