Die Regierung ist auch noch stolz auf ihre Dysfunktionalität
Georg Renner ist freier Journalist in Niederösterreich und Wien mit Fokus auf Sachpolitik. Er publiziert unter anderem für „Datum“ und „WZ“, zuvor war er nach Stationen bei der „Presse“, „NZZ.at“ und „Addendum“ Innenpolitikchef der „Kleine Zeitung“.
Zwei Spitzenpolitiker geben eine Pressekonferenz, in der sie ankündigen, nach der nächsten Wahl massiv in Infrastruktur investieren zu wollen: Die Republik soll wieder mehr Straßen bauen, mehr Züge bestellen, das Stromnetz stärken und Glasfaserkabel verlegen. Das sei der „Schlüssel für den Wirtschaftsstandort“, die derzeit zuständige Ministerin geißeln die beiden für „dogmatisch gesteuerte Politik“ und eine „nicht mehr zukunftsgemäßen Verzögerungstaktik“.
Das überraschende dabei: Es handelt sich bei den beiden nicht um Oppositionspolitiker – sondern um Kollegen besagter Ministerin, um Bundeskanzler und Finanzminister.
In der Sache ist es ja recht vernünftig, was Karl Nehammer und Magnus Brunner (beide ÖVP) da am Montag angekündigt haben: Dass bereits seit langem im Bundesstraßengesetz verankerte Bauprojekte wie der Lückenschluss im Autobahnring um Wien – vulgo „Lobautunnel“ – tatsächlich umgesetzt werden sollen; dass der Steuerzahler viel Geld in die Hand nehmen wird müssen, um die heimischen Energienetze für den Erneuerbaren-Boom fit zu machen; und dass eine solide Infrastruktur eine gute Investition für die Zukunft ist. Gegen das 45-Milliarden-Euro-Programm, das die ÖVP für die nächste Legislaturperiode in Aussicht stellt, lässt sich im Grunde wenig sagen.
Einen bitteren Beigeschmack hat das Ganze aber – weil die Koalition ihre Dysfunktionalität hier fast schon stolz vor der Bevölkerung zur Schau trägt. Es ist kindisch, dass der Kanzler erst jetzt, wo seine grünen Koalitionspartner nach dem – jenseitigen – Alleingang von Umweltministerin Leonore Gewessler in Sachen EU-Renaturierungsverordnung offenbar doch nicht mehr so das beste aller Welten darstellen, mit diesen Plänen in die Offensive geht: „Dafür bau‘ ich dir nach der Wahl den Lobautunnel fertig!“ Das mag menschlich nachvollziehbar sein – dem Standort nutzt es aber wenig.
Ja, dass Gewessler mehrere Straßenprojekte vor drei Jahren am Gesetz vorbei aus dem Bauprogramm der ihr unterstellten Asfinag gestrichen hat, war kein feiner Zug – aber einer, der nach der Wahl schnell reversibel ist. Dass die ÖVP es unter dieser Voraussetzung nicht geschafft hat, ihren kleinen Koalitionspartner von der Notwendigkeit dieser Projekte zu überzeugen und ihnen die Zustimmung dazu abzutauschen, spricht gegen die Bilanz der türkis-grünen Regierungsmannschaft.
Darüber hinaus ist es aber gerade mit Blick auf die heimische Infrastruktur unklug, die letzten Monate der Koalition mit solchen Streitereien, statt mit solider Arbeit zu füllen – denn gerade in diesem Bereich sind noch etliche Schlüsselvorhaben offen. Dazu zählen zum Beispiel Energiereformen wie das Elektrizitätswirtschaftsgesetz oder das Erneuerbaren Ausbau Beschleunigungsgesetz, die den Netzausbau bedeutend erleichtern würden und von den Netzbetreibern dringlich eingemahnt werden.
Und die Zeit drängt – denn nach derzeitigem Stand der Umfragen wird es nach der Nationalratswahl deutlich komplizierter, die für Energiegesetze nötige Zweidrittelmehrheit aufzustellen als jetzt, wo die Koalition „nur“ die Stimmen einer weiteren Fraktion (SPÖ oder FPÖ) benötigt.
Wem der Standort ein Anliegen ist, der sollte sich weniger damit befassen, den Koalitionspartner öffentlich zu attackieren – und mehr damit, diese essenziellen Gesetze jetzt noch auf den Weg zu bringen, bevor Wahlkampf und Regierungsverhandlungen ein halbes Jahr und mehr Zeit kosten. Denn an sich haben wir eine Regierung, damit sie regiert – und sich nicht Monate vor der Wahl öffentlich an ihrer Dysfunktionalität ergötzt.