Die Sesselkreis-Regierungsbildung

18. Dezember 2024Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Rainer Nowak

Rainer Nowak ist österreichischer Journalist und Ressortleiter für Wirtschaft und Politik bei der „Kronen Zeitung“. Zuvor war Nowak Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer der Tageszeitung „Die Presse“.

Ein einfacher Management-Test zur aktuellen Krise und ihrer Lösung. 

Stellen Sie sich vor, in Ihrem Unternehmen oder in Ihrer Organisation gibt es eine Krise. Eine sehr schwere Krise. Sie müssen die Strukturen ändern und die Kosten massiv senken, sonst droht eine negative Bilanz. Eine tiefrote. Damit nicht genug, das Spitzenmanagement wurde gerade ausgetauscht und ist dabei, sich zurechtzufinden und sich kennenzulernen. Was machen Sie? Variante eins: Sie holen sich die wichtigsten Experten an den Tisch, dazu kommen der künftige Vorstand oder die Abteilungsleiter und los geht es. Ein Sparpaket wird geschnürt, eine entsprechende Rückstellung gebildet, eine neue Strategie erarbeitet und die drei neuen Spitzenleute verkünden das alles in einer großen Betriebsversammlung. Oder notfalls auf der Weihnachtsfeier. 

Variante zwei lautet wie folgt: Sie holen alle Mitarbeiter in einen offenen und unmoderierten Sesselkreis-Prozess, um gemeinsam Lösungen und Ideen zu sammeln. Dazu kommen Berater aus diversen Firmen und Organisationen, die in den vergangenen Jahrzehnten schon mit Ihnen gearbeitet haben. Nach Wochen und Monate langen Gesprächen und Fishbowl-Prozessen kommt am Schluss ein Papier mit Hunderten Vorschlägen heraus, die teils gemeinsam, teils von Teilen beschlossen wurden. Dieser Plan soll dann vom neuen, divers besetzten Vorstand, der hin und wieder auch dabei war, umgesetzt werden. Überall wo Uneinigkeit herrscht, kann er dann entscheiden, wohin die Reise geht.

Natürlich wählen Sie Variante eins und haben eine gute Restchance, Unternehmen oder Organisation zu retten. Sie wissen auch: Variante zwei mit Experten-und-Mitarbeiter-Basisdemokratie führt zu nichts beziehungsweise direkt in den Abgrund.

Österreichs künftige Bundesregierung hat Variante zwei gewählt, jede und jeder darf und soll mitreden dürfen: Alle Vorfeldorganisationen, alle Sozialpartner, fast alle Interessenvertreter und natürlich vor allem, Hinz und Kunz aus ÖVP, SPÖ und Neos dürfen wichtig reden und verhandeln. Nach Wochen erreichten die Hundertschaften überraschend ein paar Kompromisse. Die verschriftlichen Konfliktthemen sollen nun von den Chefs ausgeräumt werden. 

Normalerweise einigen sich die Chefverhandler einer guten Regierung vorerst auf die Leitplanken, schlagen ein paar wichtige Pflöcke ein. (Heute würde man sagen: erfinden ein paar Leuchttürme.) Dann gehen die Papiere weiter runter, auf Fachebene, Beamte und Experten kümmern sich dann um die Details. 

Es mag Unterschiede bei den Verhandlungsteams gegeben haben: Die ÖVP schickte ihre alten Füchse, die weder Pardon noch Veränderung kennen. Die SPÖ versuchte es mit den neuen und ewigen politischen Nachwuchstalenten, die die Hochschülerschaft für die wahre Vorbereitung auf den Ernst jedes Lebens erlebten. Und die Neos taten sich mit ihrer Auswahl schwer: Mehr noch nicht erkannte Nobelpreisträger gehen in keinen Klub oder Partei als bei ihnen. 

Sollten Sie als Chef übrigens doch die Sesselkreis-Variante zwei gewählt haben: Sie sind leider Ihren Job los.