Pensionen: Österreichs Reformunwille ist ein teurer Spaß
Sara Grasel ist Chefredakteurin von Selektiv. Sie ist seit fast 20 Jahren Wirtschaftsjournalistin mit Stationen bei „Die Presse“, Trending Topics und brutkasten. Zuletzt war sie Chefredakteurin der Magazine der Industriellenvereinigung.
Bis 64 arbeiten. Diese Aussicht brachte in Frankreich vergangenes Jahr die Stimmung zum Überkochen. Die Erhöhung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters um nur zwei Jahre führte zu heftigen Protesten und teilweise sogar gewaltsamen Auseinandersetzungen. Wochenlang wurde in Teilen von Paris aufgrund von Streiks kein Müll abgeholt. Dabei ist 64 eh vergleichsweise jung. In Dänemark müssen Menschen ab 2035 bis 69 arbeiten – die Lebenserwartung jener Geburtsjahrgänge ist höher als noch einige Jahre zuvor. Das dänische Pensionssystem gilt übrigens international als Musterbeispiel.
In Österreich will man sich die Debatte über das Pensionsantrittsalter gar nicht erst antun. Das gesetzliche Antrittsalter liegt derzeit bei 65 (für Frauen wird es von derzeit 60 bis 2033 auf 65 angehoben), das faktische bei 61 (früher als 1970!). Am besten rührt man das Thema Pensionen gar nicht an. Schon gar nicht im Wahlkampf – zu viele Wahlberechtigte könnten sich wie in Frankreich in einen wütenden Mob verwandeln. Besser wäre es natürlich, wenn die vielen Menschen nicht empört protestieren, sondern freiwillig länger arbeiten. Ein Versuch, mit Anreizen zu arbeiten, statt am Antrittsalter zu rühren, ist die Abschaffung von Abgaben und Steuern für arbeitende Pensionisten – zuletzt von der ÖVP in den Wahlkampf eingebracht. Das ist sicher ein guter Ansatz, reichen wird das nicht.
In Österreich kommen derzeit ungefähr drei Arbeitnehmer auf einen Pensionisten. Bis 2050 sollen es nur noch zwei sein. Das ist ein wichtiger Richtwert, da die erste Säule des Pensionssystems in Österreich – also die staatliche Pension – auf dem Umlageverfahren beruht. Das bedeutet, dass die Einzahlungen der Menschen, die arbeiten, direkt in die Pensionen der derzeitigen Ruheständler fließen. Das Geld reicht aber nicht und es reicht immer weniger. Also muss der Staat aus dem Bundesbudget zuschießen. Derzeit sind das rund 30 Milliarden Euro. Fast ein Viertel der Staatsausgaben. Bis 2050 kumulieren sich die Kosten laut Industriellenvereinigung auf eine Billion Euro – eine Dimension, die man im Zusammenhang mit dem Staatshaushalt in Österreich eher selten hört. Bei einem Defizit, das an der Grenze zum EU-Defizitverfahren kratzt, ist das natürlich ein Brocken, den sich eine zum Sparen angehaltene kommende Regierung ansehen sollte.
Was also tun? Die erste Säule lässt sich durch eine Anhebung des Antrittsalters stärken – am besten durch eine Kopplung an die Lebenserwartung, wie das in Ländern wie Dänemark oder Schweden bereits der Fall ist. Die höhere Lebenserwartung schlägt nämlich ganz schön zu Buche. Laut Europäischer Kommission würde eine Erhöhung der Lebenserwartung bei der Geburt um zwei Jahre bis zum Jahr 2070 die Pensionsausgaben um zusätzliche 0,7 Prozent des BIP steigen lassen. Umgekehrt würde ein um ein Jahr späterer Pensionsantritt den Zuschussbedarf in die Pensionsversicherung um rund 2,8 Milliarden Euro reduzieren, wie die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage 2022 ergab.
Wichtig wäre aber auch eine Stärkung der privaten Vorsorge. In Dänemark sind die betriebliche und die private Pensionsvorsorge wesentlich stärkere Säulen des Systems. Die Kritik an der Veranlagung der Pensionen durch private Pensionskassen – zuletzt etwas ungeschickt aus SPÖ-Richtung – ist kaum nachvollziehbar. In Österreich wird übrigens laut Kontrollbank sogar recht konservativ veranlagt – betriebliche Pensionskassen legen 44 Prozent in Anleihen (oft niedrig verzinste Staatsanleihen) an und nur 38 Prozent in Aktien und 16 Prozent in Immobilien. Wäre doch schön, wenn man privat von den Renditen am Aktienmarkt profitieren könnte, wenn man das möchte – mit seinem eigenen Anlageverhalten. Aus dem Vorsorgedepot, mit dem man sich nach einer bestimmten Haltefrist die Kapitalertragsteuer von satten 27,5 Prozent auf die für die Altersvorsorge bestimmten Gewinne spart, ist ja leider nichts geworden. Im Umlageverfahren der staatlichen Pensionsversicherung gibt es übrigens gar keine Rendite. Die Stärkung der zweiten und dritten Säule des Pensionssystems wäre ganz nebenbei auch eine massive Stärkung des Kapitalmarkts, wie gerade Dänemark zeigt. Nur mit immer höheren Staatsausgaben werden wir nicht weit kommen.