KI: Wie sich China von westlichen Technologien entkoppelt

25. Juni 2024Lesezeit: 3 Min.
Bernhard Seyringer Illustration
Kommentar von Bernhard Seyringer

Bernhard Seyringer ist Politikanalyst. Seine thematischen Schwerpunkte fokussieren „Strategic Foresight“ und „Neue Technologien und Internationale Politik“. Seyringer ist zudem Experte für digitale Geopolitik.

Es stimmt, dass viele Tools, mit denen in China Innovation im Bereich Künstliche Intelligenz vorangetrieben wird, immer noch im Ausland entwickelt werden: Die KI-Softwareplattformen, das Design für die GPU-Chips, die zum „trainieren“ notwendig sind und viele weitere Hardwarekomponenten. Aber das Land schreitet in großen Schritten Richtung Entkoppelung von westlicher Technologie. „Ernie Bot“ und andere ChatGPT-Alternativen werden bereits auf chinesischen Plattformen wie PaddlePaddle trainiert und mit Huawei-gefertigten Chips betrieben, die Grundlagenforschung ist auf Weltklasseniveau.

Chinas KI-Stategie

Nach dem Nationalen Volkskongress von März diesen Jahres hat Staatspräsident Xi Jinping die Leitstrategie der „Neuen Produktivkräfte“ ausgegeben. „Künstliche Intelligenz“ ist ein zentraler Baustein darin. Als Schlüsseltechnologie, soll sie Dreh- und Angelpunkt für bevorstehende wirtschaftliche Umbrüche werden. Das Land soll bis 2030 zum globalen Innovationszentrum aufgebaut werden. Die dafür wichtigste industriepolitische Strategie wurde vor sieben Jahren veröffentlicht. Zeit für einen kurzen Überblick.

Das erste, offizielle Strategiepapier das „Künstliche Intelligenz“ erwähnte, war der „Internet + Action Plan“ von 2015. Aber vor allem der zwei Jahre später veröffentlichte „New Generation Artificial Intelligence Development Plan“ (AIDP) brachte eine Beschleunigung auf nationaler Ebene. Er betont eine dreistufige Entwicklung für Chinas KI-Sektor, mit dem Ziel, das Land bis 2030 zum globalen Innovationszentrum für KI heranreifen zu lassen. Der AIDP war der Startschuss für den Aufbau eines regionalen Innovationssystems und die Schaffung einer Anzahl von staatlichen Investitionsfonds. Für China neu ist, dass auch massive Investitionen in die Grundlagenforschung getätigt wurden: Vier neue große Forschungsinstitute wurden gegründet, darunter die herausragende Beijing Academy of Artificial Intelligence (BAAI). Zusätzlich wurden auch 190 KI-Industrieallianzen, zur Förderung des Austauschs zwischen Forschung, staatlichen Institutionen und den zirka 4.500 KI-Unternehmen (Stand: April 2024) ins Leben gerufen.

Sorge um Zugang zu US-Plattformen

Der Verlust des Zugangs zu wichtigen Open-Source-Software-Plattformen, durch zukünftige US-Exportkontrollen, dürfte die größte Sorge der Technologieplaner in Peking sein. Eine Befragung im Jahr 2022 ergab, dass mehr als 70 Prozent der befragten chinesischen Programmierer, eine der US-Plattformen PyTorch (Linux) oder TensorFlow (Google) verwenden. Um diesem Duopol Marktanteile zu entziehen, und das politische Ziel der „Technologieunabhängigkeit“ weiterzuentwickeln, hat Baidu „PaddlePaddle“ und Huawei „MindSpore“ zur Verfügung gestellt. Für spezifische Anwendungsfelder wurde 2019 ein „Nationalteam“ (guojiadui) aus 15 Unternehmen geschaffen, die Plattformen von „Autonomem Fahren“ über „Smart Cities“, „Gesichtserkennung“ bis hin zu „Medizinischen Bildgebungsverfahren“ anbieten.

„Ernie Bot“ ist ChatGPT auf der Spur

Nur fünf Monate nachdem OpenAI mit dem GPT-4 Modell die Weltöffentlichkeit – außer China – im Sturm erobert hat, hat Baidu im März 2023 „Ernie Bot“ (wenxin yiyan) veröffentlicht. Das chinesische Large Language Modell (LLM), das bisher am dichtesten hinter ChatGPT-4 rangiert. Im April folgte Alibaba „tonyi qianwen“, dass sowohl für Mandarin wie auch für die englische Sprache trainiert ist. Im Herbst hat schließlich Tencent hunyuan verfügbar gemacht. Aber nicht nur die Technologiegiganten liefern sich einen intensiven Wettbewerb: Wichtige Startups sind ZhipuAI, Baichuan und MoonshotAI. Auch von der Grundlagenforschung der BAAI gehen wichtige Impulse aus: Das LLM-Modell WuDao 1.0, das Google’s BERT und OpenAI’s GPT 3,5 geschlagen hat, sowie das zur Zeit größte Super-Large-Language Modell BaGuaLu.

Die österreichische und europäische Industrie- und Außenpolitik täte wohl gut daran, sich für den (zumindest) zweitwichtigsten globalen Wettbewerber ein wenig zu interessieren. Ich halte das aktuelle Konzept auf europäischer Ebene, sich ausschließlich auf Regulation zu verlassen, für beinahe fahrlässig.

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