EZB-Sitzung: Gas geben im Leerlauf funktioniert nicht
Heike Lehner ist freiberufliche Ökonomin. Ihre Spezialgebiete liegen im Bereich der Geldpolitik und Finanzwirtschaft, wozu sie aktuell ebenso promoviert.
Wie erwartet verkündete die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, gestern eine weitere Zinssenkung von 0,25 Prozentpunkten. Es war bereits die zweite Zinssenkung, nachdem die EZB im Juni trotz inflationärem Gegenwind die Zinsen zum ersten Mal reduziert hatte. Im Gegensatz zum Juni gab es diesmal jedoch Gründe, die diesen Zinsschritt einigermaßen stützten: Etwa fielen die Inflationsraten und die Lohnzuwächse zuletzt moderater aus. Letztere sind ein Grund, wieso die Preissteigerungen langsamer abflachen. Sorgenkinder wie die noch immer hohe Dienstleistungsinflation bestehen aber weiterhin. Zudem bleiben die geopolitischen Risiken hoch, und extreme Wetterereignisse könnten beispielsweise die Lebensmittelpreise weiter ansteigen lassen. Dennoch: Wäre der in den Finanzmärkten bereits eingepreiste Zinsschritt ausgeblieben, hätte dies für Verwunderung gesorgt und möglicherweise zu unnötigen Marktverwerfungen geführt.
Allerdings waren nicht alle Forderungen nach einer Zinssenkung gerechtfertigt. Ein fragwürdiges Argument für die Zinssenkung war, dass die schwächelnde Wirtschaft der Eurozone durch die hohen Zinsen zusätzlich gebremst werde. Denn zum einen ist es nicht die Aufgabe der EZB, das Wirtschaftswachstum zu stimulieren. Ihr vorrangiges Ziel ist und bleibt die Preisstabilität. Zum anderen fußen die Probleme der Eurozone nur zu einem geringen Teil auf den hohen Zinsen. Der Großteil basiert auf handfesten strukturellen Themen, die nicht die EZB in den Griff bekommen muss. Sie kann mit Zinssenkungen zwar auf das Gaspedal drücken – wenn sich die EU jedoch den Großteil der Zeit im Leerlauf befindet, werden die Impulse überschaubar sein. Diese Probleme können und sollten nicht von einer Zentralbank gelöst werden. Sie müssen von den Mitgliedsstaaten oder auf europäischer Ebene angegangen werden. Ohne solche Reformen wird die Eurozone und die EU insgesamt an Bedeutung verlieren, und das Wirtschaftswachstum wird weiter stagnieren.
Genau diese Art von Problemen war eines der Hauptthemen der EZB-Pressekonferenz, die nach jeder geldpolitischen Entscheidung abgehalten wird. Der am Montag veröffentlichte Bericht des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi wurde mehrfach sowohl von Lagarde als auch von Journalisten in ihren Fragen erwähnt. Lagarde betonte, wie wichtig und dringend diese strukturellen Reformen wären. Außerdem bekräftigte sie, wie auch in den letzten Pressekonferenzen, erneut die EU-Fiskalregeln und hob die Bedeutung der Budgetkonsolidierungen hervor. Verständlich, denn bei unsolider Fiskalpolitik ist es die EZB, die sich schlussendlich dazu bemüßigt fühlt, die Staatsanleihen strauchelnder Mitglieder anzukaufen. Zudem ist die Gießkannenpolitik vieler Mitgliedsstaaten mit ein Grund, wieso die Inflation so lang so hoch blieb. Die inflationären Auswirkungen spüren wir jetzt noch.
Strukturreformen, wie etwa die Schaffung einer Kapitalmarktunion, würde die Geldpolitik wirksamer machen. Integrierte Kapitalmärkte würden dafür sorgen, dass Zinserhöhungen und Zinssenkungen gleichmäßiger in den Märkten weitergegeben werden und in der Realwirtschaft wirksamer ankommen. Ein stärkerer Fokus auf Innovation, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit und weniger auf Überregulierung würde zudem mittelfristig den Preisdruck verringern. Vor allem in Mitgliedstaaten mit Inflationsraten deutlich über dem EZB-Ziel von zwei Prozent, sind Reformen dringend notwendig. Hier gehört bekanntermaßen auch Österreich dazu. Denn da die EZB die Geldpolitik für die Eurozone macht, kommen die Zinssenkungen für eben diese Länder zu früh. Sie müssen sich nochmal stärker auf Reformpolitik fokussieren.
Wie es mit den Zinssenkungen weitergeht, ließ die EZB-Präsidentin offen. Spätestens im Dezember dürfte es jedoch wieder so weit sein. Bis dorthin gilt es, weiter auf die Daten zu achten. Fest steht jedoch, dass der Fokus der EZB weiterhin auf der Preisstabilität liegen sollte. Und nicht darauf, zu versuchen, die Wirtschaftsleistung eines Währungsraums anzukurbeln, dessen Probleme tiefgreifender sind.