Equal Pay Day: Wer rettet die armen Frauen endlich?
Sara Grasel ist Chefredakteurin von Selektiv. Sie ist seit fast 20 Jahren Wirtschaftsjournalistin mit Stationen bei „Die Presse“, Trending Topics und brutkasten. Zuletzt war sie Chefredakteurin der Magazine der Industriellenvereinigung.
Statistisch berechnete Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen rufen jährlich das Care-Arbeits-Inspektorat herbei. Natürlich muss man planwirtschaftlich in Familien eingreifen, um dort für Gleichheit und Gerechtigkeit zu sorgen, oder?
Equal Pay Day also. Ein Tag, an dem wir davon ausgehen, dass weniger oder mehr Geld zu verdienen, vor allem dann ungerecht ist, wenn der Unterschied zwischen Männern und Frauen besteht. Würde ein Arbeitgeber einem Mitarbeiter wirklich aufgrund seines Geschlechts bewusst mehr oder weniger für eine absolut gleichwertige Leistung bezahlen, wäre das im Jahr 2024 in einem Land wie Österreich tatsächlich bemerkenswert und für viele zurecht schwer zu glauben. Also muss der Vorwurf, den Anhänger des Equal Pay Days ins Feld führen, tiefer in die Trickkiste greifen. Die Ungerechtigkeit sei strukturell: Frauen wählen bestimmte Berufe. Frauen bekommen Kinder und sind dann mehr für ihre Kinder da als die Väter. Die Frauen tun das alles nicht freiwillig und wir müssen ihnen helfen, sich aus dieser Situation zu befreien.
Unbezahlt für die Familie da sein?
Am übergriffigsten kann man bei der „unbezahlten Care Arbeit“ werden – allein die Bezeichnung zeigt schon eine gewisse Geringschätzung der gemeinten Tätigkeiten, bei deren Ausübung im Privaten wohl kaum jemand an Geld denken würde. Keine Frau würde freiwillig und „unbezahlt“ auf die Idee kommen, für ihre Familie da zu sein, so offenbar die Annahme. Es muss sich um einen ungerechten Zwang handeln, der vor allem damit zu tun hat, dass die Männer dieser Familie keine Lust auf „unbezahlte Care Arbeit“ haben. Man muss sie dazu zwingen. Rein finanziell hat Österreich dabei gar keinen schlechten Job gemacht, um für Wahlfreiheit zu sorgen – vor allem, wenn es sich um keine einkommensstarken Haushalte handelt. Egal, ob Mann oder Frau in dem Jahr nach der Geburt kaum arbeiten (ein Zuverdienst ist ja möglich), man erhält monatlich entweder pauschal ungefähr 1.200 Euro oder 80 Prozent des letzten Gehalts bis zu 2.300 Euro monatlich. Natürlich ist das nicht rasend viel und man wird es sich gut überlegen, wenn man viel mehr verdient – aber staatliche Leistungen sind ja auch nicht dazu da, um sich etwas Besonderes gönnen zu können.
Jedenfalls kann man damit (und weiteren Leistungen, die man erhält) in Österreich als Familie, in der der andere Elternteil ein Arbeitseinkommen hat, über die Runden kommen – egal, wer in welche Rolle schlüpft. Frauen pauschal zu verurteilen, sie wären Opfer, die zu unbezahlter Arbeit verdonnert werden, während sich Männer im Büro eine schöne Zeit machen, zeugt nicht unbedingt von einem wertschätzenden Frauenbild. Oder einem wertschätzenden Familienbild. Dass die Familie als Team funktioniert, in dem man in guten wie in schlechten Zeiten füreinander da ist und sich die Herausforderungen des gemeinsamen Lebens so aufteilt, wie es für die jeweilige Familie individuell am besten funktioniert, scheint in Vergessenheit zu geraten. Stattdessen müssen wir die armen Menschen, die nicht wissen, was gut für sie ist, gesetzlich retten. Infrage kommen immer kompliziertere Modelle rund um das Kinderbetreuungsgeld, mit denen staatlich gewünschtes Verhalten belohnt werden soll.
45 Stunden in den Kindergarten
Während dieses System immer intransparenter wird, kommt der Ausbau der Kinderbetreuungsplätze kaum in die Gänge. Noch immer gibt es außerhalb der Ballungszentren viel zu viele Kindergärten, die mehr oder weniger zu Mittag schließen – falls es überhaupt Kindergartenplätze gibt. Dass in solchen Fällen beide Elternteile arbeiten gehen, wird zum Luxus – entweder man hat Großeltern, die jeden Tag einspringen können, oder genug Geld, um jemanden privat dafür zu bezahlen, oder eine Mischform. Das gilt übrigens insbesondere, wenn beide Elternteile Vollzeit arbeiten. Ein Kindergartenplatz, auch, wenn er als vollzeitkompatibel gilt, ermöglicht in erster Linie Teilzeitarbeit. Per Definition müssen Kindergärten, die vollzeitkompatibel sind, eine Betreuung von mindestens 45 Stunden pro Woche ermöglichen. Es gibt kaum Eltern, die ihr Kleinkind freiwillig von 8 Uhr bis 18 Uhr in einer Kleinkindgruppe oder im Kindergarten lassen, selbst wenn das möglich ist – in den meisten Kindergärten sind solche Kids schon ab 15 oder 16 Uhr eher alleine.
Pay Gap: Die Berechnung
Sehen wir uns den Equal Pay Day genauer an: Gemeint ist, dass Männer statistisch betrachtet durchschnittlich an diesem Tag bereits soviel Geld verdient haben, wie Frauen erst zu Jahresende. Heuer fällt dieser Tag rechnerisch auf den 1. November. Herangezogen werden die durchschnittlichen Bruttojahresgehälter von vollzeitbeschäftigten Frauen und Männern laut Statistik Austria: Für Männer sind das 59.258 Euro brutto jährlich und für Frauen 49.438 Euro. Der Gap: 16,6 Prozent. Eurostat zieht den Bruttostundenlohn von Voll- und Teilzeitbeschäftigten heran und kommt 2022 auf 18,4 Prozent, was deutlich über dem EU-Schnitt von 12,7 Prozent liegt – 2010 lag der Wert für Österreich noch bei 24 Prozent. Die Statistik Austria hat in einer Analyse basierend auf Verdienststrukturdaten des Jahres 2018 Faktoren wie Berufserfahrung, Branche, Unternehmensgröße oder Ausbildung herausgerechnet. Es bleibt dennoch eine Lücke zwischen den Einkommen von Männern und Frauen, die sich Ökonomen nicht erklären können. Also werden unterschiedliche Theorien gewälzt.
Es gibt zum Beispiel die sogenannte Abwertungstheorie. Die besagt einfach ausgedrückt, dass in Berufen mit niedrigerem Lohnniveau, vor allem deshalb weniger bezahlt wird, weil dort mehr Frauen arbeiten. Gerne kombiniert mit dem Vorwurf, dass Frauen in gut bezahlten Bereichen in höherem Ausmaß weniger verdienen als Männer. Das Momentum Institut vergleicht zum Beispiel: „Betreuungsberufe”, weiblich dominiert, geringer Gender Pay Gap. „Führungskräfte”, männlich dominiert, großer Gender Pay Gap. Das es sich hier bei Betreuungsberufen um eng abgesteckte Bereiche mit meist klaren Gehaltsschemata handelt und bei Führungskräften um eine Tätigkeit, die in allen Branchen und auf unterschiedlichsten Ebenen ausgeführt werden kann und bei der es auch unabhängig vom Geschlecht enorme Gehaltsunterschiede gibt, kann man wohl im Dienst der Sache vernachlässigen. Äpfel, Birnen, egal. Auch im Bereich Ingenieurtechnik, in dem der Gender Pay Gap groß ist, gibt es ein sehr breites Band an Tätigkeiten, die unterschiedlich entlohnt werden. Sprich: Auch Männer können dort wesentlich weniger oder mehr verdienen als Männer, je nachdem wie ihre Karrieren verlaufen. Dass Männerkarrieren oft anders verlaufen als Frauenkarrieren, wird niemand bestreiten – daran ist aber keine bewusst gesetzte und böswillige Diskriminierung von Frauen schuld.
Motherhood Pay Gap: Teamwork makes the family work
Wie man es dreht oder wendet, der Gender Pay Gap ist in Wahrheit wohl ein Motherhood Pay Gap. Dafür braucht es keine Studie: Wer in genau der Phase seiner Karriere, in der oft die größten Gehaltssprünge gemacht werden, eine noch so kleine Pause einlegt, wird danach etwas länger brauchen, um zu jenen aufschließen zu können, die durchgehend auf die Tube gedrückt haben. Je nach Branche, Position sowie Dauer und Intensität der Pause, geht das schneller oder ist vielleicht auch nie aufzuholen. Das wird vermutlich auch Männern auffallen, die beruflich zurückschrauben, solange sie kleine Kinder haben.
Der Motherhood Pay Gap kommt nicht überraschend und ist für viele Mütter ein kalkuliertes Risiko, das man gerne eingeht. Kinder großzuziehen ist eine erfüllende Aufgabe. Und eine, die man nicht alleine schaffen kann – das stimmt schon: „unbezahlte Care Arbeit“ und bezahlte Arbeit im jeweils befriedigenden Ausmaß zu „erledigen“, dafür braucht es mehr als einen Menschen. Aber genau dafür gehören zu einer Familie ja üblicherweise mehrere Erwachsene, die sich dieser Herausforderung gemeinsam stellen – mit allen Höhen und Tiefen. Egal in welcher Lebenssituation, Teams funktionieren nicht dann am besten, wenn alle jede notwendige Arbeit zu gleichen Teilen ausführen. Alleine ist das kaum alles unter einen Hut zu bringen – hier wird der Staat dringender gebraucht, als bei der Zwangsgleichmachung von Familienmitgliedern, die gerne selbst entscheiden wollen, wie sie sich die Herausforderungen ihres gemeinsamen Lebens aufteilen. Dazu braucht es keine Planwirtschaft für Familien. Freiheiten schafft man nicht mit Zwängen und Verboten – auch nicht für Frauen.