Konjunktur schwach, Gasverbrauch niedrig: Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen!

10. Juli 2024Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Elisabeth Zehetner

Elisabeth Zehetner setzt sich seit mehr als 20 Jahren für innovative Initiativen, junge Unternehmer:innen, Gründer:innen und Frauen in der Wirtschaft ein. Derzeit ist sie Geschäftsführerin von oecolution austria, der ersten Organisation in Österreich, die zeigt, dass wirtschaftlicher Erfolg und Wohlstand die besten Voraussetzungen für wirksamen Klimaschutz sind. 2024 erschien im ecowing-Verlag ihr erstes Buch „Im Namen des Klimas“.

Die jüngste Nachricht der Austrian Energy Agency (AEA) und der E-Control klingt gut: Selbst ein vollständiger Ausfall russischer Gaslieferungen würde keine Versorgungskrise auslösen. Dank erhöhter Importe aus Nachbarländern könnten die Speicher weiterhin gefüllt bleiben. Der aktuelle Füllstand der Gasspeicher beträgt rund 82 TWh, und für 2024 wird ein Jahresverbrauch von 70-83 TWh erwartet. Ab Oktober 2024 sollen zusätzliche Importkapazitäten aus Deutschland und Italien von etwa 185 TWh jährlich zur Verfügung stehen, um den Eigenbedarf zu decken.

Zurückzuführen ist diese Ausgangslage unter anderem auf die derzeit schwache Konjunktur. Und wenn alles – wie es sich offenbar manche wünschen – „gut“ geht, könnte das auch noch eine Weile so bleiben. Erst Ende Juni haben die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS bekannt gegeben, dass sie heuer für die heimische Wirtschaftsleistung kaum mehr ein Plus erwarten. Konkret rechnet das Wifo jetzt für 2024 mit einer Stagnation der Konjunktur (0,0 Prozent Wachstum), das IHS mit einem minimalen Plus von 0,3 Prozent.

Trügerische Sicherheit könnte Österreich teuer zu stehen kommen

Doch was passiert, wenn die Konjunktur wieder anzieht, wie es für 2025 prognostiziert wird? Dann könnte die momentane Sicherheit eines niedrigen Gasverbrauchs trügerisch sein und Österreich teuer zu stehen kommen. Denn die Berechnungen der AEA und der E-Control weisen einige Risiken auf, die gefährlich werden könnten. Erstens vernachlässigt die Betrachtung durchschnittlicher Jahresmengen tagesaktuelle Bedarfsmengen, die für die tatsächliche Versorgungssicherheit entscheidend sind. Bei maximalen Importmengen von 185 TWh ergibt sich ein täglicher Import von etwa 506 GWh, doch der tägliche Gasverbrauch kann an kalten Wintertagen bis zu 400 GWh betragen. Muss zusätzlich Gas nach Slowenien und in die Slowakei weitergeleitet werden, könnte der tägliche Bedarf auf rund 750 GWh steigen – etwa 50 Prozent mehr als die maximale Importmenge aus Deutschland und Italien.

Zweitens sind nur etwa 55 Prozent des in Österreich gespeicherten Gases für österreichische Endkunden bestimmt, was rechtliche und finanzielle Unsicherheiten bei der Nutzung dieser Reserven mit sich bringt. Zudem wird die Verfügbarkeit von Flüssiggas nicht ausreichend bewertet. Bei einem Wegfall der russischen Pipeline-Gaslieferungen wäre Österreich auf Pipelinegas aus Norwegen und LNG aus den USA angewiesen. Beide Lieferanten hatten jedoch zuletzt Probleme mit den Liefermengen. Langfristig stellt sich die Frage, ob es genügend LNG geben wird. Ein Bericht des EU-Rechnungshofes weist darauf hin, dass die EU ihre Gasabhängigkeit durch verstärkte LNG-Versorgung lediglich verlagert hat. Der globale Wettbewerb um LNG wird zu Preiserhöhungen führen – eine Herausforderung, die Österreich dringend angehen muss.

Hohe Energiepreise als Bedrohung für den Standort

Bereits jetzt sind die hohen Energiekosten ein Damoklesschwert für den Wirtschaftsstandort. Eine neue Studie von Compass Lexecon im Auftrag von Business Europe zeigt alarmierende Ergebnisse: Die Energiepreise in Europa könnten bis 2050 teils weit über dem Niveau internationaler Wettbewerber wie China, den USA oder Indien liegen. Ohne schnelle Gegenmaßnahmen drohen der europäischen Industrie zwei- bis dreimal so hohe Energiepreise wie ihren internationalen Mitbewerbern. Ein entscheidender Hebel ist der massive Ausbau erneuerbarer Energien und deren Infrastruktur. Hier müssen jedoch Hindernisse wie lange Genehmigungsverfahren und unzureichende Investitionen überwunden werden. Insbesondere klimaneutraler Wasserstoff kann zu einem zentralen Energieträger werden.

Es gibt also viel zu tun. Und da hilft es auch nicht, dass man aus wahlkampftaktischen Gründen plötzlich eine Gas-Unabhängigkeitskommission aus dem Boden stampft und Vergangenheitsbewältigung betreiben will. Für das Hier und Jetzt ist damit nämlich nichts erreicht. Denn während die EU auf eine neue Gaskrise zusteuert, klopft man sich in Österreich weiterhin selbst auf die Schulter, tauscht eine Abhängigkeit gegen die andere und wartet ab. Ganz nach dem Motto: Konjunktur schwach, Gasverbrauch niedrig – bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen.

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