„Schauma“ – Das Motto einer endlosen Regierungsbildung
Alexander Purger ist Redakteur der Salzburger Nachrichten und schreibt die satirische Kolumne „Purgertorium“. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter der Kanzlerbiografie „Wolfgang Schüssel – Offengelegt“.
In Frankreich oder England müsste man sein. Als der französische Präsident Emmanuel Macron am 9. Juni Parlamentswahlen ausrief, fanden diese Wahlen drei Wochen später statt. In Österreich dauert das mindestens drei Monate. Als der britische Oppositionschef Keir Starmer am 4. Juli die Wahl gewann, war er am 5. Juli neuer Premierminister. In Österreich dauert das … „schauma“.
Österreichs Politik hat wenig Geld, wenig Ideen und wenig Gemeinsamkeiten, aber sie hat eines im Überfluss: Zeit, ganz viel Zeit.
Fast zwei Wochen sind seit der Wahl vergangen und was ist seither weitergegangen? Alle Parteichefs haben einmal in der Hofburg vorgesprochen. Und wie finden wir das? „Super“, um mit dem Herrn Bundespräsidenten zu sprechen. Und das ist es zweifellos auch. Denn während Österreich gebannt auf die rote Tapetentüre mit dem Ananasmuster starrt, wartet der Rest der Welt selbstverständlich. Es gibt keine weltpolitischen Entwicklungen, keine wirtschaftspolitischen Herausforderungen, keine Probleme oder Reformerfordernisse weit und breit – nichts, worauf Österreich reagieren müsste. Wir haben alle Zeit der Welt.
Und das ist, bitte, auch notwendig. In einem Land, dessen geheime Hymne „Glücklich ist, wer vergisst“ lautet, muss man bei Regierungsbildungen schließlich auch die Vergessenskurve einpreisen. Und zwar gleich zweifach. Zum einen muss jede Partei X vergessen, was sie im Wahlkampf über jede andere Partei Y, mit der sie jetzt vertrauensvoll in der Regierung zusammenarbeiten will, an Unrat ausgegossen und von ihr an Unflat zu hören bekommen hat. Das dauert. Und zum anderen müssen die Parteien X und Y abwarten, bis ihre Wähler vergessen haben, was sie ihnen im Wahlkampf alles versprochen haben. Nichts davon können X und Y halten, also müssen sie warten, bis in der p.t. Wählerschaft das glückliche Vergessen einsetzt.
Wobei: Ein Rest der Wahlversprechen kann schon unvergessen bleiben. Dieser Rest erledigt sich dann in der Regierung von selbst. Denn der tiefere Sinn einer Koalition ist es ja, dass X sich dann auf Y ausreden kann, warum kein einziges X-Wahlversprechen erfüllt wird, und umgekehrt. Noch besser funktioniert das (und deshalb wird jetzt so eingehend darüber diskutiert) in einer Dreierkoalition. Denn dann hat X mit Y und Z gleich zwei Alibis. Und umgekehrt.
Ganz schlecht ist in dieser Beziehung eine Alleinregierung, weil es da niemanden gäbe, auf den man sich ausreden könnte, wenn man seine Wahlversprechen nicht hält. Das ist übrigens der wahre Grund, warum sämtliche österreichische Parteien eine so, na sagen wir, ausbaufähige Leistung erbringen: Sie wollen unbedingt vermeiden, dass sie eine absolute Mehrheit bekommen und dann keine Ausreden mehr hätten …
Na ja, und so warten wir halt auf die nächste Koalitionsregierung. Schauma.