Grüne Hassliebe zu Aktien

22. Juli 2024Lesezeit: 3 Min.
Sara Grasel Illustration
Kommentar von Sara Grasel

Sara Grasel ist Chefredakteurin von Selektiv. Sie ist seit fast 20 Jahren Wirtschaftsjournalistin mit Stationen bei „Die Presse“, Trending Topics und brutkasten. Zuletzt war sie Chefredakteurin der Magazine der Industriellenvereinigung.

So gut man sich in den vergangenen Regierungsjahren bemüht hat, ideologische Gräben zu überwinden, so deutlich treten nun im Wahlkampf jene Uneinigkeiten zutage, die wohl ewige Streitthemen bleiben müssen. Eine dieser offenen Wunden ist die „Behaltefrist“, die im Regierungsprogramm steht und trotz mehrerer Anläufe nicht gekommen ist. Sie würde dafür sorgen, dass Gewinne aus Aktien nach einer bestimmten Dauer des Besitzes der Papiere steuerfrei wären. Die Idee dahinter ist, eine wichtige Säule für Vorsorge und Vermögensaufbau zu stärken. Umgesetzt werden sollte das ganze als Vorsorgedepot, das man bei einer Bank eröffnen kann, um das Geld zum Beispiel in Aktien oder ETFs zu investieren. Die Gewinne sind dann steuerfrei, wenn sie reinvestiert werden. Nach zehn Jahren kann man sich das Geld steuerfrei auszahlen lassen. Derzeit werden auf die Gewinne 27,5 Prozent Kapitalertragsteuer fällig.

Finanzminister Magnus Brunner erklärte das Projekt in einem Podcast vergangenen Freitag für am Widerstand der Grünen gescheitert – „wenn kein Wunder passiert“, fürchte er, dass es nicht mehr kommen wird. Kleiner Wahlkampf-Nachsatz: In der nächsten Regierung wolle man die Behaltefrist selbstverständlich umsetzen. Könnte natürlich gelinde gesagt schwierig werden, die Babler-SPÖ dafür zu begeistern. Neos und FPÖ dürften da offener sein.

Die populistische Argumentation der Behaltefrist-Gegner lässt sich ungefähr so zusammenfassen: Die „Reichen“ machen mit ihrem vielen Geld noch mehr Geld und wollen davon nichts für die Allgemeinheit hergeben. Hinter der sperrigen Bezeichnung „Behaltefrist“ verbirgt sich also eine steuerpolitische Maßnahme, an der sich alte Neiddebatten hochziehen lassen – perfekter Zündstoff für den Wahlkampf.

Eine Umfrage von Peter Hajek hat allerdings ergeben, dass Aktienbesitz in der Einkommensstufe unter 3.000 Euro netto monatlich recht weit verbreitet ist (die Hälfte der Befragten). Ein Nischenthema für Superreiche sieht anders aus. Und die meisten Aktienbesitzer gab es ausgerechnet unter Grün-Wählern. Ihnen kann man gratulieren, denn bei der derzeitigen und schon länger anhaltenden Inflation wäre ihr Erspartes auf Sparbuch und Co. in den meisten Fällen stärker dahingeschmolzen. Das erklärt vielleicht, wie es dieses Thema überhaupt in das Regierungsprogramm geschafft hat. Und es macht Aktienbesitzer womöglich zu einer völlig unterschätzten Wählergruppe. Laut derselben Befragung ist der Anteil der Aktienbesitzer in Österreich zuletzt auf immerhin 27 Prozent gestiegen.

Die Grünen scheint eine gewisse Hassliebe mit dem Thema Aktien zu verbinden. Wenn 40 Prozent der Grün-Wähler Aktien besitzen, ist es umso unverständlicher, dass sich die Grünen dabei querlegen, dass diese Anleger bei der Realisierung ihrer Gewinne nicht gleich wieder 27,5 Prozent von diesen abgeben müssen. Brunner nennt seinen Vorschlag zur Umsetzung der Behaltefrist eh schon „Vorsorgedepot“ als dezenten Hinweis darauf, dass es hier nicht um gierige Spekulanten geht, sondern darum, die Altersvorsorge auf breitere Beine zu stellen – denn dass das staatliche Pensionssystem derzeit alles andere als zukunftsfit ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Es gibt aber noch einen Grund, der für mehr Lust und Laune auf den Kapitalmarkt spricht: Wichtige Themen wie die grüne Wende müssen zuerst einmal finanziert werden, bevor man sich in regulatorischen Details verlieren kann. Und dafür braucht es privates Kapital. Rein mit staatlichen Förderungen ist das ein eher aussichtsloses Unterfangen.

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