Der Teilzeit-Boom ist eine sehr kurzsichtige Sache

16. Mai 2024Lesezeit: 3 Min.
Sara Grasel Illustration
Kommentar von Sara Grasel

Sara Grasel ist Chefredakteurin von Selektiv. Sie ist seit fast 20 Jahren Wirtschaftsjournalistin mit Stationen bei „Die Presse“, Trending Topics und brutkasten. Zuletzt war sie Chefredakteurin der Magazine der Industriellenvereinigung.

Da in letzter Zeit der Ruf nach Arbeitszeitverkürzungen laut wird, ist vielleicht genau der richtige Moment für die frischen Arbeitsmarkt-Zahlen der Statistik Austria. Auch die zeigen: In Österreich wird gar nicht so übermäßig lang gearbeitet. Vor allem bei Teilzeitbeschäftigungen sind wir nach wie vor Spitzenreiter – Platz 2 im EU-Vergleich. Die Teilzeitquote stieg im Jahresvergleich mit 30,9 Prozent zwar nur geringfügig (2022: 30,5 Prozent) – aber ganz ehrlich: das Niveau ist ohnehin schon zu hoch. Etwas mehr als die Hälfte der berufstätigen Frauen arbeitet in Teilzeit, bei Männern sind es 13,4 Prozent (2022: 12,6 Prozent). Mit Betreuungspflichten lässt sich dass nur zum Teil erklären – fast 60 Prozent aller teilzeitbeschäftigten Frauen haben keine Betreuungsaufgaben für Kinder oder pflegebedürftige Erwachsene. Unter zehn Prozent der Teilzeit-Männer arbeiten nicht Vollzeit, weil sie andere Menschen betreuen müssen.

Die öffentlichen Kinderbetreuungsangebote auszubauen ist richtig, aber sicher kein Allheilmittel für den Arbeitsmarkt. Wer kleine Kinder hat, weiß, dass man sie in der Regel nicht von 8 Uhr bis 18 Uhr im Kindergarten lassen würde, selbst wenn das möglich wäre – wenn man eine andere Chance hat. Hinzu kommt, dass sich ein Aufstocken auf Vollzeit in Österreich finanziell kaum lohnt. Erhöht eine Teilzeitkraft die Wochenarbeitszeit von 20 auf 30 Stunden (+50 Prozent), steigt ihr Nettolohn um 33,8 Prozent – bei einer Verdoppelung der Arbeitszeit um nur 67,5 Prozent. Damit befindet man sich im unteren Drittel aller EU-Länder. Da muss man glatt aufpassen, dass sich nicht immer mehr Vollzeit-Menschen überlegen, weniger zu arbeiten, weil der finanzielle Verlust eh nicht so wild ist. Anreize für einen starken Arbeitseinsatz, der hilft, Österreich über die aktuell wirtschaftlich schwierige Zeit zu tragen, sehen anders aus.

Es gibt natürlich auch viele gute, finanzielle Gründe für jede Einzelne und jeden Einzelnen, mehr zu arbeiten – da wäre die staatliche Pensionsvorsorge (dass Altersarmut weiblich ist, kommt nicht von ungefähr) oder auch das „Lebenseinkommen“. Eine Verringerung der Arbeitszeit auf 80 Prozent über das Berufsleben hinweg würde laut Berechnungen von Ökonomen durchschnittlich zu 400.000 Euro weniger Einkommen führen – das wäre dann schon zum Beispiel eine Eigentumswohnung. Was aus diesen 400.000 Euro werden könnte, wenn Geldanlage in Österreich verbreitet wäre, ist eine andere Geschichte.

Und nicht zuletzt gibt es auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Wer mehr arbeitet (und dadurch brutto mehr verdient), leistet auch mehr Einkommensteuer, die einen großen Anteil der Staatseinnahmen ausmacht. Kurzum: Wer mehr arbeitet, trägt meist auch mehr zum Sozialsystem bei. Beunruhigend ist, dass die Gruppe der Einkommensteuer-Zahler schrumpft. Vor 20 Jahren betrug die Gruppe derjenigen, die keine Einkommensteuer bezahlt haben, bei rund einem Viertel, nun ist diese Zahl auf rund 34 Prozent angewachsen.

Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Bildungskarenzen, Begrünungsprojekte in dicht verbautem Stadtgebiet: Mehr Menschen, die weniger arbeiten, bei gleichbleibenden Leistungen des Gemeinwesens – das wird eng. Das ist eigentlich recht leicht zu verstehen, dennoch ist die Empörung groß, wenn Industrievertreter eine Kürzung der Sozialleistungen für Menschen fordern, die freiwillig weniger arbeiten und damit auch weniger beitragen.

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