EZB-Sitzung: Die letzte Ruhe vor dem Sturm?
Heike Lehner ist freiberufliche Ökonomin. Ihre Spezialgebiete liegen im Bereich der Geldpolitik und Finanzwirtschaft, wozu sie aktuell ebenso promoviert.
Die gestrige Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) war alles andere als spektakulär. Zum Glück. Nach der voreiligen Zinssenkung der Währungshüterin im Juni war das dringend notwendig. Dennoch: Trotz der Bemühungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde, sich nicht in die Karten schauen zu lassen, blieb die mögliche Zinssenkung bei der nächsten Sitzung im September der Elefant im Raum. Bis dorthin wird noch einiges passieren: Wichtige Daten für das vergangene zweite Quartal werden veröffentlicht. Ebenso werden neue Wachstums- und Inflationsprognosen der EZB im September als Grundlage für Entscheidungen dienen. Generell spricht einiges dafür, dass dies die letzte ruhige EZB-Sitzung in diesem und vielleicht sogar im nächsten Jahr gewesen ist. Der Sturm aus erhöhten Risiken einer wieder ansteigenden Inflation und den Auswirkungen schwer finanzierbarer hoher Budgetdefizite könnte sich wieder verstärken.
Dass das Abklingen der Inflation kein Zuckerschlecken wird, war allen bewusst. Aber das Warten gestaltet sich zäh. Mit jedem veröffentlichten Datenpunkt wird überprüft und überlegt, ob dies nun mit den Erwartungen der Zentralbank übereinstimmt. Vor allem die Lohnentwicklungen sind zum jetzigen Zeitpunkt relevant. Denn falls diese nicht durch Unternehmen und deren dadurch sinkende Profite abgefangen werden, werden sie die Inflation weiter erhöht halten. Insbesondere die lohnintensiven Dienstleistungspreise seien hier genannt. Diese sind in den vergangenen Monaten auf einem hohen Niveau verharrt und scheinen sich kaum vom Fleck zu bewegen. Alternativ können die inflationstreibenden Effekte der gestiegenen Löhne der letzten Monate auch durch eine erhöhte Arbeitsproduktivität abgefangen werden. Und genau hier zeigt sich die EZB sehr optimistisch. Die zuletzt gehorteten Arbeitskräfte der Unternehmen sollen bei der erhofften wirtschaftlichen Erholung wieder produktiver werden. Doch es ist nicht klar, ob dies tatsächlich in dem erwarteten Ausmaß passieren wird. Es könnte sein, dass strukturelle Probleme dahinterstehen. Und dann könnten weitere Zinssenkungen in die weite Ferne rücken.
Produktivität ist nicht nur bei den Arbeitskräften das Stichwort. Auch die wenig nachhaltige Fiskalpolitik vieler Staaten der Eurozone spielt eine Rolle. Hier fand Lagarde überraschend deutliche Worte. Sinngemäß meinte sie, dass Staaten bei ihrer Ausgabenpolitik vor allem produktivitätssteigernde Maßnahmen ergreifen sollten. Diese Aussage ist nachvollziehbar. Es gibt keinen Spielraum mehr für eine Politik, die das Geld mit der Gießkanne verteilt. Und damit die Inflationsraten und Defizite weiter in die Höhe schnellen lassen. Außerdem verringern wettbewerbsfähige, funktionierende Staatsapparate die Gefahren für Finanzmarktinstabilitäten. Was die EZB zum jetzigen Zeitpunkt am wenigsten braucht, sind Staaten, denen sie via Staatsanleihekäufe unter die Arme greifen muss. Im Zusammenhang mit der Wahl in Frankreich wurde das Thema öfters diskutiert, ist die Angst einer noch unnachhaltigeren Budgetpolitik groß. Sollte sich diese Angst, sei es in Frankreich oder in einem anderen Staat der Eurozone, auf den Finanzmärkten durch steigende Zinsen auf Staatsanleihen materialisieren, ist die EZB in einer Zwickmühle. Die Zentralbank könnte im Rahmen des „Transmission Protection Instrument“ (TPI) zwar weiterhin recht einfach Staatsanleihen ankaufen. Jedoch würde dies die noch immer wichtige Inflationsbekämpfung untergraben. Die noch immer restriktive Geldpolitik muss weiterhin wirken können. Zusätzliche Staatsanleihekäufe wären ein Fehler. Jetzt ist es aber wichtig, alles daran zu setzen, dass dies nicht passiert.
All das wird sich jedoch erst in den kommenden Monaten zeigen. Nun hat vorerst die Sommerpause der EZB begonnen. Ob die von vielen erhoffte zweite Zinssenkung der EZB im September tatsächlich beschlossen werden wird, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Es bleibt zu hoffen, dass die Daten zu Löhnen und Inflationsraten bis dahin in die richtige Richtung zeigen. Und dass Staaten ihre Fiskalpolitik endlich nachhaltiger gestalten und ihre Budgetdefizite in den Griff bekommen.