Brechende Dämme: Vom Hochwasser zu Draghi und zurück

16. September 2024Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Rainer Nowak

Rainer Nowak ist österreichischer Journalist und Ressortleiter für Wirtschaft und Politik bei der „Kronen Zeitung“. Zuvor war Nowak Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer der Tageszeitung „Die Presse“.

Erlebt man ein sogenanntes Jahrhundert-Hochwasser (aus sicherer Distanz) schon zum zweiten Mal, überlegt man drei Dinge. Erstens: Stadt und Land haben nach dem ersten Mal hoffentlich genügend Vorkehrungen getroffen, das zweite Mal für die Betroffenen aufzuhalten oder abzumildern. Zweitens gilt: Wenn man davon ausgeht, dass zumindest ein Einfluss von mehreren unglücklichen Wetterfaktoren der Klimawandel ist – also laienhaft etwa die stärkere Erhitzung des Mittelmeeres, damit die einhergehende schnellere Verdampfung des Meereswasser und somit mehr Regen – sei eine Frage zulässig: Hätten wir nicht früher den Umgang mit den Konsequenzen lernen müssen? Drittens weiß man um sein Alter. 

Zurück zu Punkt eins: Nach dem 2002er-Hochwasser und kleineren in den 22 Jahren danach verkündeten Bundesländer und Bundesregierung immer wieder, dass massiv in den Hochwasserschutz investiert würde. Das scheint einigermaßen effizient passiert zu sein – trotz möglicher weiterer Katastrophenmeldungen von brechenden Dämmen und weiteren notwendigen Verstärkungen der Schutzmaßnahmen. Zweitens und drittens kommentiert sich von selbst, bleiben wir also bei den öffentlichen Investitionen und den Schutzmaßnahmen. Es sei etwa der kurze Hinweis an die in dieser Frage oberlehrenden Grünen erlaubt, dass Renaturierung als Mittel gegen das Hochwasser nicht nur an der nun massiv betroffenen Kamp durchgeführt wurde. Dort und anderswo wurden Flüsse und Bäche wieder dereguliert, also sogar Flächen von der öffentlichen Hand angekauft, um den Gewässern und ihren Hochwassern ihren Raum zu geben. Das passierte tatsächlich ohne Selbstherrlichkeit, Verzeihung Selbstfraulichkeit grüner Ministerinnen, die die Renaturierung als Erfindung, nein Segnung der Grünen Partei erfolglos zu patentieren versuchen.

Soll also ganz einfach heißen: Es gibt sie natürlich, die guten und wichtigen Investitionen des Staates, der Länder und Gemeinden. Dort nämlich, wo sie schlicht notwendig sind. Oder dort, wo sie sinnvoll sind, weil sie weitere Investitionen auslösen und in weitere Folge für mehr Wohlstand sorgen. Genau solche Investitionen – Achtung weiter Sprung – verlangt nun Mario Draghi von der EU und ihren Mitgliedsländern. Im Auftrag von Ursula von der Leyen hat er einen inhaltlich spektakulären Report zum Wirtschaftsstandort vorgelegt, der die Wunden und Defizite schonungslos offengelegt und daher nicht nur die Brüsseler Schranzen begeistert: Digitalisierung verschlafen, Wettbewerbsfähigkeit verspielt und selbst neue angebliche EU-Kern-Industrien wie Solar und Co. im Vergleich zu China versemmelt.

Draghi schlägt daher genau genommen eine vermeintliche US-Reaktion vor: Europabonds beziehungsweise gemeinsame Anleihen/Schulden um mittels Finanz-Bazooka dreistellige Milliardenbeträge in mögliche Zukunftsbranchen und Forschungsfelder zu feuern. Und täglich grüßt das Silicon Valley, das mit seiner Welt-Hegemonie als Vorbild für jeden milliardenschweren Größenwahn herhalten darf. Alleine: Es waren keineswegs Milliarden aus Washington die zielgerichtet in Firmen wie Google, Apple oder Facebook-Meta gepumpt wurden. Es war die freie Marktwirtschaft und ein technologischer kreativer Boden/Tal mit entsprechenden Brains aus Technik und Wissenschaft. Gefördert wurde das Wunderding namens Internet ursprünglich (also beginnend vor bald einem halben Jahrhundert) von Milliarden an das US-Militär und die dazugehörige Forschung. Das vergessen die nun Draghi beklatschenden Linken immer. Aber vielleicht hat das die ehemalige Verteidigungsministerin von der Leyen nicht. Allerdings gibt es für Milliarden an die Rüstung weniger Applaus von Journalisten, Grünen und ihren neuen Startup-Jüngern. Das würde ihr massiv fehlen, das Loblied ihrer einstigen Kritiker.

Erstaunlich ist, dass der Milliarden-Draghi-Plan im österreichischen Wahlkampf so gut wie keine Rolle spielt, keiner spricht das vielleicht wichtigste politisches Thema in diesen Monaten an. Zugegeben, es ist auch kompliziert. 

Nun halten sich auch fast alle angesichts des Hochwassers zurück. Was vielleicht das Beste an der Situation darstellt.   

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