Das passiert nach dem 29. September – eine gewagte Prognose

2. September 2024Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Gerhard Jelinek

Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.

„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“. Dieses fälschlich Karl Valentin zugeschriebene Zitat (es ist auch nicht von Karl Kraus, Mark Twain oder Churchill, eher auch nicht vom dänischen Physiker Niels Bohr) trifft auf die Frage zu: Was passiert nach dem Wahltag am 29. September? Und wie soll sich das alles ausgehen?

Wagen wir das Schwierige und lehnen wir uns weit aus dem Fenster raus. Das endgültige Wahlergebnis wird nicht den heutigen Umfragen entsprechen (die sind nicht falsch, aber eben nur Momentaufnahmen). Der Abstand zwischen FPÖ und ÖVP wird kleiner sein, als heute ausgewiesen. Schon einmal lag die FPÖ um 415 Stimmen vor der ÖVP (unter Wolfgang Schüssel). Jörg Haider wurde nicht Kanzler.

Diesmal kann Herbert Kickl nur Bundeskanzler werden, wenn die ÖVP hinter Bablers SPÖ zurückfällt und Dritte wird. Dann ist Karl Nehammer Geschichte und möglicherweise das „Nein“ zu Kickl auch. Ja, eh: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“

An so einem Szenario haben alle wirklich wichtigen Kräfte in der Republik kein Interesse. Von der sozialdemokratisierten ÖVP-Politik frustrierte „Bürgerliche“ aller Schattierungen könnten trotz marktwirtschaftlicher Schalmeientöne im FPÖ-Programm doch im letzten Moment das „kleinere Übel“ wählen, und ihr Kreuz bei der Volkspartei („aber diesmal wirklich das allerletzte Mal“) machen. Kickl arbeitet daran. Seine (nachher nicht so gemeinte) Beschimpfung aller Besucher der Salzburger Festspiele als „Inzuchtpartie“ und „Heuchler“ kommt eben in kulturaffinen Kreisen nicht so gut an.

Hinter dem publizistischen Vorhang wird daher schon seit Monaten an irgendeiner Form einer schwarz-rot-pinken „Ampelkoalition“ gebastelt. Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke wäre dann wohl als Finanzminister und Vizekanzler gesetzt (auch wenn die NEOS gern in die Himmelpfortgasse einziehen würden, man wird für sie was anderes finden) Das setzt allerdings voraus, dass die SPÖ unter Andreas Babler nur als Dritte ins Ziel stolpert. Für die Realo-Fraktion der Sozialdemokratie in den Bundesländern ist das die einzige Chance den linkssozialistischen Traiskirchner (und seine Fan-Truppe) wieder loszuwerden.

SPÖ-nahe Wirtschaftstreibende und Industrielle haben den Parteichef vor Wochen zu einem „Privatissimum“ gebeten (geladen?). Augen- und Ohrenzeugen waren danach entsetzt. Er glaubt an seine wirtschaftspolitischen Ideen tatsächlich. Nur soviel: Der Aufschrei von Doris Bures – immerhin die Nummer 1 in Wien – war gegen das, was Gesprächsteilnehmer nachher sagten, höchst zurückhaltend.

Damit die SPÖ endlich wieder mitregieren darf, muss sie Dritte werden. Ein Paradox, aber logisch.
Auch Englands Labour-Partei musste zunächst mit dem von den Linken und „Intellektuellen“ angebeteten Jeremy Corbyn untergehen, ehe sie mit dem pragmatischen Keir Starmer in die Downing Street 10 einziehen durfte. Und die amerikanischen Demokraten mussten erst den Linkspopulisten Bernie Sanders abschütteln, der wiederholt entscheidende Stimmen „absaugte“ und damit Erfolge der Republikaner ermöglichte.

Das neue Statut der SPÖ, das eine Mitgliederabstimmung über ein Koalitionsabkommen vorsieht, mag zwar demokratisch, aber wenig praktikabel sein. Wenn ein paar Tausend Besitzer eines Parteibuchs über so komplexe Fragen entscheiden und mit einer Twitter-Kampagne monatelange Kompromisse umgestoßen werden können, macht das Regierungsbildungen nicht einfacher. Die deutschen Genossen haben das auch schon erlebt.

Diesmal wird es nach dem 29. September lange dauern, ehe der Bundespräsident vor der roten Tapetentür eine neue Regierung angeloben kann. Monate. Dazwischen wird sondiert, dementiert und lobbyiert. Diese Prognose ist eher einfach, selbst wenn sie die Zukunft betrifft.

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