EZB: Weihnachtsfriede statt Krisensitzung

12. Dezember 2024Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Heike Lehner

Heike Lehner ist freiberufliche Ökonomin. Ihre Spezialgebiete liegen im Bereich der Geldpolitik und Finanzwirtschaft, wozu sie aktuell ebenso promoviert.

Die Inflation scheint nun also ausreichend in den Griff bekommen zu sein. Die jüngsten Reden der Europäischen Zentralbank (EZB) lassen wenig Zweifel aufkommen: Eine weitere Zinssenkung steht bevor. Zwar gilt eine Senkung um 0,25 Prozentpunkte noch nicht als ganz fix, doch die Einigkeit innerhalb der EZB darüber, überhaupt wieder zu reduzieren, ist offenbar groß. Die letzte EZB-Sitzung dieses Jahres heute könnte dann doch einen Weihnachtsfrieden bringen. Nach den letzten politischen Instabilitäten in Frankreich war dies noch fraglich. Nun aber deutet alles darauf hin, dass die Sitzung ohne größere Konflikte verlaufen wird. Bleibt zu hoffen, dass diese Ruhe nicht bloß ein kurzlebiges Zwischenspiel ist. Denn das kommende Jahr dürfte mindestens ebenso turbulent werden wie die zurückliegenden.

Noch vor wenigen Tagen war nicht absehbar, dass sich die Lage so rasch beruhigen würde. Der Konflikt um das neue französische Budget hatte zunächst zu einem deutlichen Anstieg der Zinsen auf französische Staatsanleihen geführt. Zwischenzeitlich wurde Frankreich schon als das neue Griechenland gehandelt, kurzzeitig lagen die französischen Zinsen sogar höher als dort. Es wurde bereits spekuliert, wie die EZB eingreifen könnte. Schließlich verfügt die EZB mit dem Transmission Protection Instrument (TPI) über ein Werkzeug, um notfalls gezielt französische Staatsanleihen aufzukaufen. Staatsanleihenkäufe ganz nach dem Motto: Irgendeine Argumentation wird sich schon finden. Zum Glück haben sich die Zinsen wieder erholt.

Doch wer weiß, wie lange der geldpolitische Frieden noch anhält. Denn die altbekannten Probleme der Eurozone existieren nach wie vor. Sie sind sogar noch schlimmer geworden. Das strukturelle Fundament der europäischen Wirtschaft zeigt immer deutlichere Risse. Gleichzeitig funktioniert die Strategie der Eurozone, einfach ungezielt Geld auf das Problem zu werfen, nicht mehr. Zum einen, weil die Schulden und Haushaltsdefizite einiger Euromitglieder viel zu hoch sind. Und zum anderen, und das ist der wichtigste Grund und Unterschied zur Problemlandschaft der Vor-Corona-Zeit: Die EZB hat in den kommenden Jahren schlichtweg nicht mehr den Spielraum, um das wilde Geldausgeben zu erlauben. Im Gegenteil: Im kommenden Jahr wird das Kaufprogramm, mit dem sie während Corona Unmengen an Staatsschulden gekauft hat, weiter zurückgefahren. Erste Berechnungen zeigen, dass Sorgenkinder wie Frankreich und Italien im Frühjahr damit zu kämpfen haben könnten. Denn mit der fehlenden Schuldenfinanzierung der EZB könnten die Anleihezinsen wieder ansteigen. Eine Zentralbank, die Staaten ständig – direkt oder indirekt – finanziert, ist zu kritisieren. Aber es scheint, als setze die EZB zum jetzigen Zeitpunkt großteils richtige Prioritäten. Zumindest hat sie zukünftige Herausforderungen am Schirm.

Was man von den Eurostaaten nicht behaupten kann. Denn die haben noch nicht ganz verstanden, dass die jetzige Inflation auf der einen Seite bei zu starken Zinssenkungen wieder zurückkommen kann – und auf der anderen Seite etwa wegen Trumps Zöllen in den kommenden Jahren durch neue Inflationsschocks wieder aufflammen könnte. Außerdem kann sie weitaus volatiler werden, als wir uns das bisher vorstellen können. Die zeitlichen Abstände, mit denen die Inflation immer wieder ansteigt, könnten ebenso kürzer werden. Somit braucht es eine EZB, die immer auf der Lauer liegt und Inflationsanstiege effizient und zeitgerecht bekämpft. Da ist dann erst recht keine Zeit, sich ausgiebig um ein strauchelndes Frankreich zu kümmern.

Die EZB redet sich diesbezüglich seit Monaten den Mund fusselig. Es wird in Reden den Staaten ausgerichtet, sie mögen bitte endlich ihre Staatshaushalte in den Griff bekommen und die strukturellen Herausforderungen angehen. Eine Kapitalmarktunion steht ganz oben auf der Wunschliste der EZB. Immerhin würden integriertere europäische Kapitalmärkte die Geldpolitik effizienter werden lassen und Ersparnisse mobilisieren, die die Finanzierung großer Herausforderungen – wie etwa die Bekämpfung des Klimawandels – signifikant vereinfachen. War das Projekt noch bis vor kurzem nach den Reports von Enrico Letta und Mario Draghi noch ganz oben auf der Agenda, ist seitdem nur noch wenig davon zu hören.

Eine friedliche, geeinte letzte EZB-Sitzung so kurz vor Weihnachten ist auf jeden Fall schöner als eine Krisensitzung. Das kommende Jahr wird aber wieder seine Tücken und Herausforderungen mit sich bringen. Es bleibt zu hoffen, dass die Krisensitzung dann nicht noch im Jahr 2025 auf uns wartet.