Schaffen Unternehmen Arbeitsplätze, wenn sie können?

21. Mai 2024Lesezeit: 4 Min.
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Kommentar von Sara Grasel

Sara Grasel ist Chefredakteurin von Selektiv. Sie ist seit fast 20 Jahren Wirtschaftsjournalistin mit Stationen bei „Die Presse“, Trending Topics und brutkasten. Zuletzt war sie Chefredakteurin der Magazine der Industriellenvereinigung.

Sie denken sich jetzt sicher, was für eine Gretchenfrage! ÖGB-Ökonomin Miriam Fuhrmann tat sich mit der Beantwortung am Dienstag aber sichtlich schwer. Sie trat als Expertin bei einer Pressekonferenz der Arbeiterkammer auf, bei der diese versuchte, gegen eine von Wirtschaftsvertretern oft geforderte Senkung der Lohnnebenkosten Stimmung zu machen. Befürworter einer Senkung würden oft ins Treffen führen, dass bei geringeren Arbeitskosten Arbeitsplätze geschaffen würden – was Fuhrmann davon halte, fragte eine Journalistin. Dieses Argument sei lediglich vorgeschoben, lautete die Antwort. Der Effekt auf die Beschäftigung sei gering. Keine weiteren Details, obwohl es sie gibt.

Erst kürzlich machte sich das Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria die Mühe einer Simulation und die entsprechende Studie ist vollumfänglich und frei zugänglich. Was passiert also, wenn man einen konkreten Teil der Lohnnebenkosten um einen Prozentpunkt senkt? Die Beschäftigung stiege laut Simulation im ersten Jahr 2025 um 10.500 Personen, im Jahr darauf noch einmal um 11.500 Personen und so weiter – die Projektion von EcoAustria reicht bis 2040, wo auch noch ein (wenn auch geringerer) Effekt der Senkung zu erwarten ist. Jetzt kann man natürlich meinen, dass 10.000 Arbeitsplätze pro Jahr nicht viel sind – das hört man sonst von ÖGB und Arbeiterkammer aber wohl eher selten.

Ganz allgemein hat Sybille Pirklbauer, bei der AK zuständig für „Sozialstaatsfinanzierung“, eine Senkung der Lohnnebenkosten als Desaster für den Sozialstaat „geframed“, wie man in Polit-Deutsch so schön sagt. Bisherige Senkungen hätten den Sozialstaat seit 2015 um Einnahmen von kumuliert 16 Milliarden Euro gebracht. Und mehr Netto vom Brutto sei auch niemandem geblieben. Laut der Studie von EcoAustria wäre bei einer Senkung der Lohnnebenkosten sehr wohl ein deutlicher Effekt auf die Einkommen zu erwarten. Im Kern ist das in dieser Debatte aber eine Themenverfehlung. Es geht ja um Beiträge, die Kosten bei Unternehmen verursachen. Das wiederum sorgt für hohe Lohnstückkosten im Vergleich zu anderen Ländern. Für die exportintensive österreichische Industrie, die sich am Weltmarkt behaupten muss, nicht gerade förderlich. Das sieht Pirklbauer übrigens anders – Österreich nehme nicht über Preise am internationalen Wettbewerb teil.

Jedenfalls sind die hohen Lohnstückkosten für Unternehmen ein Standortfaktor, der vielleicht dazu führt, dass das ein oder andere neue Werk woanders errichtet wird – die Arbeitsplätze entstehen dann natürlich auch nicht hier. Und die Wertschöpfung auch nicht. Schon eine geringe Senkung der Lohnnebenkosten hätte eine spürbare Wirkung auf das Wirtschaftswachstum in Österreich, wie die Studie von EcoAustria deutlich macht. Ein Prozentpunkt weniger sorgt mittelfristig für ein zusätzliches BIP-Wachstum um die 0,25 Prozent, das sind gemessen am BIP 2023 1,2 Milliarden Euro, aber auch für höhere Nettoeinkommen und eine höhere Beschäftigung. Das alles wiederum sorgt automatisch für höhere Steuereinnahmen aus anderen Steuern und Abgaben, was dazu führt, dass sich die Senkung zu Beginn ungefähr zur Hälfte und mittelfristig sogar noch stärker selbst finanziert. Durch mehr Effizienz in der Verwaltung wäre ziemlich sicher der Rest zu stemmen. Dass ein gut ausgebautes Sozialsystem auch mit niedrigeren Lohnnebenkosten möglich ist, zeigen Länder wie Dänemark oder Schweden.

Nur Wachstum kann die Finanzierung des Sozialstaats nachhaltig sichern. Weniger Wirtschaftsleistung bedeutet auch geringere Steuereinnahmen und umgekehrt. Eigentlich eine einfache Rechnung, könnte man meinen. Mehr Netto vom Brutto, wie Pirklbauer meint, ist natürlich grundsätzlich keine schlechte Idee – das würde den eigenverantwortlichen Vermögensaufbau fördern. Da gibt es noch einen anderen Ansatzpunkt: Ein großer Teil der steuerlichen Belastung von Arbeitseinkommen wird nämlich auch von Arbeitnehmern getragen. Bei Gehaltserhöhungen ist das schmerzhaft spürbar und leider auch beim Aufstocken von Teilzeit auf Vollzeit, das sich aufgrund des progressiven Steuersystems oft kaum auszahlt. Warum sich ausgerechnet Arbeitnehmervertreter so vehement gegen eine Lohnnebenkostensenkung wehren, die positive Effekte auf Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und Löhne hätte, bleibt ein Rätsel.

Zur Studie von EcoAustria.

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