Sorry: Ohne Migration wird es nicht gehen

23. August 2024Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Georg Renner

Georg Renner ist freier Journalist in Niederösterreich und Wien mit Fokus auf Sachpolitik. Er publiziert unter anderem für „Datum“ und „WZ“, zuvor war er nach Stationen bei der „Presse“, „NZZ.at“ und „Addendum“ Innenpolitikchef der „Kleine Zeitung“.

Ein beträchtlicher Teil des Nationalratswahlkampfs – auch, aber nicht nur ausgelöst durch die in den Umfragen uneinholbar führende FPÖ – dreht sich darum, wie man Migration nach Österreich am besten verhindert. Das mag angesichts der negativen Folgen der Zuwanderung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte – von einem überforderten Bildungssystem über ethnische Konflikte in Wiener Parks bis zur Überrepräsentation von Ausländern in der Kriminalstatistik – verständlich sein; zu suggerieren, dass man Migration einfach so abdrehen kann und dann wäre alles gut, ist aber zumindest grob fahrlässig.

Denn bei einer Fertilitätsrate von 1,3 – Tendenz seit Jahren sinkend – und einer Bevölkerungspyramide, deren Babyboomer-Schwarte gerade ins Pensionsalter hinüberdriftet, würde die Bevölkerung im Erwerbsalter ohne Migranten schrumpfen. Die Folgen: Nicht nur, dass an allen Ecken und Enden Arbeitskräfte fehlen würden – auch die stärkste Konsumenten- und Steuerzahler-Kohorte würde schrumpfen. Und mit ihr unser Wohlstand: Unternehmen müssten ihre Produkte teurer anbieten, um die durch das schrumpfende Angebot an Arbeitskräften steigenden Lohnkosten zu decken; gleichzeitig müsste der Staat mangels Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen noch mehr sparen.

Kurz gesagt ist es eigentlich recht einfach: Man kann ein Geburtenplus haben, dann braucht man keine Migration, um den Wohlstand zu erhalten.

Man kann ein Geburtendefizit haben und es mit Migration ausgleichen, damit der Wohlstand weiter wächst.

Oder man kann keinen Geburtenzuwachs haben und Migration verhindern – aber dann wird der Wohlstand im Land sinken.

Und nachdem die Österreicherinnen und Österreicher nicht von heute auf morgen ihre Gebärfreude neu entdecken dürften, keine Partei sich hinzustellen traut und ankündigt, dass wir alle den Gürtel deutlich enger schnallen müssen und sich leider auch kein absehbares Produktivitätswunder ankündigt, bleibt nur die Variante, dass wir auf absehbare Zeit weiter viel Zuwanderung brauchen werden.

Wenn man die Populisten von ganz links und ganz rechts damit konfrontiert, die die bösen Ausländer draußen halten wollen – die einen, weil sie alles Fremde generell nicht mögen, die anderen, weil sie Angst haben, dass sie ihnen die Arbeit wegnehmen –, heißt es oft, „wir wollen ja eh Migration, aber halt nicht DIESE Migration.

Ja, eh. Natürlich wäre es für alle Beteiligten einfacher, wenn mehr Deutsche, Schweizer oder Südtiroler nach Österreich kämen, um hier zu arbeiten, statt Syrern, Afghanen oder Rumänen: Menschen, denen man nicht erst lang Deutsch beibringen muss, die sich aufgrund kultureller Nähe leichter tun würden, sich ins Volk zu integrieren. Unangenehmerweise haben die meisten Deutschen, Schweizer und anderen Mitteleuropäer aber tendenziell Besseres zu tun, als nach Österreich zu kommen, um hier zu arbeiten – zum Beispiel, den Arbeitskräftemangel in ihren Heimatländern auszugleichen, unter dem sie genauso leiden.

Nein, wenn die Republik weiter an ihren Wohlstandsversprechen festhält – mit hohen Löhnen, einem üppigen Sozialsystem und relativ großzügigen Pensionen –, dann wird sie weiterhin auf Einwanderung aus Weltgegenden setzen müssen, die weit weniger entwickelt sind und deren Bewohner es schwer haben, sich hier zu integrieren – schon einfach deswegen, weil international längst ein Wettbewerb um Arbeitskräfte eingesetzt hat.

Natürlich ist das Asylsystem die ungeschickteste Variante, diese Zuwanderung zu managen – schon allein, weil damit viel mehr Rechte verbunden sind als mit einer ordentlichen Wirtschaftszuwanderung nach Österreich. Eine der Hauptaufgaben der nächsten Regierung wird sein, das in geordnetere Bahnen zu lenken.

Aber niemand sollte sich Illusionen machen, dass diese Zuwanderung völlig anders ausschauen würde als jene, die jetzt als großes Problem wahrgenommen wird: Das werden ebenfalls tendenziell ärmere Menschen aus fremden Kulturkreisen sein, die bei ihrer Ankunft noch kein Deutsch sprechen.

Kluge Politik sollte daran arbeiten, die Neuankömmlinge möglichst schnell zu integrieren – und sie durch überarbeitete Sozialsysteme und Niederlassungsbestimmungen dorthin zu steuern, wo sie schnell Arbeit und Anschluss finden. Wer verspricht, die Migration zu stoppen, redet dagegen nur der Verarmung Österreichs das Wort.

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