Digitaler Humanismus und medizinische Genetik

26. August 2024Lesezeit: 2 Min.
Kommentar von Markus Hengstschläger

Der Genetiker Markus Hengstschläger ist Leiter des Instituts für Medizinische Genetik und Organisationseinheitsleiter des Zentrums für Pathobiochemie und Genetik an der Medizinischen Universität Wien und u.a. auch stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission, Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich, Kuratoriumsmitglied des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds und Gründer und Leiter des Symposiums „Impact Lech“.

Der Mensch hat etwa 22.000 Gene und sein Erbgut (Genom) in Form von DNA besteht aus über drei Milliarden Basenpaaren. Es reicht oft wenn eine Mutation ein einziges Basenpaar betrifft damit eine genetische Erkrankung entsteht. Und bei den meisten Krankheiten des Menschen spielen seine Gene auch eine Rolle. Sogenannte monogene Erkrankungen, von denen es einige tausende verschiedene gibt, beruhen auf Veränderungen in einem einzigen Gen. Multifaktorielle Erkrankungen entstehen durch die Wechselwirkungen von oft vielen Genen und entsprechenden Umwelteinflüssen. Und außerdem können dabei auch noch epigenetische Phänomene, die die Verwendung der Gene, ihre Übersetzung in Proteine, nachhaltig regeln, eine Rolle spielen.

Hat die erste Analyse eines menschlichen Genoms im Jahr 2001 noch viele Jahre gedauert und ein paar Milliarden US Dollar gekostet, so ist es durch die heute zur Verfügung stehenden Sequenziermethoden möglich Genomanalysen je nach Umfang und Interpretation in wenigen Tagen um ein paar hundert bis tausend Euro durchzuführen. Die Entwicklungen betreffend die technische Durchführbarkeit und die Kosten gepaart mit der enormen Zunahme an entsprechenden medizinischen Fragestellungen im Bereich der personalisierten Präzisionsmedizin im Zusammenhang mit Pharmakogenomik, Onkologie, Herzkreislauferkrankungen, psychischen Erkrankungen u.v.m. werden dazu führen, dass in naher Zukunft Genomanalysen exponentiell zunehmen werden. Wirklich „big data“, die es gilt zu interpretieren. Für ein besseres Verständnis davon welche genetischen Veränderungen mit welchen Umweltfaktoren wie zusammenwirken, müssen in Zukunft all diese Daten auch noch mit anderen diagnostischen Analysen und klinischen Befunden zusammengeführt werden. Es darf daher niemanden überraschen, dass sich Anwendungen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz gerade mit großen Schritten in Richtung medizinische Genetik bewegen. Auch wenn es noch ein wenig dauern wird, die Konvergenz von Genomdatenanalysen und künstlicher Intelligenz wird unser Verständnis über die Entstehung von Erkrankungen und über ganz neue therapeutische Konzepte enorm erweitern.

Ohne Zweifel muss dieser Fortschritt im Sinne eines digitalen Humanismus von einer entsprechenden ethischen Diskussion begleitet werden. Gerade diese technologischen Entwicklungen können nur menschenzentriert gestaltet werden. Es geht um „ethics by design“, Datenschutz, Privatsphäre, Allokation, digitale Bildung, Datenhoheit, Transparenz, Bewertungs- und Entscheidungskompetenz u.v.m. Nicht alles was gemacht werden kann, soll auch gemacht werden. Aber genauso wie man ethisch rechtfertigen muss etwas zu tun, muss man es auch rechtfertigen, wenn man etwas nicht tut.

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