Die Parteichefs von ÖVP, SPÖ und Neos stellen sich dieser Tage dutzenden Interviews zu Ihrem 211-Seiten starken Regierungsprogramm „Jetzt das Richtige tun. Für Österreich“. Selektiv hat namhafte Experten gebeten, sich dieses Programm im Bereich Klima und Energie genauer anzusehen.
Das Regierungsprogramm hat laut Christoph Dolna-Gruber von der Energy Agency Austria „das Potenzial, Österreich wettbewerbsfähiger, moderner und unabhängiger zu machen“, auch wenn die Ausgangslage keine einfache ist. Die „richtigen Absichten“ sieht auch Katharina Rogenhofer vom Kontext-Institut, die Maßnahmen wären aber nur lückenhaft und notwendige Präzisierungen fehlen ihr teilweise ganz. Die Generalsekretärin von Oesterreichs Energie, Barbara Schmidt, sieht im Regierungsprogramm „einige sinnvolle Ansätze“, kritisiert jedoch die geplante Einführung eines Standortbeitrags für die E-Wirtschaft. Johannes Benigni von JBC Vienna sieht mit der neuen Regierung die „Ausgrenzung der Wirtschaft beim Diskurs von Energiethemen beendet“ und hofft auf eine „pragmatische Energiepolitik“. Für Dieter Drexel von der IV ist der noch ausständige Strompreiskostenausgleich der „Lackmustest für die Standortambition der neuen Regierung“.
Im Laufe der kommenden Tage folgen weitere Analysen zu Themen wie Standort, Deregulierung und Freihandel. Die Experten-Analyse zum Thema „Steuern & Finanzen“ finden Sie hier, jene zu „Arbeit & Soziales“ hier.
„Energiepolitik ist Standortpolitik“ – Barbara Schmidt, Generalsekretärin Oesterreichs Energie
Die neue Bundesregierung steht in einem herausfordernden geopolitischen und wirtschaftlichen Umfeld vor der Aufgabe, den Rahmen für den Umbau des Energiesystems vorzugeben und dabei die Ziele der Leistbarkeit, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit gleichermaßen zu berücksichtigen. Energie bildet das Rückgrat unseres Standorts – eine sichere Versorgung sowie wettbewerbsfähige Preise sind für Haushalte und Unternehmen von zentraler Bedeutung. Der Umbau in Richtung erneuerbare Stromerzeugung ist nicht nur wesentlich, um die Klimaziele zu erreichen, sondern auch um unser Energiesystem resilienter aufzustellen.
Das Regierungsprogramm enthält energiepolitisch einige sinnvolle Ansätze. Entscheidend ist nun, diese Vorhaben konsequent und zügig in die Praxis umzusetzen. Dabei stimmt zuversichtlich, dass die energiepolitischen Agenden nunmehr im Wirtschaftsministerium angesiedelt sind, denn Energiepolitik ist in erster Linie Standortpolitik.
Die Kosten für die Transformation des Energiesystems in einem vertretbaren Rahmen zu halten, erfordert gezielte Maßnahmen: Dazu zählen die Spitzenkappung bei Photovoltaik, die Integration von Speichern und weitere Ansätze. In diesem Zusammenhang ist auch die geplante Kraftwerkstrategie zur Sicherstellung der langfristigen Versorgungssicherheit hervorzuheben. Zudem soll eine Reform der Netztarife erfolgen, die stärker an der tatsächlichen Leistung und dem Verursacherprinzip ausgerichtet wird.
Es muss zu einer echten Entbürokratisierung kommen, um dringend benötigte Projekte schneller realisieren zu können.
Verantwortungsvoll ist, dass die Klimaziele 2040 beibehalten werden. Das schafft dringend benötigte Planungssicherheit für die Unternehmen der E-Wirtschaft. Auch wenn vielleicht das Ziel nicht punktgenau erreicht werden wird – wichtig ist dranzubleiben und auf das Ziel hinzuarbeiten. Ebenso begrüßen wir, dass zentrale gesetzliche Vorhaben wie das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG) und das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) bis zum Sommer beschlossen werden sollen. Dies sind essenzielle Weichenstellungen für eine zukunftsorientierte Energiewirtschaft. Auch die geplante Beschleunigung von Genehmigungsverfahren sowie Änderungen im UVP-G und AVG sind notwendige Schritte, um den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netzinfrastruktur effizienter zu gestalten. Hier muss es zu einer echten Entbürokratisierung kommen, um dringend benötigte Projekte schneller realisieren zu können.
Der Netzausbau bleibt ein zentrales Thema, denn nur durch eine leistungsfähige Infrastruktur kann die Transformation gelingen. Im Hinblick auf angekündigte Maßnahmen zur Senkung der Netzkosten begrüßt die Branche den geplanten Zugang zu öffentlichen Finanzierungsmöglichkeiten für Netzbetreiber und die Anreize zur rascheren Digitalisierung
der Netzinfrastruktur.
Kritisch sehen wir hingegen die geplante Einführung eines Standortbeitrags für die E-Wirtschaft. Jeder Cent, der nicht als Steuer, Abgabe oder Dividende ins Budget fließt, wird direkt in den Umbau des Energiesystems investiert, schafft heimische Wertschöpfung, sichert und schafft tausende Arbeitsplätze. Damit leistet die Branche bereits jetzt einen großen Standortbeitrag!
Die neue Bundesregierung hat sich unter den gegebenen Voraussetzungen also ambitionierte Ziele gesetzt, die in vielen Bereichen mit den langjährigen Forderungen der E-Wirtschaft übereinstimmen. Wir stehen bereit, diesen Prozess aktiv zu unterstützen und gemeinsam an praktikablen Lösungen zu arbeiten.
„Strompreiskosten-Ausgleichsgesetz ist der No-Brainer unter den Standortmaßnahmen“ – Dieter Drexel, stv. Bereichsleiter Klima, Infrastruktur, Transport, Ressourcen & Energie der Industriellenvereinigung
Die Lage der Industrie darf als bekannt vorausgesetzt werden – die Industrieproduktion 2024 ist gegenüber dem Vorjahr um 9,5% eingebrochen. Ebenso dürfen die Ursachen als bekannt angenommen werden:
- rapide gestiegene Arbeitskosten
- drückende Überregulierung
- international nicht wettbewerbsfähige Energiekosten insbesondere in Folge des Kriegs in der Ukraine sowie der Transformation des Energiesystems
Wie stellt sich angesichts dessen das Regierungsprogramm im Themenfeld „Energie & Klima“ aus Sicht der IV dar?
Zahlreiche wichtige und richtige Vorhaben auf regulatorischer Ebene sind im Regierungsprogramm angeführt und stellen die Basis konstruktiver Regierungsarbeit dar. Die Verfahren sollen beschleunigt, lange diskutierte Gesetze wie das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) beschlossen und Effizienzen bei Netzplanung- und Ausbau, Förderungen, Wettbewerb u.a.m. sollen gehoben werden.
Andere Vorhaben wie die Einsetzung einer Expertengruppe zur Senkung der Energiepreise kann man machen, muss man aber nicht, schließlich wird das Thema mittlerweile seit Jahren in allen denkbaren Konstellationen diskutiert. Immerhin spiegelt eine solche Gruppe die Idee eines lernenden Regierungsprogramms wider.
Dass die klare Abkehr vom Ziel der Klimaneutralität bereits bis zum Jahr 2040 – ein kostspieliges Gold Plating der Sonderklasse von 10 Jahren gegenüber dem Ziel der EU – noch dazu aufgrund der gesamteuropäischen Klima-Governance ohne jede klimapolitische Wirkung – im Programm nicht gelungen ist, stellt ein echtes Versäumnis dar. Dies gilt auch für das Problem eines ausreichend liquiden Gasmarktes, das trotz niedriger Speicherstände und hoher Gaspreise nicht entsprechend adressiert wird.
Bleibt noch das Fehlen des Strompreiskosten Ausgleichsgesetzes (SAG), der No-Brainer unter den Standortmaßnahmen – absolut treffsicher, weil es exakt jenen Unternehmen hilft, die am meisten unter hohen Energiekosten leiden, wohlfeil im Vergleich mit anderen Maßnahmen und dank zahlreicher europäischer Vorbilder denkbar einfach in der Umsetzung. Gewissermaßen wird das SAG damit zum Lackmustest für die Standortambition der neuen Regierung.
„Regierungsprogramm das Potenzial, Österreich wettbewerbsfähiger, moderner und unabhängiger zu machen“ – Christoph Dolna-Gruber, Leiter der Stabstelle Strategie und Business Development bei der Austrian Energy Agency
Die neue Dreierkoalition hat keine einfache Ausgangslage: Die Krisen der vergangenen Jahre haben die Ausgaben der öffentlichen Hand nach oben getrieben, und heute gibt es budgetären Konsolidierungsbedarf. Gleichzeitig sind die Energiepreise noch immer auf hohem Niveau, und der Transformationsdruck in Europa ist nicht zuletzt aufgrund geopolitischer Verwerfungen enorm. Auswege kennen wir:
- Die beschleunigte Nutzung heimischer Erneuerbarer wie Windkraft, Photovoltaik, Wasserkraft, Geothermie oder Bioenergie erhöht das Angebot am Markt und reduziert Importabhängigkeiten.
- Der Umstieg auf energieeffiziente Technologien und die verstärkte Sanierung von Gebäuden reduziert – bei höherem Nutzen – den Energiebedarf und setzt wichtige wirtschaftliche Impulse.
- Der koordinierte Ausbau von Infrastruktur wie Speichern, Strom-, Wasserstoff- und künftig auch CO2-Netzen sowie die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Finanzierung, Tarifierung und den systemdienlichen Betrieb bilden die Grundlage für das Energiesystem und die Industrie der Zukunft.
Das Regierungsprogramm adressiert all diese Aspekte. Der beschleunigte Beschluss wichtiger Gesetze wie EABG, EGG und ElWG noch vor dem Sommer ist zu begrüßen. Dazu kommt eine Neuordnung der Gaswirtschaft (GWG), eine Novelle des EAG, ein Klimagesetz samt Governance, ein Rahmen für (BE)CCS und Geothermie, die Modernisierung des Wohnrechts und weitere sinnvolle Maßnahmen.
Starkes politisches Commitment liefert Rückenwind für den Bau von Infrastruktur und Investitions- sowie Konsumentscheidungen. Aber auch eine gut informierte Öffentlichkeit ist unabdingbar für die schnelle und breit akzeptierte Transformation von Energie, Industrie, Netzen und Mobilität. Das Thema Bewusstseinsbildung ist im Programm zwar in Zusammenhang mit Natur-, Umwelt- und Klimaschutz angesprochen, hat in puncto Energiewende aber noch Luft nach oben. Um Akzeptanz oder gar Begeisterung der Umsetzer (z.B. Professionisten), Projekt-Anrainer und generell der Menschen in Österreich zu sichern, sollte die Bundesregierung die vielen bestehenden Initiativen für Dialog, Wissenstransfer und Kommunikation nutzen und auf die Ziele des Programms gerichtet ausbauen.
Alles in allem hat das Regierungsprogramm das Potenzial, Österreich in dieser für Wohlstand, Lebensqualität und Sicherheit so entscheidenden Phase wettbewerbsfähiger, moderner und unabhängiger zu machen. Die Umsetzung wird sicherlich herausfordernd. Gute sachliche Evidenz und Kommunikation, Kompromissfähigkeit sowie Tempo entscheiden über den Erfolg.
„Richtige Absichten, Maßnahmen häufig lückenhaft” – Katharina Rogenhofer, Vorständin KONTEXT Institut für Klimafragen
Die neue Regierung ist im Amt. Die Herausforderungen sind groß: strukturelle Wirtschaftskrise, Budgetdefizit, Klimaziele 2030. Die Ökologisierung der Wirtschaft ist ein Schlüssel für all diese Herausforderungen. Das Programm enthält viele positive Aspekte, vor allem bei Klimazielen, dem Ausbau erneuerbarer Energie und der Kreislaufwirtschaft. In anderen Bereichen bleibt das Programm trotz richtiger Ziele hingegen vage.
Bei fossiler Energie in der Raumwärme wird kein verbindliches Ausstiegsdatum erwähnt, Ölheizungen kommen explizit gar nicht vor. Bei der „schrittweisen Ökologisierung“ klimaschädlicher Subventionen gilt: Je früher sie umgesetzt wird, desto mehr Steuergeld wird gespart und desto mehr Emissionen vermieden. Leider lässt das Programm Details zu den Maßnahmen und einen Zeitplan vermissen.
Statt „Technologieoffenheit“ braucht es Technologieklarheit.
Einige notwendige Präzisierungen fehlen ganz: Die Regierung spricht von Schlüsseltechnologien für Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Wichtige Zukunftstechnologien wie Speichertechnologien, Wärmepumpen oder auch die Elektrifizierung der Industrie bleiben unerwähnt. Hier braucht es eine klare Priorisierung für den gezielten Auf- und Ausbau effizienter, bereits marktreifer Lösungen. Auch im Bereich Mobilität besteht die Gefahr, dass ineffiziente Technologien (z. B. E-Fuels oder Wasserstoff im Individualverkehr) anstelle von bereits marktreifen und effizienteren Alternativen gefördert werden. Statt „Technologieoffenheit“ braucht es Technologieklarheit, damit Förderungen effizienter eingesetzt und Wettbewerbschancen besser genutzt werden können.
„Viele ideologiebedingte Blockaden der letzten Jahre beseitigt“ – Johannes Benigni, Energie-Experte JBC Vienna
Mit einem eigenen Staatssekretariat für Energie sollte die Ausgrenzung der Wirtschaft beim Diskurs von Energiethemen, wie auch die ideologiegetriebene Hochpreisphase, insbesondere bei Strom und Gas, beendet werden. Somit bleibt die Hoffnung, dass wieder eine pragmatische Energiepolitik in Österreich verfolgt wird.
Der Versorgungssicherheit wird durch Diversifizierung beim Gas und durch den Ausbau der Erneuerbaren im Regierungsprogramm Rechnung getragen. Ob und wann man sich in der kommenden Regierung unter der gegebenen geopolitischen Lage jedoch mit einer aktiven Energie- und Handelspolitik, neben Ungarn und der Slowakei, getraut, für mehr Gaslieferungen nach Baumgarten aus dem Osten einzusetzen, wird sich wohl erst zeigen. Die strategischen Gasreserven zu evaluieren ist sinnvoll, und könnte eine weitere Verlagerung der Lagerverpflichtung hin zu den Energieversorgern, ähnlich wie bei der Pflichtnotstandsreserve im Mineralölbereich, denkbar sein.
Im Strombereich soll eine Kraftwerksstrategie ausgearbeitet werden, um den Anstieg bei der Stromnachfrage bewältigen zu können. Eine robuste Energiestrategie für Österreich ist überfällig, zumal man sich auf Zeiten einer Dunkelflaute und erhöhter Stromnachfrage rechtzeitig vorbereiten muss.
Die Klimaneutralität in Österreich bis 2040 nicht mit dem EU-Ziel von 2050 zu harmonisieren, war wohl den koalitionären Meinungsunterschieden geschuldet. Dies scheint wenig sinnvoll, zumal hier internationaler Gleichschritt gefragt wäre. Das hat vor allem für das Timing beim Hochlauf der Wasserstoffstrategie eine Relevanz. Man hat verstanden, dass es für den Hochlauf der Wasserstoff-Lieferkette eine Starthilfe braucht und sollen hier nun auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Während übermäßige Förderungen einer Prüfung unterzogen werden sollen, kann das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz den Ausbau der Erneuerbaren erleichtern. Die Rahmenbedingungen für die Geothermie sollten einer Regelung zugeführt werden, was vor allem dem städtischen Bereich helfen könnte, um eine Alternative zum Gas zu ermöglichen.
Es ist im Regierungsprogramm auch die Reform des Merit-Order-System angedacht, was besonders wichtig ist, um den möglichen Einfluss hoher Gaspreise auf den Strompreis in der EU künftig zu verringern.
In Summe wurden viele ideologiebedingte Blockaden der letzten Jahre beseitigt.
Die neue Regierung möchte die Netzgebühren senken, indem u.a. die Abschreibungsdauer für Netze verlängert bzw. Garantien und Haftungen zur Verfügung gestellt werden. Der Konsument darf sich zwar auf sinkende Netztarife freuen, allerdings werden sich monatlich variierende Strompreise und Beiträge der PV-Einspeiser zu Netzkosten dagegen zu Buche schlagen. Positiv ist bidirektionales Laden zukünftig zu ermöglichen, dies wird auch jene E-Autos favorisieren, die das vorsehen. Die Förderung von Erneuerbaren Gasen wird mit einem Marktprämienmodell verbessert und das reduzierte Ziel von 6,5 TWh/a bis 2030 scheint realistischer.
In Summe wurden viele ideologiebedingte Blockaden der letzten Jahre im Regierungsprogramm beseitigt und kann man von einer Rückkehr zu einer echten Energiepolitik sprechen. Notwendig wäre es, sich auf einen realistischen Dekarbonisierung-Fahrplan zu einigen, um eine Harmonisierung mit den EU-Klimazielen bis 2050 zu schaffen. Dazu finden sich aber keine Anhaltspunkte und es stellt sich die Frage, wie Österreichs Wettbewerbsfähigkeit erhalten werden kann. Vor allem benötigt es koordinierte Maßnahmen, um wieder niedrigere Energiepreise seitens der neuen Regierung zu ermöglichen.