Am Bremspedal des wirtschaftlichen Aufschwungs

25. Juni 2024Lesezeit: 4 Min.
Sara Grasel Illustration
Kommentar von Sara Grasel

Sara Grasel ist Chefredakteurin von Selektiv. Sie ist seit fast 20 Jahren Wirtschaftsjournalistin mit Stationen bei „Die Presse“, Trending Topics und brutkasten. Zuletzt war sie Chefredakteurin der Magazine der Industriellenvereinigung.

So weit ist es gekommen: Wir freuen uns, wenn in wirtschaftlichen Prognosen Dinge weniger schlecht ausfallen könnten als gedacht. Die Inflation ist in Österreich zuletzt zum Beispiel zurückgegangen – in Wahrheit ist die Lage aber zwar ein bisserl weniger schlecht aber noch immer schlecht. Die Inflationsrate in Österreich ist noch immer eine der höchsten im Euroraum. Noch ein Beispiel: Die Wirtschaft wird heuer wieder wachsen, nachdem sie 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 0,8 Prozent geschrumpft ist. Die Ökonomen von Wifo, IHS und Nationalbank setzen ihre Prognosen aber so niedrig an (+0,2 bis +0,5 Prozent), dass das wohl kaum wirklich Anlass zur Freude geben kann. Als Christoph Leitl, damals Wirtschaftskammer-Präsident, den Wirtschaftsstandort 2013 als „abgesandelt“ bezeichnet hat („abgesackt“ sei ihm zu drastisch gewesen, erklärte er den Sager), lag Österreich im wichtigen Wettbewerbsfähigkeits-Ranking der Lausanner Business School IMD auf Platz 23. Heuer hat das IMD Österreich auf Platz 26 verwiesen. Das ist das obere Mittelfeld, auch hier gilt also, es könnte schlimmer sein. Allerdings: Österreich hatte 2007 auch schon einmal den guten 11. Platz in diesem Ranking.

Wirklich Anlass zu Raunzen gibt aber der Befund. Denn der ist seit vielen Jahren der gleiche. Wenn es um Reformmaßnahmen geht, scheint Ratlosigkeit zu herrschen. Eh klar, es geht um jene heißen Erdäpfel, die im Wahlkampf niemand anrühren will. Und eigentlich auch sonst nie – der Sprung in ein Regierungsprogramm ist meist Endstation. Da wären: Eine alternde Gesellschaft ohne Anreize, länger im Berufsleben zu bleiben. „Altersbedingte Kosten“ würden 2030 in Österreich fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung (BIP) ausmachen – der zweithöchste Wert in der EU – und seien eine massive Belastung für das öffentliche Budget, mahnte die EU-Kommission erst vergangene Woche. Das faktische Pensionsantrittsalter ist in Österreich dafür vergleichsweise niedrig. Nach wie vor sind die Anreize, früher in Pension zu gehen höher, als länger zu arbeiten. Trotz der hohen Staatsverschuldung stehen die Schleusen für Pensionserhöhungen weit offen, wie die jüngste Rekordanpassung gezeigt hat.

Nächster Punkt: Die hohen Lohnkosten. Es kommt nämlich nicht nur auf die Höhe der Löhne und sonstiger Arbeitskosten an, sondern auch darauf, wie produktiv die Angestellten sind. Entscheidend sind die Lohnstückkosten, die zeigen, wie hoch die Arbeitskosten je produzierter Einheit sind. Österreich hat in den letzten mehr als zehn Jahren hinsichtlich der Lohnstückkosten gegenüber wichtigen Mitbewerbern in der EU an Boden verloren. Die reale Arbeitsproduktivität wächst in Österreich nicht schnell genug, warnte die Agenda Austria bereits vergangenes Jahr. In diesem Umfeld über eine verordnete Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich zu diskutieren, ist geradezu absurd. Genauso, wie in einem Hochsteuerland ständig nach neuen Steuern zu lechzen, als wäre es in einem reichen Land mit einer der höchsten Steuer- und Abgabenquoten unmöglich, die Aufgaben des Staates zu finanzieren. Richtig schlecht schneidet Österreich im IMD-Ranking übrigens im Punkt Steuerpolitik ab – Platz 64 von 67.

Und natürlich gibt es noch einen wichtigen Punkt, den wir offenbar untätig zur Kenntnis nehmen: Österreichs Versorgungssicherheit im Energiebereich steht auf gelinde gesagt wackligen Beinen. Die Gasimporte sinken zwar, aber nach wie vor kommt fast alles davon aus Russland. „Ohne eine klare Strategie zur Diversifizierung weg vom russischen Gas bleibt Österreichs Energiesicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere, wenn man bedenkt, dass der Anteil von Erdgas am Energiemix 21 Prozent beträgt“, schreibt die EU-Kommission in ihrem Länderreport.

Ob wir wohl nächstes Jahr weniger raunzen können, weil das IMD-Ranking ein bisserl weniger schlecht ausfällt? Große wirtschaftspolitische Würfe sind in den genannten Problemfeldern in einem Wahljahr kaum zu erwarten. Wenn der wirtschaftliche Aufschwung lockt, könnte Österreich also noch immer auf dem Bremspedal stehen. Dabei sind große Sprünge in der Liste der wettbewerbsfähigsten Länder durchaus machbar. 2018 verbesserte sich Österreich von Platz 25 auf Platz 18. Mit einem überdurchschnittlichen Wachstum von 2,4 Prozent und Steigerungen bei Arbeitsvolumen und Produktivität. Die kräftigsten Impulse kamen damals vom Export – denn das ist die große Stärke Österreichs. Historisch betrachtet kamen die großen Wachstumsschübe immer durch eine Öffnung hin zu internationalen Handelspartnern. Jetzt ruht unsere ganze Hoffnung auf konsumgetriebenem Wachstum auf Basis der hohen Lohnsteigerungen – mit hohen Investitionen ist nicht zu rechnen, urteilt die EU-Kommission.

Meistgelesene Artikel