Österreich hat gewählt und ist jetzt verzweifelt ratlos
Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.
Eigentlich ist doch alles so einfach. Österreich hat gewählt und ist jetzt verzweifelt ratlos. Über Nacht kommen die wahren Probleme auf den Tisch, über die im Wahlkampf trügerisch geschwiegen wurde. Österreich hat massiv an Konkurrenzfähigkeit verloren (welch ein Wunder auch, bei fast zehn Prozent Lohn- und Pensionserhöhungen). Österreich steckt tiefer in einer Wirtschaftskrise als gedacht (nachdem Deutschland in großer moralischer Geste seine Autoindustrie zugunsten der Weltklima-Rettung ruiniert, leidet auch die heimische Zulieferindustrie). Und nachdem über Jahre von einer vorgeblich bürgerlich geführten Regierung Milliarden als „Helikoptergeld“ verstreut wurden (ohne, dass der Wähler dafür gedankt hätte), klafft eine Budgetlücke. Wer konnte so etwas annehmen? Überraschung. Auch die Wirtschaftsforscher (sie revidieren im Monatstakt ihre „Prognosen“) haben zuerst dem Finanzminister zur Erhaltung der Kaufkraft Milliarden-Ausgaben vorgeschlagen, um danach dessen Großzügigkeit zu rügen. Der wirklich sympathische Magnus Brunner konnte sich noch rechtzeitig nach Brüssel absetzen, ehe das Desaster bekanntgemacht werden durfte. Und jetzt also Koalitionsverhandlungen.
Wir dürfen davon ausgehen, dass jede Menge Schaum geschlagen, heiße Luft produziert wird. Dabei ist jedermann klar, dass vor den steirischen Landtagswahlen Ende November, vielleicht gar bis nach den Burgenlandwahlen im Jänner nichts Substantielles passieren wird, obwohl etwas passieren müsste. Kickl dichtet ja schon an seiner Version der „Dolchstoßlegende“ in den steirischen Bierzelten, dem soll eine rasch zusammen gezimmerte schwarz-rot-rosa Dreierkoalition nicht Vorschub leisten. Hinter den Kulissen wird hoffentlich Tacheles geredet, aber nicht einmal davon kann man angesichts des Zustands der Sozialpartnerschaft und der Schwäche einstiger Landesfürsten ausgehen. Die Koalitionsvarianten und die alternative personelle Aufstellung, die derzeit so kolportiert werden, stimmen nicht besonders heiter. Angesichts der heimischen Lage und des realpolitischen Stillstands, können wir die kommenden Wochen getrost dorthin schauen, wo echte Weichen für Europa gestellt werden. In die USA.
Amerika wählt am 5. November und wer als Präsident/in ins Weiße Haus einziehen wird, muss uns mehr interessieren, als manches, was bei uns hinter einer roten Tapetentür passiert. Ausgang ungewiss. Sicher ist nur: für Europa (wir sind ein kleiner Teil davon) wird es ungemütlich. Die Kalifornierin Kamala Harris schien nach dem Rückzug von Präsident Biden plötzlich Aufwind zu verspüren, sie hat aber seit der erfolgreichen TV-Debatte mit Trump wieder stark an Momentum verloren. Beim einigermaßen antiquierten Wahlrecht in den USA zählt ja nicht, wer landesweit am meisten Stimmen bekommt, sondern wer in einigen wenigen Bundesstaaten vorne liegt. Und da scheinen die Republikaner ihre Anhänger zu mobilisieren. US-Bürger sind nicht automatisch wahlberechtigt, die Wählerin und der Wähler müssen sich aktiv registrieren. Und da sind die Roten (also die Republikaner) offenbar besser aufgestellt, als die Blauen (Demokraten). Neben der gefühlten Teuerung („If you want to know, why people vote Trump, go to the supermarket“), ist die Drogenkrise im ländlichen Amerika ein starkes Wahlmotiv. Seit Jahren werden die USA mit Fentanyl, einem billigen Opioid, überschwemmt. Es ist bis zu hundert Mal „stärker“ als herkömmliche Rauschgifte. Die Zahl der Drogentoten aufgrund einer Überdosis ist erschreckend. Ohne die tieferen gesellschaftlichen Ursachen zu verstehen, wird der Fentanyl-Schmuggel mit illegaler Migration aus Lateinamerika verknüpft. Eltern haben Angst um ihre Kinder – ein starkes Motiv.
Politik ist ja oft sehr einfach, gar schlicht. Um den unergründlichen Wählerwillen zu ergründen, bedarf es nicht immer hochtrabender Analysen, es braucht nur das Gespräch mit „Normalbürgern“ – jedenfalls im „wilden“ Westen Amerikas. Dort ist Wahlwerbung so simpel, wie bei uns kaum vorstellbar (oder doch?). Donald Trumps Anhänger plakatieren die Botschaften ihres Idols einfach im Vorgarten: „Stop Immigration“ – „Law and Order“ und „No Woke Society“.
Hat nicht in Österreich die FPÖ und ihr Kandidat Herbert Kickl mit diesen Forderungen gewonnen? Die Freiheitlichen mussten nicht einmal Klartext plakatieren, die gut 1,4 Millionen Wählerinnen und Wähler haben diese Themen der FPÖ einfach zugeschrieben. Und wollten damit ein Signal setzen. In einem ist das – mittlerweile von 58 Prozent der US-Bürger abgelehnte – Wahlmänner-System unserem überlegen: In Washington müssen nie Koalitionsverhandlungen geführt werden. The winner takes it all (falls der Verlierer das auch so akzeptiert).