Europas digitale Abhängigkeit von den USA

4. Juli 2024Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Philipp Koch

Philipp Koch ist Ökonom und als Researcher beim Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria tätig. Koch absolviert zurzeit sein Doktorat am Center for Collective Learning in Toulouse und forscht mithilfe moderner empirischer Methoden zu den Themen ökonomische Komplexität, Strukturwandel, Wirtschaftsgeschichte und Außenhandel.

Digitale Produkte sind aus der heutigen Welt nicht mehr wegzudenken. Wir schauen Serien und Filme auf Netflix, zahlen Online-Einkäufe mittels PayPal, speichern unsere Daten in der Dropbox, und vieles mehr. Netflix, PayPal und Dropbox sind aber keine österreichischen Unternehmen. Vielmehr stellt der Konsum solcher digitalen Produkte – von Videospielen über Online-Buchungsplattformen bis hin zu Cloud Computing – aus österreichischer Sicht meist einen Import dar. 

Tatsächlich boomt der weltweite Handel von digitalen Produkten. Heute macht er bereits mehr als 3,5 Prozent des insgesamten Welthandels aus. Vormachtstellung hat dabei, wie an den oben genannten Beispielen schon klar wird, die USA: Deren digitalen Exporte (672 Mrd. Dollar) übertreffen jene Europas (48 Mrd. Dollar) um mehr als das Zehnfache. Auch China holt am aktuellen Rand auf (107 Mrd. Dollar). Europas Exporte hingegen stagnieren. Kann Europa das noch aufholen? 

Rasantes Wachstum und hohe Marktkonzentration

Gehen wir aber erst einen Schritt zurück: Woher kommen diese Zahlen? Der Handel in digitalen Produkten ist bis dato statistisch schlecht erfasst. Zum einen fehlt es internationalen Statistiken zum Dienstleistungshandel an ausreichend Granularität, um den Handel von einzelnen digitalen Produkten zu messen. Zum anderen verschleiern Technologieunternehmen ihre Auslandstransaktionen häufig über lokale Tochtergesellschaften. In einer kürzlich in Nature Communications veröffentlichten Studie stellen wir eine neue Methode vor, um den weltweiten, bilateralen Handel von 31 digitalen Produkten basierend auf Umsatzstatistiken von 15.000 Firmen und Machine Learning-Methoden zu schätzen.  

Diese Schätzungen ermöglichen einen detaillierteren Blick auf den digitalen Weltmarkt. Das Handelsvolumen von digitalen Produkten wuchs zwischen 2016 und 2021 jährlich um 24,5 Prozent, der Außenhandel von physischen Produkten hingegen nur um 6,3 Prozent. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 958 Mrd. Dollar an digitalen Produkten international gehandelt. Zum Vergleich: Das BIP der Schweiz lag 2021 bei rund 800 Mrd. Dollar. Deutlich wird außerdem nicht nur, dass die USA der mit Abstand größte Exporteur ist, sondern dass der Export digitaler Produkte allgemein deutlich stärker räumlich konzentriert ist als der Waren- oder Dienstleistungsexport.

Europäische Lösungen gefragt

Wie steht es nun um Österreichs digitale Exporte? Unsere Schätzungen zeigen, dass Österreich im Jahr 2021 weniger als 290 Mio. Dollar an digitalen Produkten exportierte. Das entspricht rund 1,1 Prozent der österreichischen Waren- und Dienstleistungsexporte. Im Gegenzug importiert Österreich rund 6 Mrd. Dollar an digitalen Produkten, insbesondere aus den Bereichen Digital Advertising (1,7 Mrd. Dollar) und Cloud Computing (1,3 Mrd. Dollar). 

Klar ist, dass die Bedeutung von digitalen Produkten weiter zunehmen wird. Klar ist auch, dass Europa, und im Speziellen auch Österreich, im digitalen Sektor mehr Nutzer als Entwickler ist. Nun könnte man meinen, das sei in einer globalisierten Welt per se kein großes Problem – unsere Wettbewerbsvorteile liegen einfach insbesondere im herstellenden Bereich. Gleichzeitig agiert die Industrie heutzutage stark verschränkt mit der digitalen Welt, Stichwort Industrie 4.0. Eine digitale Abhängigkeit von ausländischen Anbietern mit viel Marktmacht ist vor diesem Hintergrund durchaus ein Grund zur Sorge. Schon heute berichten Unternehmen, dass die Kosten für digitale Produkte teils explodieren, ihnen aber die Ausweichmöglichkeiten fehlen.

Um Europa zum Entwickler statt Nutzer von digitalen Technologien zu machen, benötigt es keine österreichischen, sondern insbesondere europäische Lösungen. Der digitale Sektor ist ein „Winner-takes-all“-Markt, wo Anbieter massiv von Skalen- und Netzwerkeffekten profitieren. Während das Heben von Skalierungspotenzialen in den USA oder China gelingt, scheitern wir in Europa eben daran. Auf Ebene der Industriepolitik wird über Programme wie IPCEI bereits versucht, Unternehmen über innereuropäische Grenzen hinweg zusammenzubringen. Im digitalen Bereich hat sich die Europäische Union mit Regularien wie der Datenschutzgrundverordnung und dem AI Act eher noch der Risikominimierung als der Incentivierung von Kooperationen verschrieben. Verloren ist aber längst noch nicht alles: Auch wenn Europa wohl nicht mehr Weltmarktführer in Cloud Computing oder KI-Systemen wird, so werden weitere digitale Technologien folgen. Für diese gilt es als Europa besser aufgestellt sein.

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