Kommt in Österreich nun eine Insolvenzwelle und sollte der Staat große Industrieunternehmen auffangen? Im Interview mit Selektiv spricht Wirtschaftsforscherin und EcoAustria-Chefin Monika Köppl-Turyna über die schwierige wirtschaftliche Lage, in der sich das Land gerade befindet und die wichtigsten Maßnahmen.
Die österreichische Industrie ist bereits das dritte Jahr in der Rezession und nun wird anhand großer Insolvenzen sichtbar, welche Konsequenzen das haben kann. Rechnen Sie mit einer Insolvenzwelle?
Monika Köppl-Turyna: Wir haben zwei Effekte gleichzeitig. Zum einen erhöhen sich die Insolvenzen generell, auch in anderen Branchen, da wir viele Unternehmen durch die Coronakrise getragen haben. Da wird es sicher noch Nachholeffekte geben. Gleichzeitig erschwert der starke Anstieg der Kosten in den letzten zwei Jahren die Bedingungen für Unternehmen massiv. Die ganz aktuelle Insolvenzstatistik der Creditreform weist für die ersten drei Quartale ein Plus bei Unternehmensinsolvenzen von beinahe 23 Prozent aus. In der Sachgütererzeugung sind es satte 42 Prozent.
Soll der Staat große Industrieunternehmen auffangen?
Das kommt darauf an, ob wir der Ansicht sind, dass es ein strukturelles Thema ist. Und selbst dann müssen wir sehr gut überlegen, in welcher Form. Ich würde nicht sagen, wir müssen Industrieunternehmen Kurzarbeit zur Verfügung stellen, denn das beseitigt keine Strukturprobleme. Die Situation ist ja nicht wie in der Coronazeit, in der es einen kurzen konjunkturellen Schock gab. Wir sollten Unternehmen nicht mit Zuschüssen, Strompreisbremsen oder anderen Instrumenten der direkten Steuerung retten, sondern mit der Verbesserung der Standortqualität. Das ist die beste Hilfe, die man jetzt leisten kann. Es geht darum, die Leitungen für den Strom schneller zu bauen, die Lohnnebenkosten zu reduzieren, ein Bildungssystem zu schaffen, dass produktive Arbeitskräfte hervorbringt, die dann nicht noch einmal in den Unternehmen geschult werden müssen, weil sie ohne Grundkompetenzen mit 15 die Schule verlassen – das ist es, was den Unternehmen hilft.
Droht Österreich ein weiteres Rezessionsjahr?
Die Konjunkturprognose geht noch immer von einem BIP-Wachstum für nächstes Jahr aus. Diese Annahme basiert allerdings darauf, dass der Konsum anspringt und sich der Exportwettbewerb verbessert. Besonders für den zweiten Punkt gibt es allerdings keine Anzeichen. Es wird sicher viel von den Kollektivvertragsverhandlungen abhängen und auch davon, welche gesetzlichen Schritte nun kommen. Es geht darum, welche Art von Zuversicht die Regierungsverhandlungen bringen und ob wir dadurch mit einem Anstieg des Konsums rechnen können. Wenn jetzt glaubwürdig vermittelt wird, dass Reformen gemacht werden, kann das klappen.
Es gibt auch Stimmen, die meinen, die Industrie sei selbst schuld, weil sie am Markt vorbei produziert. Ist da etwas dran?
Es gibt sicher das eine oder andere Unternehmen, das in der Vergangenheit Fehler gemacht hat und jetzt dafür bezahlen muss. Aus liberaler Perspektive gibt es dann auch keinen Grund, warum der Staat einspringen sollte. Das ist in einer Marktwirtschaft normal. Derzeit gibt es aber darüber hinaus strukturelle Probleme, die stark zugenommen haben. Das würde ich klar davon trennen, wenn wir jetzt massenweise Unternehmen sehen, die zum Beispiel in energieintensiven Branchen Probleme haben. Die Lösung ist natürlich, die Strukturen zu verbessern, damit wir wieder kompetitiv werden. Wir haben uns alleine durch die Lohnkosten völlig von Deutschland entkoppelt. Deutschland hat Probleme und deshalb auch unsere Zulieferer, das ist aber nicht alles. Wir haben uns in unserer Wettbewerbsfähigkeit auch gegenüber Deutschland verschlechtert. Das heißt, selbst wenn Deutschland seine Hausaufgaben löst, kann es sein, dass sie dann auf andere Zulieferer zurückgreifen. Marktwirtschaftlich ist es normal, dass das eine oder andere Unternehmen untergeht und dafür ein anderes kommt, das vielleicht ein besseres Produkt oder Geschäftsmodell hat. Wir müssen aber dafür sorgen, dass diese Unternehmen nachkommen können und dafür sehe ich gerade keine guten Anzeichen.
Welche Maßnahmen helfen kurzfristig und welche müssen wir langfristig setzen? Bei den Energiepreisen liegt nicht alles in unserer Hand, aber bei den Lohnkosten könnte man vielleicht etwas tun?
Auch die Energiekosten liegen in unserer Hand, da sie ja aus zwei Komponenten bestehen. Bei dem Nettopreis geht es darum, möglichst schnell aus dem teuren Gas in der Stromproduktion auszusteigen. Also: Genehmigungsverfahren beschleunigen, gesetzliche Klarheit für den Netzausbau schaffen und notwendige Leitungen, auch für Wasserstoff, bauen. Bei den Bruttopreisen kommen noch Steuern und Abgaben hinzu, bei denen wir auch rasch etwas tun können. Das betrifft weniger die Industrie, denn dort greift die Energieabgabenvergütung. Aber die privaten Haushalte, deren Konsum auch durch die höheren Energiekosten geschwächt wird, haben ab Jänner die volle Wucht an Abgaben und den ganzen Arbeitspreis zu tragen.
Und die hohen Lohnkosten?
Bei den Lohnkosten ist natürlich das Problem, dass wir vergangene Entscheidungen nicht mehr rückgängig machen können. Wichtig wäre aber, jetzt die Dynamik zu bremsen. Die Sozialpartner müssen eine Lösung finden, damit die Wettbewerbsfähigkeit nicht noch mehr ins Wanken gerät. Eine Lösung wäre, dass der Staat einspringt und sagt, er verzichtet auf die Abgaben, damit die Nettolöhne nicht sinken, aber auch die Bruttokosten nicht steigen.
Ist die Kompromissfähigkeit der Sozialpartner nicht mehr so groß wie in früheren Wirtschaftskrisen – etwa in den frühen 1990er-Jahren?
Ich kann mich nicht in die Köpfe der Sozialpartner versetzen. Was jedenfalls schief gelaufen ist, sind die falschen Signale der öffentlichen Hand. In den letzten Jahren gab es sowohl übermäßige Pensionserhöhungen als auch massive Erhöhungen der Gehälter der öffentlichen Bediensteten. Auch heuer sind wir bei einer vollen Inflationsabgeltung. Wenn man so ein Signal an die Privatwirtschaft sendet, braucht man sich nicht wundern, wenn auch dort an die Inflation angepasst wird. Da hat die Vorbildrolle des Staates nicht geklappt.
Die Hoffnung auf Wachstum liegt auch auf dem privaten Konsum. Welche Chancen haben wir, den wieder anzukurbeln?
Wenn weiterhin das Angstsparen dominiert, gibt es eigentlich nur eine Sache, die man machen kann. Der Staat muss sich dazu bekennen, den Standort als einen zentralen Punkt der künftigen Reformen zu sehen. Der Staat muss glaubwürdig vermitteln, dass es wirklich kein „Weiter wie bisher“ gibt. Es muss eine Reform angekündigt werden, es ist schon fast egal, welche, aber sie muss groß sein. Kein Herumschrauben an ein paar Prozentpunkten. Es muss eine große Reform sein, die greifbar macht, dass eine Entlastung in Sicht ist. Nur das kann die Zuversicht auf Seite der Haushalte stärken.
Von wo kann ein außenwirtschaftlicher Impuls kommen?
Die Weltkonjunktur ist immer noch etwas schwächer als noch vor ein paar Jahren. Aber die Lage hat sich in vielen Ländern stärker erholt als in Österreich. Ab der Coronakrise und dann der Energiekrise haben wir eine stärkere Entkopplung Österreichs vom Rest Europas gesehen – was die Lohnstückkosten betrifft, aber auch in Hinblick auf die Produktivität. Leider auch, was die Investitionen betrifft und die waren immer eine große Stärke des österreichischen Standortes. Es schaut so aus, dass Unternehmen lieber woanders investieren als in Österreich. Trotz schwacher Konjunktur sind viele Probleme einfach hausgemacht.