Monika Köppl-Turyna ist Direktorin von Eco Austria © Selektiv
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Europa

Köppl-Turyna: „Protektionismus führt zu weniger Wohlstand“

Bei der EU-Wahl haben in Österreich zehn Prozent der Unter-29-Jährigen für die KPÖ gestimmt. Warum ist ein starker Staat bei Jungen so populär?

Monika Köppl-Turyna: Ich glaube, dass daran ein psychologischer Effekt Mitschuld trägt. Wenn ich in einem sehr reichen Land geboren bin und einen gewissen Standard habe, will ich eher noch etwas mehr von diesem Staat, als etwas zu verlieren. Deshalb ist es so schwer zu argumentieren, dass niedrigere Steuern und weniger staatliche Leistungen eine gute Idee wären.

Kann unser Leben auch mit weniger staatlicher Leistung besser werden?

Es st immer eine Frage der Effizienz. Es gibt Länder mit einem sehr gut ausgebauten Sozialsystem, die viel effizienter sind – wo also der Sozialstaat nicht so ein Klotz am Bein ist. In Dänemark und Schweden wird Steuergeld viel effizienter eingesetzt. Ein gutes Beispiel sind Pensionen. Dorthin fließt ein Großteil der Umverteilung unseres 100 Milliarden Euro schweren Sozialstaats. Wir bezahlen damit aber auch Personen, die gute Einkommen haben. In Dänemark ist das anders. Der Staat garantiert nur einen gewissen Mindeststandard und on top muss man auf eine private Vorsorge setzen. Das sorgt am Ende dafür, dass die Pensionen dort sogar höher sind als in Österreich. Um den höheren Lebensstandard in der Pension von Menschen, die gut verdient haben, kümmern sich diese aber selbst und eben nicht der Staat. Der Staat fokussiert auf die Unterstützung der Schwächsten mit treffsicheren Maßnahme.

Die EU-Kommission hat sich für Strafzölle auf E-Autos aus China entschieden – wie bewerten Sie das?

Die Welt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so gut entwickelt, weil wir den Freihandel mit anderen Teilen der Welt vorangetrieben haben. Protektionismus klingt nach Schutz vor Wettbewerb aus anderen Ländern, ist aber eine sehr kurzsichtige Sache und führt zu weniger Wohlstand. Das trifft am Ende immer die Einkommensschwachen, wie Untersuchungen der Trump-Zölle oder zum Brexit zeigen. Im Fall Chinas gibt es aber auch nachvollziehbare politökonomische und geopolitische Argumente. Es ist nachvollziehbar, dass man eine gewisse Gleichheit der Mächte erzielen will. Für Konsumenten bedeutet das jedoch natürlich höhere Preise für alle Produkte, die unter Strafzöllen stehen. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass Zölle kommen um zu bleiben. Wenn der Protektionismus einmal da war, hat es Jahrzehnte gedauert, das wieder abzubauen.

Was wäre eine bessere Lösung für die Herausforderung billiger, weil hoch subventionierter Konkurrenz aus China?

Besser produzieren. Nicht nur über den Preis konkurrieren, sondern auch über Innovation und da haben wir Stärken in Europa. Im Falle von E-Autos muss man sich auch fragen, ob es im Sinne der Umwelt nicht besser wäre, günstige E-Autos im europäischen Markt zuzulassen, wenn wir wirklich wollen, dass das zu einem Massenprodukt wird.

Die Inflation ist im Euroraum zuletzt wieder etwas gestiegen – in Österreich ist sie zwar leicht gesunken, bleibt aber auf hohe Niveau. Woran liegt das?

Die EZB hat letzte Woche eine Doppelbotschaft gesendet. Einerseits haben sie die Zinsen gesenkt, aber gleichzeitig festgestellt, dass die Inflation hoch ist und sie ihr Ziel verfehlen werden. Die Inflation ist derzeit vor allem durch den Dienstleistungssektor getrieben, in dem die die starken Lohnsteigerungen eine große Rolle spielen. Durch die demografische Entwicklung mit schrumpfender erwerbsfähiger Bevölkerung wird sich das noch verschärfen. Meine Prognose ist, dass die Inflation auch in den kommenden Jahren nicht deutlich zurückgehen wird.

Es ist also schlecht, dass Menschen mehr verdienen? Das ist natürlich sehr schwer zu erklären.

Wir haben die höchste Lohnquote seit 17 Jahren. Gemessen an dem, was in Österreich erwirtschaftet wird, sind die Löhne derzeit besonders hoch. Das ist einerseits ein Kostenfaktor und damit ein Nachteil für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Das ist auf lange Sicht schlecht für die Wirtschaft. Ein anderer Aspekt ist die Lohnpreisspirale. Es ist natürlich für jeden Einzelnen gut, mehr zu verdienen. Das wird dann auch ausgegeben und dann glauben Unternehmen, sie können Preise anheben, weil Menschen ja gerade mehr ausgeben. Damit befeuern die höheren Löhne am Ende wieder die Inflation.

Die Arbeiterkammer meinte unlängst, dass Österreich ja nicht über Preise am internationalen Wettbewerb teilnehme.

In manchen Bereichen stimmt das, in anderen nicht. Bei Commodities geht es nur um den Preis, aber selbst bei hochkomplexen Produkten stehen wir im Wettbewerb mit mit Unternehmen aus anderen Ländern. Die Entwicklung der Lohnstückkosten hat die industrielle Produktion bereits geschwächt. Aber das gilt zum Beispiel auch im Tourismus. Das ist ein arbeitsintensiver Bereich, in dem die Lohnkosten eine große Rolle spielen. Und da kann man wohl schwer argumentieren, dass wir hier nicht in Konkurrenz zur Schweiz, Deutschland oder Norditalien stehen, die gleich ums Eck sind und im Winter ähnliche touristische Angebote haben.

Was bedeutet das für die kommenden Lohnrunden?

Die demografische Entwicklung sorgt natürlich dort, wo viele Arbeitskräfte gesucht werden, für einen gewissen Druck. Es wird aber nicht überall gehen, diesem Druck nachzugeben und dann müssen die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander finden – oder das Unternehmen kann es sich einfach nicht leisten mit allen Konsequenzen. Es gibt aber auch eine dritte Lösung: Man könnte über steuerliche Maßnahmen dafür sorgen, dass der Nettolohn höher ist, ohne Unternehmen zusätzlich zu belasten.

Ein anderer Bereich in dem die Preise nach wie vor hoch sind: Energie. Der Rückgang der Strompreise verläuft in Österreich langsamer als anderswo in Europa. Warum ist das so?

Ein Grund liegt in den langfristigen Verträgen – sowohl für Haushaltskunden als auch Industrie. Deshalb ist bei uns der Strompreis-Peak später eingetreten als in Ländern wie Portugal oder Spanien, die viel unmittelbarer an die Börsenpreise angebunden sind. Andererseits gibt es für gewerbliche Kunden im internationalen Vergleich sehr hohe Abgaben. Es gibt nur wenige Länder, in denen der Anteil an Netzentgelten und Abgaben am Bruttopreis für elektrische Energie so hoch ist. Hinzu kommt, dass in Österreich Gas in der Stromproduktion noch immer eine große Rolle sielt. In Finnland oder Schweden sind die Preise niedriger, weil dort hauptsächlich auf erneuerbare Energie plus Atomkraft gesetzt wird. Gas ist immer noch teuer und darunter leiden bei uns auch die Strompreise.

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr ist der Meinung, dass die Regierung die Strompreisbremse auch auf Erdgas hätte ausdehnen sollen. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Ich bin der Meinung, dass die Stromkostenbremse die falschen Anreize gesetzt hat. Sie hat dazu geführt, dass die Nachfrage nicht stark genug zurückgegangen ist, um die Preise in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig haben Stromversorger auch keinen Anreiz Preise zu senken, wenn die Preise runtergehen und die staatliche Subvention aber ohnehin ein gewisses Preisniveau garantiert – für die Kunden ist es ja egal, warum die Preise auf diesem Niveau sind. Dieselben Punkte sprechen natürlich auch gegen eine Preisbremse bei Gas.

Was wäre eine bessere Lösung?

Strukturell aus diesem Energieträger auszusteigen. Was auch möglich gewesen wäre: Eine soziale Staffelung und ein stärkerer Fokus auf Haushalte mit niedrigen Einkommen. Eine charmante Art, das umzusetzen, wäre eine einkommensabhängige Negativsteuer auf Strom gewesen. Ein anderes Problem ist die Industrie, die jetzt mit teurem Gas produziert, während die Konkurrenz mit billigem Gas produziert. Auch hier würden starke Subventionen aber dazu führen, dass die Struktur konserviert wird und es zu wenig Anreiz gibt, aus diesem Modell wieder auszusteigen. Sinnvoll wäre ein möglichst schneller Umstieg auf erneuerbare Energie, aber da gibt es noch viele regulatorische Aufgaben – wie gestalte ich Netzentgelte, Leistungspreis, Arbeitspreis und Anreize zum Speicherbau so, dass in den Stunden, in denen zB über PV-Anlagen billig viel Strom produziert wird, Unternehmen auch darauf zurückgreifen? Dafür braucht es aber eine Gesamtstrategie.

Wann könnte dieser Ausbau einen Effekt auf die Preise haben?

Eine schwierige Frage. Der Schlüssel liegt hier im Netzausbau – nicht nur in Österreich. Wenn wir zB aus Dänemark eine physische Transportmöglichkeit von Strom nach Österreich gäbe, hätte das einen unmittelbaren Effekt auf die Preise. Nationale Regierungen tun sich aber immer schwer mit Grenzregionen – das müsste man wohl auf europäischer Ebene aufgreifen.

Über Monika Köppl-Turyna

Monika Köppl-Turyna ist Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Öffentliche Finanzen, Verteilungsfragen, Arbeitsmarkt und Fragen der politischen Ökonomie. Die Ökonomin war unter anderem bei Agenda Austria als Senior Economist tätig und wurde Fellow der Global Labour Organisation. Sie ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Rudolf Sallinger Fonds und des Klimarats der Bürgerinnen und Bürger, sowie des Rats für Neue Arbeitswelten beim Bundesministerium für Arbeit. Seit September 2023 lehrt sie als Professorin an der Seeburg Universität in Seekirchen und seit April 2024 an der Universität Warschau.