Die Wirtschafts- und Regierungsforscher

4. Dezember 2024Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Rainer Nowak

Rainer Nowak ist österreichischer Journalist und Ressortleiter für Wirtschaft und Politik bei der „Kronen Zeitung“. Zuvor war Nowak Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer der Tageszeitung „Die Presse“.

Der Kassasturz gehört zu den fixen Akten in jedem guten Regierungsverhandlungsdrehbuch. Die Partei, die das Finanzministerium stellt, also in Österreich automatisch die ÖVP, wird ultimativ aufgefordert, die Zahlen offenzulegen. Genauer gesagt: das Ausmaß des Budgetlochs zu benennen. Zynisch könnte man an dieser Stelle schreiben: Das kann sie gar nicht, so genau weiß man das in der Himmelpfortgasse auch nicht. Die (zu hohen) Ausgaben entsprechen aktuell einigermaßen den Planungen, die Einnahmen definitiv nicht.  Aber groß ist es sicher, das Loch.

Das Problem bei den Einnahmen ist ausnahmsweise nicht, oder nur zu einem winzigen Teil der abtretenden Bundesregierung zuzuschreiben, sondern der Konjunktur. Für die kann grosso modo eine österreichische Bundesregierung nur bedingt verantwortlich gemacht werden, was gut und schlecht zugleich ist. Jedenfalls ertönt die Verärgerung über das Fehlen guter Zahlen aus dem Finanzministerium in den Reihen von SPÖ und Neos lautstark. Die drei Parteichefs sollen das heute ausreden und werden danach noch genervter sein.

Die Ressort-Kritik war schon vor und nach den Nationalratswahlen zu hören. Die Defizitprognose wurde erst nach der Wahl massiv ins Negative revidiert. Nicht nur die Opposition glaubte an Manipulation zu Wahlkampfzwecken. Die Wahrheit ist: Seit Jahren prognostizieren die Rechner im Ministerium alles andere als tagesaktuell, sondern verwenden sklavisch, da vorgeschrieben, Daten eines bestimmten Instituts. Deren Experten und die anderer Häuser revidieren oder kalibrieren ihre Vorschauen naturgemäß ständig und daher schneller. Da kann es dann schon vorkommen, dass ein und derselbe (oder gleiche) Wirtschaftsweise die Regierung noch vor einigen Monaten darauf aufmerksam machte, dass zu konservativ und defensiv gerechnet würde. Was wiederum tatsächlich jahrelange Praxis war: Das Finanzressort prognostizierte lange schlechtere Aussichten und Zahlen als dann eintraten. Das war zuletzt genau gegenteilig: Daher gibt derselbe Wirtschaftsexperte kritische Interviews, in denen er die Regierung für ihre Budget-Lügenpolitik geißelt. Wer Recht hat? Wie immer in Österreich alle ein bisschen. Die Experten drehen und wenden sich wie es für Kameras und Mikros passt, die Politik versucht sich weg zu ducken, wenn die Wolken dunkel werden.

Ein anderer Wirtschaftsforscher hat karrieretechnisch alles richtig gemacht: Martin Kocher. Der Arbeitsminister war IHS-Chef, als Regierungsmitglied Umfragekaiser und freut sich schon, bald Österreichs oberster Währungshüter unter dem EZB-Dach zu werden. In der „Zeit im Bild“ meinte er, dass angesichts der Rezession und steigender Arbeitslosigkeit nun „glaubwürdige Maßnahmen“ zu treffen wären. Stimmt, irgendwann müssen nach der vergangenen Regierung endlich glaubwürdige Maßnahmen gesetzt werden. Wo war/ist Kocher zuletzt gerade schnell noch?

Wie auch immer: Die Wahrscheinlichkeit, dass die nächste Regierung einen Wirtschaftsforscher in die nächste Regierung holt, war vor wenigen Wochen hoch bis vorhanden. Das kann man mittlerweile getrost ausschließen. Schade. Oder auch nicht.