China vs. EU: Wie gelingt die Unabhängigkeit bei Microchips?
Bernhard Seyringer ist Politikanalyst. Seine thematischen Schwerpunkte fokussieren „Strategic Foresight“ und „Neue Technologien und Internationale Politik“. Seyringer ist zudem Experte für digitale Geopolitik.
China ist in seinem Streben nach technologischer Unabhängigkeit und „indigenous innovation“ (zizhu chuangxin) in den letzten zwei Jahren, große Schritte vorangekommen. Das ist nach Dekaden an Fehlschlägen und kaum merkbaren Fortschritten in vielen Bereichen, eine tatsächliche Wende. Ein Beleg dafür ist, dass die chinesischen Halbleiterimporte zum ersten Mal in der Geschichte in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zurückgegangen sind.
Von den 2015 in „Made in China 2025“ gesetzten Zielen, ist das Land zwar meilenweit entfernt, aber das chinesische Innovationssystem zeigt zweifellos Ambition und Strategiefähigkeit. Genau die Schwachpunkte der europäischen Industriepolitik. Hier hilft auch die Anwendung einer neuen offiziellen Phraseologie von „De-risking“ bis zur „Europäischen Souveränität“ kaum. Nicht, dass letzteres nicht wünschenswert wäre, es ist nur eben eine blanke Illusion. Freud sagte dazu, es ist ein Zeichen von Neurose, wenn man glaubt, mit Veränderung der Sprachlichkeit die Welt verändern zu können.
Zehn Jahre nach Gründung des „China Integrated Circuit Industry Investment Fund“ – bekannter unter dem Namen „Big Fund“ – im Herbst 2014, ist es Zeit für ein Fazit. Wie geht China das Thema Souveränität im Bereich der Halbleiterindustrie an?
Die Entwicklung des wichtigsten Nationalen Entwicklungsfonds für die Halbleiterdindustrie ist in drei Phasen entlang der Halbleiter-Wertschöpfungskette gestaffelt: In der ersten Phase (September 2014 – August 2018) wurden gesamt 20 Mrd. Dollar in 81 Projekte von 23 Unternehmen investiert. Fast 70 Prozent der insgesamt aufgebrachten Mittel, wurden in die Ausweitung der Produktionskapazitäten für Mikrochips investiert. Aktuell sind 44 Produktionsstätten (Fabs) in Betrieb und 22 weitere in Bau. Bis zum Ende 2024 sollen 32 Fabs ihre Produktionskapazitäten ausgeweitet haben und 18 weitere in Betrieb gehen. Auch hochentwickelte Mikrochips, können mittlerweile in zwei Fabs in Shanghai gefertigt werden.
In der zweiten Phase (Oktober 2019 – März 2022) wurden gesamt 29 Mrd. Dollar in 38 Unternehmen investiert. Der Schwerpunkt lag im Aufbau von Design-Kapazitäten. Besonders erfolgreich war die Kooperation im Projekt „Tashan“ der Huawei-Tochter Hubble Technology Investment: Seit 2019 wurde ein Geheimnetzwerk an Unternehmen aufgebaut, das Wertschöpfungsketten ohne ausländische Komponenten – sogenannte „Non A-lines“- ermöglicht, und die Umgehung der US-Exportsanktionen erlaubt. Das ist auch der Hintergrund des Überraschungscoups von Huaweis „Mate 60 Pro“, von letztem Sommer. Seit November 2023 wird in Phase 3 in die Produktionsausrüstungstechnik investiert.
Zurück nach Europa. Bereits im März 2019 hatte die Europäische Kommission die Formulierung von „China als Partner, Wettbewerber und systemischem Rivalen“ verwendet. Wäre es tatsächlich ein ernsthaftes, strategisches Papier gewesen, hätte sie sich wohl vorher entscheiden müssen. Am Beispiel der Halbleiterindustrie lässt sich diese zweifelhafte Ernsthaftigkeit verdeutlichen: Die Erhöhung des europäischen Anteils am Weltmarkt bei Halbleitern von neun auf 20 Prozent bis 2030 ist keine Strategie, sondern ein surrealer Wachtraum. Wenn dann auch noch im Zeichen von „De-risking“ in Deutschland in eine Produktionsstätte für Chips in 2-Nanometer-Technologie investiert wird, kann einen das durchaus in Staunen versetzen. Nirgendwo in Europa können 2-Nanometer-Chips verbaut werden – es gibt dafür schlicht kein Werk. Für welche „Souveränität“ oder Krise wäre dass dann nochmal? Am 21. Mai hat die Präsidentin der Europäischen Kommission in einem Interview der Financial Times gesagt, sie sieht Europa noch nicht in einem Handelskrieg mit China. Ich bitte um Expresszustellung des „Made in China“-Strategiepapiers, das die Kommissionspräsidentin dringend studieren sollte.