Energiexperte Johannes Benigni analysiert im Interview mit Selektiv die Abhängigkeit Österreichs von russischen Gaslieferungen. Was müsste geschehen, um sie zu reduzieren? Müssen wir über Atomenergie nachdenken?
Der Anteil an russischem Gas an den österreichischen Gasimporten ist praktisch unverändert. Jetzt gibt es zwei externe Ereignisse, die Bewegung in die Sache bringen. Einerseits das Auslaufen der Verträge für den Gastransit durch die Ukraine und andererseits einen Urteilsspruch, der die Gaslieferungen an die OMV betreffen könnte, wenn er schlagend wird. Wie ordnen Sie das ein?
Johannes Benigni: Der Urteilsspruch ist jedenfalls eine Verschärfung, weil wir nicht wissen, wann und für wen er schlagend wird. Der Kläger will das Geld eintreiben, das ihm von dem Schiedsgericht zugesprochen wurde. Wenn die Zahlungen an Russland gepfändet werden, wird das wahrscheinlich zur Folge haben, dass kein Gas mehr geliefert wird. Politisch könnte man zum Bespiel eingreifen, indem man solche Pfändungen verbietet, weil sie gegen das staatliche Interesse der Versorgungssicherheit gehen – Ungarn dürfte diesen Weg laut Berichten gehen.
Ende des Jahres läuft zudem der Transitvertrag zwischen Russland und der Ukraine aus.
Das ist bekannt, es ist jedoch unklar, wie sich die Teilnehmer verhalten werden. Wir können also bereits jetzt reagieren – die OMV könnte beispielsweise das Gas an der russisch-ukrainischen Grenze abnehmen und für einen Preisabschlag selbst durchleiten oder jemand anderen finden, der ein gewisses Volumen transportiert. Oder Russland findet einen Weg, das Gas trotzdem zuzustellen. Politisch ist die Frage, ob man das will. Will man es nicht, müssen wir den Bedarf über Lieferungen aus dem Westen decken.
Würde das einfach so gehen?
Wenn das die Lösung sein soll, dann wäre ganz Mitteleuropa abhängig von Lieferungen über Leitungen aus dem Westen. Österreich ist dabei ein Transitland. Wenn dann alle Kapazitäten an diesen Pipelines buchen, könnte es eng werden. Die Kapazitäten reichen zwar für Österreich, aber die Pipeline-Kapazitäten werden dann auch von Unternehmen aus anderen Ländern Mitteleuropas gebucht werden. Da wird sich Frau Gewessler nicht an die Grenze stellen und verbieten können, dass Gas zum Beispiel in die Slowakei oder nach Ungarn fließt.
Ist es zu spät, sich in dieser Hinsicht breiter aufzustellen?
Zunächst einmal kann man vortrefflich darüber streiten, wie kurzsichtig es war, vor ein paar Jahren die Abhängigkeit von Russland zu erhöhen. Das hatte sicher seine Gründe, aber es war gewiss nicht weitsichtig. Heute könnten wir uns in Kroatien beteiligen – das Terminal hat eine Kapazität von 2,9 Milliarden Kubikmeter und wird auf ungefähr 6,1 Milliarden ausgebaut. Der Ausbau wird sogar mit EU-Geldern gefördert werden. Wenn wir das wollen, müssten wir aber auch die Pipeline-Anbindung nach Slowenien upgraden, was wahrscheinlich ungefähr so viel kostet wie der WAG-Loop-Ausbau, der uns 2,5 Milliarden Kubikmeter an zusätzlichem Volumen bringen würde, während die Anbindung an das Terminal Omisalj auf der Insel Krk vielleicht 1 Milliarde Kubikmeter für Österreich bringen würde, weil neben Kroatien auch Ungarn und Slowenien auf diesem Weg versorgt werden. Da stellt sich die Frage, wo man das knappe Geld am besten investiert. Jedenfalls müssen wir schauen, dass wir genügend alternative Kapazitäten haben, wenn wir politisch frei entscheiden wollen, woher wir unser Gas beziehen.
Derzeit können wir das nicht?
Derzeit gibt es Verträge und es gibt ja keine Sanktionen gegen russisches Gas, mit Ausnahme von LNG für Gastransporte in Drittländer. Sollten wir in Österreich uns dennoch ein Kaufverbot aus Russland verordnen, dann würden wir uns derzeit nur selbst schaden und der Nutzen wäre überschaubar. Die Verknappung des Gasangebotes im Markt würde die Preise heben. Als Politiker muss man sich dann halt schon fragen, ob man diese Mehrkosten verantworten kann, wo bei uns ohnedies bereits jetzt die Energiepreise eine hohe Belastung darstellen.
Die Preise steigen laut Energieagentur bereits wieder.
Genau, mit Anfang April hatten wir noch Preise von 25 Euro pro Megawattstunde, jetzt sind wir wieder bei 35 Euro und die Preise für das erste Quartal 2025 werden derzeit mit ca. 40 Euro gehandelt, gut dass derzeit die Speicher zu ca. 80 Prozent gefüllt sind und wir über den kommenden Winter gut durchkommen können. Die kritische Phase für die Auffüllung der Speicher wird nach dem kommenden Winter sein, wenn dann kein Gas mehr aus dem Osten kommt. Dann wird es zu Preissteigerungen kommen, vor allem, weil Speicher- und Pipeline-Kapazitäten auch von ausländischen Unternehmen gebucht werden.
Wie sieht es mit „Eigenproduktion“ aus? Durch das Erneuerbare-Gas-Gesetz ist Biogas wieder in Diskussion.
Die gesamte Gasnachfrage in Österreich liegt bei ungefähr 8,5 Milliarden Kubikmeter. Die Eigenproduktion liegt unter einer Milliarden Kubikmeter für Erdgas und Biogas macht noch relativ wenig Volumen aus.
Energiepolitisch wird sich heuer angesichts der Wahlen im Herbst nicht mehr viel bewegen. Wie ist ihr Fazit zur Energiepolitik der vergangenen fünf Regierungsjahre?
Die Energiewirtschaft braucht momentan sehr viele Weichenstellungen und dafür ist im Parlament immer eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Dafür braucht es einen pragmatischen Zugang mehrer Parteien. Die stark ideologisch motivierte Politik der letzten Jahre hat hier nicht geholfen. Nehmen wir das Erneuerbare-Gase-Gesetz. Grundsätzlich finde ich es wichtig und richtig, dass Biomethan großer landwirtschaftlicher Betriebe eingefangen und eingespeist wird. So, wie es jetzt geplant ist , wirkt dies allerdings preistreibend. Wenn Versorger nicht bestimmte Mengen Biogas einspeisen, müssen sie Pönalen zahlen. Das bringt die Landwirte natürlich in eine gute Verhandlungsposition, weil die Versorger dann von ihnen kaufen müssen und der Landwirt kennt den Preis der alternativen Pönalezahlung. Diese Preise sind derzeit aber deutlich höher als die Produktionskosten und es scheint, dass es das Ziel ist, am Ende Gas teurer zu machen. Dazu ist es natürlich schwer, eine Zweidrittel-Mehrheit zu bekommen, da hier stark, ideologisch getrieben von dem Gedanken, fossile Energieträger zu verteuern, bis diese vom Markt verschwinden, argumentiert wurde und zu wenig die Gesamtschau mit hoher Inflation und höheren Preise berücksichtigt wurde.
Sie meinen, die fossilen Energieträger werden nicht so schnell verschwinden?
Der Konsument braucht ausreichend Energie, um ein Grundbedürfnis zu befriedigen, und wird erst auf fossile Energie verzichten, wenn es kostengünstigere Alternativen gibt. Die Energienachfrage steigt global betrachtet so stark, dass jede Form an Energie zur Zeit benötigt wird, um die Nachfrage zu befriedigen. 1990 gab es die erste Klimakonferenz und da lag der Anteil der fossilen an der Energieaufbringung bei 78 Prozent. Momentan liegt der Anteil fossiler Energieträger bei ca. 77 Prozent, wobei insgesamt die Energienachfrage um zwei Drittel gestiegen ist, während die Weltbevölkerung um 50 Prozent gewachsen ist. Das Erfreuliche ist, dass in den letzten 15 Jahren die zusätzliche Stromerzeugung immer stärker von erneuerbaren Energien kommt. Wir müssen in Europa natürlich tun, was wir können, aber es braucht eine realistische und auch breite globale Perspektive für sinnvolle Strukturmaßnahmen. So können wir zwar den PKW-Bestand mittelfristig auf E-Mobilität umrüsten, obwohl es fehlen E-Autos mit großen Reichweiten, mehr Ladeinfrastruktur und leistungsstarke Netze. Aber der LKW-Verkehr ist in dieser Hinsicht das größere Problem – da gibt es noch kaum Lösungen, also müssten wir auf Schienenverkehr umrüsten, aber auch da fehlt es an Strukturreformen und Infrastruktur.
Gefühlt wöchentlich werden neue Rekorde beim Solarstrom-Ausbau gefeiert – werden wir künftig überhaupt noch Gas brauchen?
Es wird immer schwieriger, das Stromnetz im Gleichgewicht zu halten, um Blackouts zu verhindern. Dafür ist eine konstante Spannung von 50 Hertz notwendig. Sonnen- und Windstrom sind nicht gut prognostizierbar, es braucht also kurzfristig eine Form von Energie, die das ausgleichen kann, wenn es dunkel ist und der Wind nicht weht (Dunkelflaute). Dafür ist Gas ideal, weil es gut speicherbar ist. Neben Gas geht das auch mit Atomstrom oder Kohle. Man will aber keinen Atommüll und auch kein CO2. Die Frage ist nur, welches Problem erachtet man als größer? In Deutschland mussten nun wieder Kohlekraftwerke hochgefahren werden, was die schlechteste Lösung ist, weil Kohle doppelt so viel CO2 emittiert wie Gas. Es gibt neue Fusionsreaktoren, die deutlich weniger Atommüll produzieren und die jetzt schon in einigen Ländern geplant werden. Das sind Entscheidungen, die wir jetzt treffen müssen. Unser Strombedarf wird sich mehr als verdoppeln und es dauert 20 Jahre, die entsprechenden Anlagen fertigzustellen. Von Importen abhängig zu sein, ist dabei keine optimale Lösung. Auch die Entscheidung für den Netzausbau hätte schon vor Jahren fallen müssen.
Den politischen Willen dafür haben Sie vermisst?
Ich bin kein Politiker, sondern Experte, der die Probleme pragmatisch angeht. Ich habe noch nie erlebt, dass Menschen zahlreich freiwillig darauf verzichten, Energie haben zu wollen. Hohe Preise können die Nachfrage zwar kurzfristig frustrieren, aber Betriebe müssen dann reagieren und den Produktionsstandort verlagern und das sollten wir nicht anstreben. Bei den Haushalten führen hohe Preise mitunter zu sozialen Problemen, daher ist es notwendig die Energiewende so zu managen, dass die Versorgung mit kostengünstiger Energie gewährleistet ist, auch um möglichst niedrige Inflationsraten und Stabilität zu sichern.