Kommentar: Arbeit in Zukunft – länger? Mehr oder weniger? Anders.

28. Oktober 2024Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Markus Hengstschläger

Der Genetiker Markus Hengstschläger ist Leiter des Instituts für Medizinische Genetik und Organisationseinheitsleiter des Zentrums für Pathobiochemie und Genetik an der Medizinischen Universität Wien und u.a. auch stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission, Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich, Kuratoriumsmitglied des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds und Gründer und Leiter des Symposiums „Impact Lech“.

Länger arbeiten?

Österreicherinnen und Österreicher leben heute länger als früher, und auch die gesunden Lebensjahre haben zugenommen. Chronologisch gleich alte Menschen sind heute „biologisch jünger“ als früher. Das hat nichts mit Genetik zu tun, sondern mit Medizin und Lebensstil. Schon im Jahr 2008 habe ich in meinem Buch „Endlich Unendlich“ davon gesprochen, dass trotz modernster Technologien, wie etwa Gentherapien oder Stammzelltherapien, eine signifikante Verlängerung der total erreichbaren Lebenspanne in Jahren in naher Zukunft allerdings nicht absehbar ist. Und die Unsterblichkeit des Homo sapiens bleibt bis auf weiteres eine Vision vieler Bestsellerautorinnen und -autoren und weniger Silicon-Valley-Milliardäre. In Anlehnung an das Zitat, das man gerne dem Chirurgen und Nobelpreisträger Alexis Carrel zuschreibt, ist es also gelungen den Jahren mehr Leben zu geben, aber nicht dem Leben mehr Jahre. Die Tatsache, dass innerhalb dieses Rahmens an Lebensjahren heute in Österreich immer mehr Menschen immer älter werden, lässt die Zahl an Pensionistinnen und Pensionisten steigen – mit Effekten, die Menschen im Arbeitsprozess mitfinanzieren. Die OECD empfiehlt Österreich daher, das Pensionsantrittsalter an die Lebenserwartung anzupassen.

Mehr oder weniger arbeiten?

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würden weniger Stunden in der Woche arbeiten wollen und durch weniger Krankenstände und fittere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würde auch die Produktivität nicht im gleichen Ausmaß wie die Arbeitszeit sinken – so die einen. Die anderen argumentieren u.a. gerade mit der dadurch sinkenden Produktivität (in welchem Ausmaß auch immer), mit Unfinanzierbarkeit, Fachkräftemangel, und Umsetzungsschwierigkeiten aufgrund fehlender fixer Arbeitszeiten etwa bei Selbstständigen.

Anders arbeiten.

Der Homo sapiens, als „Produkt“ von „Survival of the fittest“ und „Survival of the friendliest“ ist grundsätzlich sozial, vernunftbegabt, lösungsbegabt und will sich mit seinen Ideen auch einbringen. Es muss daher besser gelingen, Arbeit als viel mehr als reine Geldbeschaffungsmaßnahme, nämlich als unverzichtbares, produktives, kreatives, kollektives Beitragen zur Erarbeitung von Lösungen verständlich zu machen. Spaß ist vielleicht sowieso nicht das richtige Wort, aber Arbeit macht auch nicht immer Freude. Und trotzdem muss es gelingen Arbeit als etwas Wertvolles, Bereicherndes und Sinnstiftendes zu gestalten. Menschen wollen und sollen motiviert durch ihre Arbeit eine gewisse Selbstverwirklichung erleben (können). Der „War for talents“ – genauso um junge wie auch um schon etwas ältere Talente – wird wahrscheinlich in Zukunft – mehr als durch Anreize von außen – durch das Angebot von spannenden Aufgaben, durch ein im Unternehmen gelebtes Zuhören und Ernstnehmen von neuen Ideen, oder etwa durch die Einbindung in die Erarbeitung gemeinsamer Ziele gewonnen werden. Der Diskussion darüber wie das in der Arbeitswelt der Zukunft besser bewerkstelligt werden kann, sollte ähnlich viel Raum und Zeit eingeräumt werden, wie der Frage nach längerem Arbeiten.