Keine Zeit für Selbstdarsteller

2. Dezember 2024Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Georg Renner

Georg Renner ist freier Journalist in Niederösterreich und Wien mit Fokus auf Sachpolitik. Er publiziert unter anderem für „Datum“ und „WZ“, zuvor war er nach Stationen bei der „Presse“, „NZZ.at“ und „Addendum“ Innenpolitikchef der „Kleine Zeitung“.

Eine Verhandlerin, die vor ihrer ersten Sitzung schon wissen lässt, dass sie ihre beiden Gegenüber aus den anderen Parteien für eine Zumutung hält. Ein Ökonom aus einem parteinahen Institut, der ausrichtet, dass man ganz sicher nicht das Budget zusammenkürzen müsse. Ein Bundeskanzler, der einen Medienbericht über eine Forderung einer anderen Partei mit „dann sind die Verhandlungen schnell zu Ende“ kommentiert. 

Ich bin wie jeder vernünftige Bürger ein großer Fan von Transparenz und von Politikern, die ihr Handeln praktisch in Echtzeit kommentieren. Aber dieser Tage würde ich mir wünschen, dass die Akteure der laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos ihre Twitter-Accounts (Bluesky ist mitgemeint) doch bitte für ein paar Wochen schweigen lassen würden.

An sich beneide ich niemanden, der unter den gegenwärtigen Umständen eine Regierung verhandeln soll: Wir stecken mitten in einer über weite Strecken strukturell bedingten Rezession, ein Ende ist nicht absehbar, jeden Tag kommen neue Hiobsbotschaften von strauchelnden Unternehmen. Gleichzeitig bedingen akute Krisen – die russische Offensive gegen Europa, die menschgemachte Erderwärmung, die demographische Katastrophe – massive staatliche Investitionen und Interventionen. Und über all dem schweben zwei Jahrzehnte verschleppter Reformen und ein vorsätzlich versenktes Budget, das nicht nur alle nationalen und internationalen Vorgaben sprengt – sondern auch die bloße Vernunft, dass jeder Cent, den der Staat ausgibt, auch irgendwo erwirtschaftet werden muss.

Das klingt apokalyptisch, aber es ist nicht alle Hoffnung verloren: Gleichzeitig war nämlich noch nie eine Regierung so gut beraten. Nicht nur die üblichen Verdächtigen – die Länder, die Kammern, die Interessensvertretungen und ihre Thinktanks, die Wirtschaftsinstitute usw. – haben Wunschlisten und Vorschläge für praktisch alle Politikfelder übermittelt. Mit „Mehr Grips“ hat sich zum ersten Mal auch eine breite zivilgesellschaftliche Initiative zusammengefunden, die kluge Vorschläge gemacht hat, die jede Regierungskonstellation ohne großen Aufwand einfach nur zu übernehmen bräuchte und damit gut 80 Prozent des Reformbedarfs außer Streit stellen könnte.

Oder man verhandelt ein eigenes Programm – auch ok, es zählt, was am Ende herauskommt. Aber was dabei unter Garantie keine Hilfe ist: Sich bei jeder Gelegenheit gegenseitig auszurichten, was bzw. in der Regel: wie wenig man voneinander eigentlich hält. Das ist schon in einer Zweierkonstellation verheerend, bei drei potenziellen Partnern aber durch die vielen Akteure der schnellste Weg zum Scheitern. 

Also, liebe Verhandler: Kämpft in den kommenden Tagen und Wochen gegen den Drang, in jede Kamera, jedes Mikrofon und jeden Social-Media-Account zu erklären, was euch alles nicht passt, warum die anderen falsch liegen und was es sicher nicht geben wird. Gelungene Verhandlungen brauchen nicht nur Vertrauen, sondern auch Vertraulichkeit. Es ist keine Zeit für Selbstdarsteller. 

Wenn ihr fertig seid, könnt ihr das gern alles wieder twittern, posten, podcasten usw. Wir werden noch immer da sein, um das zu kommentieren, versprochen.