Ob Kickl Kanzler wird, ist alles andere als klar

9. Januar 2025Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Georg Renner

Georg Renner ist freier Journalist in Niederösterreich und Wien mit Fokus auf Sachpolitik. Er publiziert unter anderem für „Datum“ und „WZ“, zuvor war er nach Stationen bei der „Presse“, „NZZ.at“ und „Addendum“ Innenpolitikchef der „Kleine Zeitung“.

Die Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos sind gescheitert, die Volkspartei liegt de facto führungslos am Boden, der Bundespräsident hat FPÖ-Chef Herbert Kickl beauftragt, eine Bundesregierung zu bilden. Alles klar, das wird blau-schwarz, Kickl wird Kanzler und kann praktisch zu hundert Prozent das blaue Programm durchziehen, praktisch unaufhaltbar, oder?

Nun, ich wäre mir da nicht so sicher.

Ja, die Wahrscheinlichkeit und politische Logik spricht jetzt, nach der 180-Grad-Wende der ÖVP in Sachen Kickl, eher für als gegen eine blau-schwarze Koalition. Und wenn man einmal über die Versicherungen zahlreicher VP-Funktionäre vom neuen Parteichef abwärts, ganz sicher nie, nie, nie mit der Kickl-FPÖ zusammenzuarbeiten, hinwegsieht, ist das ja durchaus nachvollziehbar: Die FPÖ hat die Nationalratswahl klar für sich entschieden, man regiert mittlerweile mehr als die Hälfte der Bundesländer gemeinsam, in Teilen des Programms ist man weitgehend einig, und die ÖVP würde bei einer Neuwahl abgestraft, die FPÖ stark gewinnen.

Alles richtig. Aber es gibt auch eine ganze Reihe an Fallstricken.

Erstens: Der Erfolg der Freiheitlichen ist kein absoluter. Die Partei ist mit 29 Prozent der Stimmen zwar die stärkste der drei mittelgroßen Parteien geworden – aber bei weitem nicht so deutlich, wie das etwa bei der Volkspartei unter Sebastian Kurz der Fall war. Im Nationalrat stehen 57 blaue 51 schwarzen Abgeordneten gegenüber; praktisch sind das also Koalkitionsgespräche unter zwei gleich starken Parteien.

Ob das demonstrative Misstrauen und die Härte, mit der Kickl diese Woche die Volkspartei zu Verhandlungen geladen hat, (so nachvollziehbar beides sein mag,) in diesem Szenario eine kluge Taktik sind, darf man bezweifeln.

Denn, zweitens: Die ÖVP ist selber skeptisch – und sie hat, anders als die FPÖ, Optionen. Besonders jenen in der Volkspartei, denen Österreichs und Europas Institutionen wichtig sind – und das sind in einer bürgerlichen Partei nicht wenige – werden darauf drängen, die außenpolitische Verlässlichkeit der Republik in einem Koalitionspakt festzuschreiben. Verweigern die Freiheitlichen das, könnte die Volkspartei ihrerseits den Verhandlungsprozess beenden.

Anders als die FPÖ hat sie nämlich auch andere Möglichkeiten, ihre Vorstellungen umzusetzen: Sie könnte im Fall eines Scheiterns neue Verhandlungen mit anderen Parteien (die sich der FPÖ weit konsequenter verweigern) wieder aufnehmen – oder eine Minderheitsregierung stellen oder stützen. Und dann wäre da noch das Gespenst Sebastian Kurz, das immer wieder an den Randlinien der Republik auftaucht, als potenzieller Gegenkandidat in einer eventuellen Neuwahl: Zwar kein Erfolgsgarant mehr, aber doch genug, um einen freiheitlichen Durchmarsch in Zweifel zu stellen.

Außerdem, drittens: Auch eine Neuwahl braucht Mehrheiten. Die FPÖ alleine kann keine neue Nationalratswahl vom Zaun brechen, sie braucht dazu ebenfalls mindestens die Stimmen von ÖVP oder SPÖ. Auch, wenn in beiden Parteien dieser Tage nicht ausschließlich rationale Akteure am Werk sind: Dass sie sich ohne Not einer Abstrafung durch den Wähler aussetzen würden, darf man bis auf weiteres doch bezweifeln.

Herbert Kickls Weg ins Kanzleramt ist deswegen alles andere als eben. Und eine durch und durch blaue Republik damit auch ausgeschlossen.