Über Geld spricht man nicht

30. Dezember 2024Lesezeit: 5 Min.
Kommentar von Heike Lehner

Heike Lehner ist freiberufliche Ökonomin. Ihre Spezialgebiete liegen im Bereich der Geldpolitik und Finanzwirtschaft, wozu sie aktuell ebenso promoviert.

Mittlerweile ist es eine alte Leier: Die Österreicher lassen zu viel Erspartes auf Girokonten und Sparbüchern liegen. Dadurch entgehen ihnen Millionen Euro. Vermögensaufbau ist unmöglich. Auch wenn immer mehr Österreicher ihr Geld klug investieren, sind es trotzdem noch viel zu wenige. Dafür fehlt auch noch das nötige Finanzwissen. Und vor allen Dingen der klare Blick dafür, was uns eigentlich verwehrt bleibt, wenn wir es nicht tun. Wenn wir weiterhin unser Geld vor allem auf Girokonten verrotten lassen und jegliches Investieren als böse Spekulation abtun. Ähnliches gilt auch auf europäischer Ebene. Die düsteren Aussichten in Bezug auf unser Wirtschaftswachstum sind hausgemacht. Mit unserem Handeln lassen wir Wohlstand auf der Straße liegen. Und das, obwohl genügend Geld da wäre. Aber gerade in Österreich wollen wir darüber nicht sprechen. Das wird uns immer stärker zum Verhängnis.

Die kommenden Jahrzehnte stellen uns vor enorme finanzielle Herausforderungen. Die EU schätzt, dass allein für die Bekämpfung des Klimawandels bis 2030 jährlich über 600 Milliarden Euro in der Union benötigt werden. Hinzu kommen immense Kosten für die Digitalisierung. Gepaart mit den nicht vorhandenen Kapazitäten der öffentlichen Haushalte eine fast ausweglose Situation. Doch das Problem ist nicht, dass es an Geld fehlt – es liegt vor allem daran, dass das vorhandene nicht effizient genutzt wird. Statt unser Geld für uns arbeiten zu lassen, parken wir es auf dem Sparbuch wie einen Oldtimer in der Garage – schön anzusehen, aber völlig unproduktiv.

Wir müssen diesen Herausforderungen gerecht werden. Es bleibt uns einfach nichts anderes übrig. Wir sind gezwungen, die Tatsache, dass unser Wohlstand in den vergangenen Jahren sowieso schon immer stärker bröckelt, endlich ernst zu nehmen. Und alles tun, damit dies in Zukunft nicht noch schlimmer wird. Die gute Nachricht ist: Es ist auch möglich. In dem Zusammenhang steht unser Finanzierungsmodell in der EU auf dem Prüfstand. Der Fokus vieler Unternehmen in der EU, insbesondere KMUs, bei ihrer Finanzierung lag bislang vor allem auf Bankkrediten. Die Märkte außerhalb sind daher in großen Teil der EU wenig entwickelt – und schon gar nicht über Ländergrenzen hinweg integriert. Die bisherigen Finanzierungsmöglichkeiten decken aber gerade die Bedürfnisse junger, innovativer Unternehmen oft nicht ab. Und das sind jene Unternehmen, die entscheidend für unser Wirtschaftswachstum sind. Die Lösung ist der Wandel hin zu einem stärker marktgestützten System. Kapitalmärkte ermöglichen nicht nur jungen Unternehmen den Zugang zu dringend benötigtem Wachstumskapital, sondern helfen auch etablierten Unternehmen, indem sie beispielsweise ihre Eigenkapitalbasis stärken. Das langfristige Kapital, das so in die Unternehmen fließt, wirkt Wunder: Gut entwickelte Finanzmärkte sind der Schlüssel für höhere Produktivität und Innovationen. Finanzielle Mittel werden besser von weniger produktiven zu den produktiveren Branchen verteilt als es in unserer zombifizierten Wirtschaft aktuell möglich ist. Auch wenn in Österreich das Motto „So haben wir’s aber immer schon gemacht“ gilt und eine dynamische Wirtschaft fast verpönt ist: Dieser Wandel ist überfällig, denn er bietet die Grundlage dafür, unser Wirtschaftswachstum langfristig zu sichern.

Und hier kommen die privaten Haushalte als Geldgeber ins Spiel. Denn die notwendigen Investitionen können nicht nur große Investoren tätigen, mit denen der normale Bürger nichts zu tun hat, sondern genauso Private. Zum einen direkt über Aktien und Anleihen, die sie selbst ankaufen. Und zum anderen beispielsweise via Pensionsfonds. Hier ist das klassische Beispiel Dänemark, wo Pensionsfonds eine wichtige Rolle spielen. Hier gibt es eine klare Verbindung zwischen den Investitionen von Pensionsfonds und Innovationen, die eben notwendig für dänischen Wohlstand sind. Auch grüne Innovationen fallen darunter, die für die Bekämpfung des Klimawandels essentiell sind. Die Beteiligung privater Haushalte spielt also eine entscheidende Rolle bei der Stärkung unserer Wirtschaft und der Förderung von Innovationen.

Die gesamtwirtschaftlichen Vorteile eines stärker marktbasierten Ansatzes in der EU – die vielbesprochene „Kapitalmarktunion“ – beziehen sich aber nicht nur auf Innovationen und Produktivität. Der Kontinent würde sich mit gut entwickelten Kapitalmärkten nach Wirtschaftskrisen rascher erholen. Das Stichwort ist hier Risikoteilung: Integrierte und ausgebaute Kapitalmärkte ermöglichen es, Investitionen breiter zu streuen – sowohl geografisch als auch über einzelne Wirtschaftssektoren hinweg. Wenn ein einzelnes Land oder eine bestimmte Branche von einem Abschwung betroffen ist, können Verluste durch Gewinne in anderen Regionen oder Sektoren ausgeglichen werden. Das bedeutet, dass Unternehmen und Haushalte in Krisenzeiten weiterhin Zugang zu Kapital haben, selbst wenn ihre heimischen Kreditmärkte unter Druck stehen. Dadurch bleibt das Wachstum stabiler, und die Wirtschaft kann sich schneller erholen.

Sich ans Investieren zu wagen ist also keine Einstiegsdroge zu böser Spekulation, sondern der Schlüssel zu mehr Stabilität und Wachstum. Auf europäischer Ebene gab es zwar bisher auch nur ein paar kleine Schritte in Richtung integrierte Kapitalmärkte, seitdem Jean-Claude Juncker im Jahr 2014 das erste Mal von der Notwendigkeit einer „Kapitalmarktunion“ sprach. Aber mehr als auf nationaler Ebene, die mindestens genauso wichtig ist. Und da ist von der österreichischen Politik bis auf ein paar Schritte zu einer besseren Finanzbildung bisher wenig passiert. Einen klaren Weg hin zu einem kapitalmarktbasierten Pensionssystem, vor allem im Zusammenhang mit mehr Investitionen in Pensionskassen, hat es bisher nicht gegeben. Hier wird es ein Umdenken geben müssen. Wir können dieses Thema nicht noch länger ignorieren, denn es ist gekommen, um zu bleiben. Aber dafür müssen wir all unseren Mut zusammennehmen. Und uns endlich bewusst werden, dass wir über Geld sprechen müssen.