Kommt jetzt endlich die europäische Technologiesouveränität?

2. Oktober 2024Lesezeit: 3 Min.
Bernhard Seyringer Illustration
Kommentar von Bernhard Seyringer

Bernhard Seyringer ist Politikanalyst. Seine thematischen Schwerpunkte fokussieren "Strategic Foresight" und "Neue Technologien und Internationale Politik". Seyringer ist zudem Experte für digitale Geopolitik.

Ein Jahr aktiver Halbleiterpolitik auf europäischer Ebene. Ist Europa seinem Ziel, resilienter im Krisenfall zu sein, näher gekommen? Ist man in der geopolitischen Realität angekommen? Nein, ich fürchte nicht. Auch die „europäische Souveränität“ dürfte noch ein wenig auf sich warten lassen. Dass Halbleiter und geoökonomische Abhängigkeiten aber jetzt ein Thema sind, macht den Chips Act trotzdem wertvoll.

Der European Chips Act (ECA) der Europäischen Kommission ist seit September 2023 in Kraft. Auf europäischer Ebene ist seither viel passiert: Vom Kapazitätsaufbau zum Thema Halbleiterpolitik bis hin zu einem erfolgreichen Agenda-Setting zur Bedeutung dieser Schlüsselindustrie. Denn so erstaunlich es ist: Im März 2020 wurden Halbleiter in der damals neuen Industriestrategie der Europäischen Kommission unter „Mikroelektronik“ subsumiert und nur am Rande als eine von mehreren „Schlüsseltechnologien“ erwähnt. Im Juli 2020 hat sich das plötzlich verändert: Der damalige EU-Kommissar Thierry Breton hat erstmals davon gesprochen, dass Europa „massiv investieren muss, um 20 Prozent Weltmarktanteil an der Produktion von high-performance Prozessoren in 2- 3 Nanometertechnologie“ bis zum Jahr 2030 erreichen zu können.

In der folgenden Erklärung vom Dezember 2020, die von den (meisten) EU-Wirtschaftsministern unterzeichnet wurde, wurde viel von „neuen geopolitischen, industrie- und technologiepolitischen Realitäten“ gesprochen. Allerdings wurde das 20-Prozent-Ziel nicht erwähnt. Auch nicht, wie man diesen „neuen Realitäten“ ernsthaft begegnen möchte. Damit hat man sich gar nicht lange aufgehalten. Anstatt dessen flüchtet man in bewährte Phraseologie von der „technologischen Souveränität“, die es zu erreichen gelte. Das Ziel ist seit März 2021 – veröffentlicht im 2030 Digital Compass – Teil der politischen Debatte. Die Zielvorgabe war ganz im Geist der damaligen Corona-Pandemie und der Implosion globaler Wertschöpfungsketten entstanden. Es ist sinnvoll, wenn Europa nach Eigenversorgung in Bereichen wie Medizin, Impfstoffen, Energie, usw. strebt, aber ist das auch für die Halbleiterindustrie sinnvoll und möglich?

Die Zielsetzung von Kommissar Breton klingt natürlich ambitioniert und Hightech ist für mediale Präsenz ja immer gut. Eine nähere Betrachtungsweise lohnt hier allerdings: Chips in dieser Technologie werden für Smartphones und Laptops verwendet. Also für Produkte, die in Europa gar nicht hergestellt werden. Zusätzlich sollte bedacht werden, dass diese Chip-Produktionen (fabs) keine fertigen Chips, sondern Silizium-Rohlinge (wafer), auf die mikroskopisch-kleine Leiterbahnstrukturen aufgebracht sind, liefern. Diese wafer müssen dann in einem weiteren Schritt finalisiert werden, damit daraus Chips werden (ASAT, für Branchenkenner). Dafür müssen sie dann erst recht nach China oder Taiwan verfrachtet werden, denn für diesen Produktionsschritt hat Europa praktisch keine Ressourcen. Das wäre dann der „Northvolt“-Weg: Mit chinesischer Hilfe chinesische Anbieter aus dem Markt drängen. Es gibt hier Gründe für Zweifel.

Dazu kommt noch, dass für sämtliche Geräte eine Vielzahl an unterschiedlichen Chips benötigt wird: Prozessoren, Speicherchips, Leistungshalbleiter, Sensorik-Chips, Mikrocontroller, usw. Es wäre also notwendig zu definieren, für welche Chips Europa welche Produktionsschritte (Design, Produktion, Finalisierung) der gesamten Wertschöpfungskette ausbauen oder aufbauen sollte.

Das heißt: Sogar wenn es Europa schaffen würde, den Anteil von 20 Prozent an der globalen Chip-Herstellung für genannte Technologien (2-3 Nanometer) zu erreichen, wäre Europa nicht resilienter oder wäre gar der Weg in Richtung „Technologiesouveränität“ beschritten. Und da sprechen wir noch gar nicht von der zum Chip-Design notwendigen EDA-Software, bei der drei US-Unternehmen den gesamten Weltmarkt abdecken, und auch nicht von der Unzahl von Gasen, Chemikalien, usw. die zur Herstellung notwendig sind und aus Japan und Südkorea bezogen werden.

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