100 Jahre Schilling: Auf die Hyperinflation folgte ein massives Sparprogramm
Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.
Mit einer neuen Währung überwindet Österreich 1925 seine Hyperinflation –
Dazu wird ein massives Sparprogramm notwendig. Die junge Republik muss Budgetausgaben kürzen. Ein Sparkommissar des Völkerbunds überwacht Österreichs Haushaltssanierung. Alles schon mal da gewesen?
Es klimpert wieder in den Geldbörsen, aber nur ein paar Wochen. Kaum sind die ersten Schillingmünzen im Juni 1924 ausgegeben, sind die Silbermünzen auch schon wieder verschwunden. Während der Inflationsjahre nach dem Weltkrieg haben sich die Österreicher an billiges Papiergeld gewöhnt: Immer mehr Nullen mussten hinter die Ziffern gedruckt werden. Millionen, Milliarden, Billionen. Mit Münzen war da kein Staat zu machen. Stefan Zweig beschreibt die Folgen des Vertrauensverlusts in die Währung in seiner Welt von Gestern: „Nichts hat das deutsche Volk – dies muß immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden – so erbittert, so haßwütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.“
Während Deutschland vor hundert Jahren eine „Rentenmark“ zur Stabilisierung der Währung einführt, wird mit 1. Jänner 1925 der „Schilling“ offiziell zum alpenrepublikanischen Zahlungsmittel. Und mit dem Schilling, der in Anlehnung an eine alte englische Münze so genannt wird, verbinden sich Hoffnungen auf ein besseres Leben, auf ein Ende der Nachkriegswelt.
Für 10.000 Kronen erhalten die Österreicher einen Schilling, zunächst als sieben Gramm schwere Silbermünze, die anfangs tatsächlich zu 80 Prozent aus Silber besteht. Die Währung wird strikt an den Goldpreis gekoppelt. Demnach muss ein Schilling auf acht Kommastellen genau 0,21172086 Gramm Feingold entsprechen (was hundert Jahre später etwa 12 Euro wären).
Auf der Vorderseite der Münze wird das Parlament am Wiener Franzensring gezeigt. Der Abschied von der Krone fällt nicht schwer. In den Jahren nach dem Krieg ist das Geld durch die sich immer schneller beschleunigende Inflation bald nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem es gedruckt ist. Eine neue Währung muss nun die altersschwach gewordene k. u. k. Krone ersetzen. Eine „Krone“ passt ja irgendwie nicht mehr in die republikanische Zeit.
Das Inflationskarussell hat sich am Beginn der 1920er-Jahre immer schneller gedreht. So schnell, das den Menschen schwindlig wurde, viele stürzten ab. Die Notenpresse lief Tag und Nacht. Die Geldmenge explodierte. Das war dem Staat anfangs gar nicht unangenehm. Mit der Geldentwertung wurden die der Republik aufgebürdeten Kriegsschulden der Monarchie in kurzer Zeit „weginflationiert“. Sparguthaben und Geldvermögen des Mittelstands werden so in nur wenigen Monaten vernichtet. Politisch wird dieses traumatische Erleben von Verarmung zu einer Radikalisierung weiter Teile der Bevölkerung führen. Den Preis für die Inflation zahlt die politische Mitte – sie wird zerstört. Erinnert uns das an Ereignisse in jüngster Zeit?
Der Spötter Karl Kraus weint der Habsburgerwährung keine Träne nach, mit dem „Schilling“ will sich der Fackel-Herausgeber aber auch nicht anfreunden. „Die Krone war nach allen Richtungen schwer kompromittiert und man gibt für keine ihrer Bedeutungen einen Pfifferling…Es war schwer, für eine so suspekte Münze wie die österreichische den richtigen Namen zu finden.“
Einen „Schilling“ nimmt der Meister des bitterbösen Zynismus noch hin, aber den geplanten Namen „Stüber“ für die kleine Scheidemünze, bringt Kraus mit seinem Spott um. Das Finanzministerium hat es ihm zu einfach gemacht. So wird der kleine Bruder des neuen Schillings eben „Groschen“ und nicht „Stüber“ genannt.
Aber es wäre nicht Wien, wenn nicht gleich geraunzt würde. Das Wiener Neuigkeits-Welt-Blatt zieht schon eine Woche nach der Schillingausgabe Bilanz: „Der Schilling ist gekommen, ließ sich bestaunen und verschwand. Wohin? Es war vorauszusehen, daß die erste Silbermünze, die nach langen schrecklichen Inflationsjahren wieder erscheint, als Kuriosität betrachtet werden wird. Der erste Schilling, der als sicherer Bote besserer Zeiten erscheint, wird als wert erachtet, aufgehoben zu werden, wie die letzte Silberkrone, die fast jeder daheim hat.“
Der neue Silberschilling wird vom Ausgabetag an zum Spekulationsobjekt. Die im Ausseerland erscheinende Steirische Alpenpost hat eine Erklärung für den Schillingschwund: „Er ist vor allem wieder klingendes Geld und wird als solches wert geachtet, aufgehoben zu werden. Gleichgültig ob in der eisernen Kassa oder im Sparstrumpf.“ Die Münze behält ihren Wert, eben weil sie – zumindest zu 80 Prozent – aus Edelmetall besteht. Der Metallwert der Währung schafft binnen Tagen einen Schleichhandel.
Im Kaffeehaus „Dianabad“ bei der Marienbrücke am Donaukanal entsteht eine Schilling-Börse für den Schwarzmarkt mit täglich fixierten Kursen. Ein Schilling wird im Kaffeehaus mit bis zu 16 000 Kronen gehandelt. Hunderte Kilo der neuen Münze werden über die Grenze in die Tschechoslowakei oder nach Deutschland geschmuggelt, was zwar verboten, aber einträglich ist. Die Schillingmünze wird zum „Alpendollar“ und wiegt – vom Metallwert her – schwerer als die neue deutsche Rentenmark, die nur sechs Gramm Silber enthält, aber zu einem höheren Kurs gehandelt. Wer also mit der scheinbar wertvolleren deutschen Rentenmark in Österreich Schillinge kauft, erhält für den gleichen Nominalwert des Geldes, deutlich mehr Silber in Österreich.
So funktioniert Marktwirtschaft.
Nach Jahren ungebremster Teuerung braucht die durch einen Völkerbund-Kredit finanzierte Währungssanierung ein Symbol. Diese internationale Anleihe für Österreich hat ein Volumen von 650 Millionen Goldkronen und eine Laufzeit von 20 Jahren. Sie wird von Großbritannien, Frankreich, Italien und der Tschechoslowakei garantiert. Die „Völkerbundanleihe“ ist ein großer politischer Erfolg des christlichsozialen Bundeskanzlers Ignaz Seipel, aber er ist teuer erkauft. Österreich muss an seine Gläubiger zehn Prozent Zinsen zahlen, sein Tabakmonopol verpfänden und die Zolleinnahmen abliefern. Der Völkerbund verordnet der jungen Republik ein knallhartes Sanierungsprogramm. Der Niederländer Alfred Zimmermann zieht als Generalkommissär des Völkerbunds ins Finanzministerium ein. Eine Warenumsatzsteuer wird eingeführt. Alfred Zimmermann überwacht den aus Genf verordneten Abbau von bis zu hunderttausend Beamten (tatsächlich werden insgesamt 84 000 Staatsdiener entlassen) mit „geradezu mechanischer Brutalität“. Österreich ist zwar eine demokratische Republik, aber ohne Geld und Devisen geht das Recht nicht vom Volk, sondern von den Gläubigern aus.
Die Medizin ist bitter, sie verschärft die sozialen Spannungen – doch zumindest die fiebrige Hyperinflation findet ein Ende. Die Arbeitslosigkeit allerdings steigt auf bis zu zwölf Prozent. Langsam, zu langsam, beginnt sich die Wirtschaft zu erholen, internationale Touristen entdecken Österreich, die imposanten Berge werden zur Kulisse von Erholungsuchenden. Das Budgetdefizit kann erstaunlich rasch eingedämmt werden. Die Wirtschaft wächst endlich wieder, aber langsam: 1924 liegt das Volkseinkommen noch immer deutlich unter dem vor dem Weltkrieg.