Chinas Industriepolitik und die Mystik des „Dritten Plenums“

24. Juli 2024Lesezeit: 3 Min.
Bernhard Seyringer Illustration
Kommentar von Bernhard Seyringer

Bernhard Seyringer ist Politikanalyst. Seine thematischen Schwerpunkte fokussieren "Strategic Foresight" und "Neue Technologien und Internationale Politik". Seyringer ist zudem Experte für digitale Geopolitik.

Letzte Woche war es wieder so weit: Das „Dritte Plenum“ des 20. Zentralkomitees in China tagte mit halbjähriger Verspätung. Bereits Wochen zuvor, haben etliche internationale Beobachter die Aussicht auf eine Neujustierung der chinesischen Wirtschaftspolitik skizziert. Die Aufregung scheint kaum gerechtfertigt, denn historisch betrachtet, wurden stets nur „Entscheidungen“ verkündet, die längst beschlossen waren. Dieser Tradition blieb man auch letzte Woche treu. Ein Richtungswechsel stand nicht auf der Agenda.

Seit 1978 werden die „Entscheidungen“ (jueding) jedes „Dritten Plenums“ sehr genau verfolgt. Der Grund ist, dass Deng Xiaoping damals seine Politik der „Reform und Öffnung“ eingeleitet hat, und das Plenum seither als Katalysator für die langfristigen, wirtschaftspolitischen Weichenstellungen gilt. Die Spannung war möglicherweise auch deswegen so groß, weil Xi über der gesamten Zeitraum des 19. Zentralkomitees (2017-2022) kein Plenum zum Thema Wirtschaftspolitik abgehalten hat, und die 60 Punkte der „Entscheidungen“ vom Jahr 2013, als Muster für entschlossene Reformpolitik gilt.

Letzten Sonntag, hat die Partei also wieder „Entscheidungen“  veröffentlicht: 300 Reformmaßnahmen, von der Wirtschaftspolitik über Sicherheitspolitik bis hin zur Sozialpolitik, deren Ziele bis 2029 umgesetzt werden sollen. Die Maßnahmen sind vielfach sehr abstrakt, was den Versuch der Abschätzung ihres Einflusses, sehr schwierig macht, und die meisten waren zuvor ohnedies längst beschlossen.

Aus meiner Sicht gibt es zwei Themen, die besonders herauszustreichen sind: Fiskalpolitik: Die Lokal- und Provinzregierungen sind heillos überschuldet und es existieren zu wenige Instrumente, die eine anti-zyklische Investitionspolitik ermöglichen. Das Zweite ist die Innovations- und Industriepolitik mit dem alles überragenden Ziel der „technologischen Unabhängigkeit“, vor allem von den USA. Das ist aber bereits überdeutlich artikuliert worden. Sowohl von Xi Jinping, als auch von Jun Zhuanglong, Minister für Industrie und Informationstechnologie, der die Bedeutung der Supply Chains der „New Three“-Industriezweige -Elektroautos, Solarpaneele und Batterien- deutlich betonte. Sie stellen den Kern der aktuellen industriepolitischen Leitstrategie, der „New Quality Productive Forces“ dar, die Xi in bisher mehr als 20 Reden verwendet hat. Daher zwar hochrelevant, aber auch nicht neu.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass es zu keinen großangelegten Veränderungen in der Wirtschaftspolitik des Landes kommen wird.  Obwohl die halbjährige Verspätung auch signalisiert, dass diese offizielle Analyse nicht unumstritten ist, und es große Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Staatsführung gibt. Ein Teil der Enttäuschung liegt aber in der Überbewertung des „Dritten Plenums“: Niemand hat im Rahmen des Plenums 1978 von „Reform und Öffnung“ gesprochen. Die Agenda entstand erst im Laufe der Zeit. Auch Xi‘s Reformenthusiasmus von 2013, hat in Wahrheit nur dem Ausbau seiner Machtposition gedient, sowie der Verschiebung der wirtschaftspolitischen Kompetenzen, von Ministerpräsident Li Keqiang zu Xi‘s wichtigstem Wirtschaftsberater Liu He.

Alles weitere, werden wir in den kommenden Wochen im Theorieorgan der KP „Qiushi“ (Wahrheitssuche) nachlesen können.  Wie immer streng objektiv.

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