Teilzeit auf Vollzeit: Aufstocken lohnt sich einfach nicht

9. Juli 2024Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Daniel Varro

Univ.-Prof. MMag. Dr. Daniel Varro, LL.M. hat Rechtswissenschaften und Betriebswirtschaft in Wien und Liechtenstein studiert. Er war als Rechtsanwalt bei einer internationalen Kanzlei tätig und danach wirtschaftspolitischer Berater im Kabinett der Bundeskanzlerin sowie stellvertretender Kabinettchef im Finanzministerium. Seit 2022 ist er Universitätsprofessor für Steuerrecht und nachhaltige Steuerpolitik an der Universität für Weiterbildung Krems. Dr. Varro ist auf nationales und internationales Steuerrecht spezialisiert, insbesondere auf Einkommensteuer, Verkehrssteuern und Stiftungsrecht, und publiziert regelmäßig in seinem Fachgebiet.

Der Arbeitskräftemangel ist zweifelsfrei ein Hemmschuh für das Wirtschaftswachstum – dabei gäbe es im Inland noch eine Menge Potenziale zu heben. Nach einer EY-Studie gaben 82 Prozent der befragten Unternehmen an, dass es ihnen derzeit schwer falle, neue und ausreichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Laut dem Austrian Business Check des KSV1870 vor etwa einem Jahr gaben 58 Prozent der österreichischen Unternehmen an, von akutem Personalmangel betroffen zu sein. Somit ist der Fachkräftemangel eine der großen Herausforderungen für die österreichische Wirtschaft und somit auch für den Erhalt des Wohlstands.

In der Pension weiterarbeiten

Auf der Suche nach Fachkräften gibt es mehrere Ansatzpunkte. An erster Stelle muss stets eine gute Familienpolitik stehen, damit sich niemand zwischen Familie und Karriere entscheiden muss. An zweiter Stelle müsste die Hebung des Arbeitskräftepotenzials im Inland stehen. Daher ist es nicht nachvollziehbar, warum Pensionistinnen und Pensionisten, die freiwillig in der Pension weiterarbeiten wollen, nicht vollständig vom Pensionsbeitrag entlastet werden. Für Pensionisten würde das eine bessere soziale Eingliederung ermöglichen und sie könnten ihre Erfahrungen weitergeben. Gleichzeitig wäre das eine effiziente Maßnahme gegen Altersarmut. Leistung wird aber auch in diesem Fall nicht belohnt, sondern bestraft.

Eine weitere einfache Möglichkeit, um das Arbeitskräftepotenzial zu heben, wäre es, Teilzeitkräfte dazu zu motivieren, auf Vollzeit aufzustocken. Denn in Österreich steigt die Teilzeitquote seit Jahrzehnten. Diese Entwicklung ist nur schwer mit dem beobachteten Unmut darüber zu vereinbaren, dass sich immer weniger Personen etwas leisten oder aufbauen können. Denn gerade dann müsste man wieder mehr arbeiten und nicht weniger.

Keine neuen Vollzeitstellen

Im Jahr 2023 lag die Teilzeitquote bei 30,9 Prozent (50,6 Prozent bei Frauen und 13,4 Prozent bei Männern). Besonders interessant ist die Entwicklung der Anzahl der Vollzeitstellen: Im Jahr 1992 gab es noch 3,1107 Mio. Vollzeitstellen; im Jahr 2023 nur noch 3,0956 Mio. Somit hat Österreich in den letzten 31 Jahren keine einzige neue Vollzeitstelle geschaffen. Demgegenüber stieg die Anzahl der Teilzeitstellen von 310.000 (1992) auf 1,3874 Mio. im Jahr 2023 (Statistik Austria: Erwerbstätige und unselbständige Erwerbstätige).

Die Statistik Austria erhebt auch die Gründe für die Teilzeittätigkeit. Es gibt in der Tat etwa 446.100 Personen bei denen Kinderbetreuung oder pflegebedürfte Personen der Grund für Teilzeit sind. Gerade diese Personen verdienen auch viel Respekt, weil nichts mehr Werte vermittelt (und somit nichts für ein Land wichtiger ist) als die Familien. Es gibt auch etwa 90.500 Personen, die keine Vollzeitstelle gefunden haben. Viele sind zudem begleitend in Aus- oder Weiterbildung. Aber es gibt in Österreich 354.400 Personen, die offenbar keine Vollzeittätigkeit wünschen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Vollzeit auch nicht immer 40 Stunden bedeutet, sondern in zahlreichen Kollektivverträgen bereits 38,5 Stunden als Vollzeit gelten.

40 Prozent Abgabenlast auf den Mehrbetrag

Das Bruttojahreseinkommen eines ganzjährig Vollzeitbeschäftigten betrugt im Jahr 2022 47.855 Euro (Median; arithmetisches Mittel: 57.343 Euro). Das entsprach im Jahr 2022: 3.418 Euro, 14 mal. Möchte eine Person im Jahr 2024 mit durchschnittlich 50 Prozent Teilzeit (1.709 Euro / Monat) oder 75 Prozent Teilzeit (2.563,50 Euro / Monat) aus 2022 auf 100 Prozent Vollzeit aufstocken, dann beträgt die Abgabenbelastung in beiden Fällen für den Aufstockungs- bzw. Mehrbetrag etwa 40 Prozent (ohne Berücksichtigung von besonderen Verhältnissen, wie Kinder, Pendler, etc.). Die durchs Aufstocken erhöhten Dienstgeberbeiträge fürs Aufstocken wurden bei dieser Berechnung noch gar nicht berücksichtigt.

Diese hohe Abgabenlast ist ein negativer Motivationsanreiz für das Aufstocken, weil der Grenznutzen für den Mehrbetrag zu gering sei. Da es immer weniger Einkommensteuerzahler gibt, sich die Last auf immer weniger Schultern verteilt, sollte somit überlegt werden, wie Vollzeitarbeit in Österreich wieder attraktiver gemacht werden könnte und wie auch diejenigen unterstützt werden könnten, die mehr machen möchten, aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht können.

Meistgelesene Artikel