Welche Strategie hinter Chinas Klimapolitik steckt
Bernhard Seyringer ist Politikanalyst. Seine thematischen Schwerpunkte fokussieren „Strategic Foresight“ und „Neue Technologien und Internationale Politik“. Seyringer ist zudem Experte für digitale Geopolitik.
Die chinesische Führung hat sich mit dem erklärten Ziel die „Klima-Neutralität“ erst eine Dekade später als seine Hauptkonkurrenten in den USA und der EU erreichen zu wollen, einen großen Vorsprung verschafft. Peking möchte in das Freiluftexperiment einer gesamtgesellschaftlichen „De-Karbonisierung“ möglichst spät einsteigen, um aus den im Westen gemachten Fehlern zu lernen und teure Irrwege zu vermeiden. Bis dahin wird das Land versuchen, entstehende Transformationskosten auf die Industrieländer abzuwälzen, um gleichzeitig als führender Anbieter „grüner Technologien“ mit marktbeherrschender Stellung, von der wachsenden Abhängigkeit westlicher Industrieländer von eben jenen Technologien zu profitieren.
Die chinesische Delegation um Xia Yingxian, Direktor der Abteilung für Klimawandel im Umweltministerium, reist recht entspannt zur COP29 nach Baku. Man geht davon aus, dass man sich eine relativ unambitionierte Klimapolitik leisten kann, schließlich führt man mit Abstand bei „grünen Technologien“. Die Zahlen sind beeindruckend: Anfang 2024 waren 610 GW Solarenergie und 441 GW an Windenergie am nationalen Netz. Seit 2022 wurde der Neubau von 31 Nuklearreaktoren genehmigt. Auch in der Produktion der „neuen drei Leitindustrien“ – Batterien, Elektroautos und Solarpanele – ist man global dominant.
Seit der diplomatischen Niederlage des Landes im Rahmen der COP15 in Kopenhagen 2009, gibt sich Peking als der Musterschüler in der globalen Klimapolitik, der die große politische Bühne internationaler Konferenzen zu nutzen weiß. Die diplomatischen Offensiven Chinas sind seit 2017 fest mit klimapolitischen Initiativen verbunden. Xi Jinping hat das „Streben nach einer ökologischen Zivilisation“ von Hu Jintao übernommen, und mit seiner außenpolitischen Strategie der „Schicksalsgemeinschaft“ verknüpft – für die Einflussausweitung in internationalen Organisationen.
Diese Erfolge machen kurz vergessen, dass China mit 31 Prozent immer noch den größten Anteil am CO2-Emissionsausstoß verursacht und Kohle mit 55,3 Prozent den größten Anteil im Energiemix einnimmt. China ist außerdem das einzige Land in der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20), dessen Verbrauch an Kohle seit der Unterzeichnung der Pariser Abkommen 2015 deutlich angestiegen ist. Mit der Ankündigung Xi Jinpings im Rahmen der 75. Generalversammlung der UN im September 2020, dass China beabsichtigt den Peak an CO2-Emissionen im Jahr 2030 zu erreichen und im Jahr 2060 klimaneutral zu sein, hat er die offizielle Zeitachse für das „30/60 Ziel“ vorgegeben. Dieses „Klimaversprechen“ (shuang tan) bestimmt auch das Ziel der Reduktion der Energieintensität um 13,5 Prozent bis 2025 im 14. Fünfjahresplan (2021-2025).
Da das Reduktionsziel Anfang 2024 aber erst zu etwas mehr als der Hälfte (7,3 Prozent) erreicht war, hat der Staatsrat einen weiteren Plan für 2024/25 vorgelegt. Das Ziel ist die Verringerung der Energieintensität um 2,5 Prozent pro Jahr, sowie die Erhöhung des nicht-fossilen Anteils im Energiemix auf 18,9 Prozent für 2024 und 20 Prozent für 2025 (Vergleich 2023: 17,9 Prozent) Der Plan ruft auch „nach einer strikten Kontrolle und Limitierung des Ausbaus von Kohlekraftwerken“ und tatsächlich sind die Genehmigungen für den Neubau von Kohlekraftwerken in der ersten Hälfte 2024 um 83 Prozent zurückgegangen. Allerdings hat Xi bereits im April 2021 bekanntgegeben, den Ausbau von Kohlekraftwerke „strikt zu limitieren“ und ab 2026 auslaufen zu lassen. Nach Analysen des Global Energy Monitor auch deswegen, weil die Regierung ab 2019 den Bau von 127 Kraftwerken bereits genehmigt hatte und dann trotzdem 2022/23 noch weitere 55 genehmigte.
Übrigens: In diesem Zusammenhang wird oft von einer „kooperativeren Phase“ in den Jahren 2012-2014 gesprochen. Die damaligen Abschaltungen von Kohlekraftwerken hatten aber nichts mit Kooperation oder Einlenken in der Klimapolitik zu tun. Tatsächlich waren die Proteste in den großen Städten wegen katastrophaler Luftverschmutzung auch für die Parteiführung nicht mehr zu ignorieren.