Holger Bonin, Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS) im Gespräch über volatile Prognosen, der Ausblick für die heimische Wirtschaft, dringend notwendige Strukturreformen und was auf EU-Ebene getan werden muss, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können.
Selektiv: Die Winterprognose des IHS ist gut ein Monat her. Wie würden Sie die aktuelle Situation der heimischen Wirtschaft beschreiben?
Holger Bonin: Wir befinden uns nach wie vor in einer abwartenden Phase, was ja auch logisch ist, da wir noch nicht wissen, wie es politisch weitergeht. Die gesamtwirtschaftlichen Parameter haben sich seit dem nicht stark verändert, bei den so typischen Frühindikatoren für die Wirtschaftsentwicklung sehen wir ein ziemlich schnelles Auf und Ab. Das heißt, wir haben noch Volatilität in den Erwartungen und das macht es natürlich schwer, jetzt etwas vorherzusagen. Diese Volatilität sehen wir auf mehreren Ebenen: Die politische Lage in Österreich, aber auch die Veränderung der Weltlage, etwa durch den Amtsantritt und die Ansagen Donald Trumps. Die Dinge können sich aktuell sehr schnell ändern, was für eine offene, exportorientierte Wirtschaft wie Österreich, belastend ist. Es gibt aktuell eben nicht viele positive Impulse.
Auf nationaler Ebene ist das große Thema die Sanierung des Budgets, ohne das Wirtschaftswachstum abzuwürgen. In den Regierungsverhandlungen wird versucht, die Sanierung ohne Defizitverfahren der EU zu bewältigen. Das erhöht aber den Betrag, der jährlich eingespart werden muss, wie schwierig wird es, hier eine Balance zu finden?
Im Zuge der Haushaltssanierung müssen strukturelle Reformen angegangen werden, denn das aktuelle Defizit ist zu einem ganz überwiegenden Teil nicht konjunkturell, sondern eben strukturell bedingt. Ein Beispiel ist die alternde Bevölkerung, die mehr Ausgaben für Pensionen, aber auch für Gesundheit bewirkt. Gleichzeitig tragen Pensionisten weniger Steuern und Nettofinanzierungsbeiträge zum Budget bei, womit die Staatsfinanzen von beiden Seiten unter Druck kommen. Ein anderes Beispiel dafür sind die Fachkräfteengpässe. Diese Probleme gehen nicht durch stärkeres Wirtschaftswachstum weg. Der Sanierungsweg ohne Defizitverfahren der EU ist also ambitioniert, weil dadurch große Einsparungen und Maßnahmen notwendig sind, die gleichzeitig dem Wirtschaftskreislauf Geld entziehen – sei es den Unternehmen oder den privaten Haushalten. Und das wirkt sich negativ auf das Wachstum aus.
Und der Einsparungsbedarf wird ja nicht kleiner in den nächsten Jahren…
Das ist der nächste Punkt. Über das Doppelbudget hinaus, das jetzt von den Verhandelnden zusammengezurrt wird, sind weitere Maßnahmen notwendig. Und die schon erwähnten strukturellen Probleme werden mit der Zeit nur massiver. Gleichzeitig bräuchten Unternehmen wie Private aber fixe Ansagen, um Sicherheit zu haben, ob und wie sie investieren können. Wenn man sich sorgt, dass Förderungen gestrichen werden oder Pensionen in Zukunft gekürzt werden könnten, wird man weniger Geld ausgeben, was wiederum die Konjunktur belastet. Es wird davon abhängen, ob die neue Regierung rasch einen Fahrplan für die nächsten Jahre präsentieren kann, der Planbarkeit liefert und damit auch positive Anreize setzen kann. Strukturreformen werden Teil davon sein müssen.
Wie sehr belasten diese strukturellen Probleme denn die heimische Wirtschaft?
Die mittelfristige Wachstumsrate Österreichs war noch vor gar nicht allzu langer Zeit bei rund 1,5 Prozent bis ein Prozent. Jetzt sehen wir Wachstumsraten von deutlich darunter. Die offenen Fragen im Pensionssystem, das Gesundheitssystem, das sind bremsende Faktoren. Dazu kommt die Unsicherheit in den Betrieben und das zögerliche Konsumverhalten der Privathaushalte. Und darüber hinaus noch die volatile globale Situation.
Wie kann diese Situation denn überhaupt verbessert werden?
Es müssen einmal große Visionen auf den Tisch gelegt werden. Es muss bewiesen werden, dass die großen Themen auch angegangen werden. Im Pensionssystem profitieren wir immer noch von den Reformen der Zweitausender-Jahre, doch es gibt genug aktuellen Reformbedarf. Im Gesundheitssystem gibt es Effizienzreserven zu heben. Das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Faktor. Man muss sehen, wie man dieselben Leistungen auch günstiger, mit schlankeren Strukturen und weniger Ebenen erbringen kann. Das ist eine entscheidende Frage bei einer alternden Gesellschaft, denn sonst werden die Kosten immer höher, was die Spielräume des Staates verringert. Und bei den Pensionen muss man eine Diskussion darüber führen, wie man die Last der demografischen Alterung, die nicht weggeht, auf die verschiedenen Generationen verteilt, sprich die Älteren, die Jüngeren und die Künftigen. Was klar sein muss, ist, dass wir mit Wirtschaftswachstum allein nicht aus der aktuellen Lage rauskommen. Es muss ohne Scheuklappen jeder einzelne Posten angeschaut werden und es muss klar kommuniziert werden „ja, das ist jetzt das Bohren harter Bretter, aber es ist notwendig“. Das könnte auch möglicherweise einen Stimmungsumschwung bringen, ich glaube darauf warten die Bürgerinnen und Bürger auch. Ein Signal, dass die schwierige Lage erkannt wird und entsprechend an der Verbesserung der Lage gearbeitet wird.
Das wird aber nur auch durch entsprechende Signale an die Wirtschaft möglich sein?
Die öffentliche Hand, auch auf EU-Ebene, muss sich entscheiden, wie und in welchen Bereichen mit Investitionen die Wirtschaft gestützt werden kann. Gerade in der für Österreich wichtigen Autobranche ist in den letzten Jahren viel versäumt worden, China ist im E-Mobilitätsbereich Weltspitze. Was es da braucht, sind klare Ansagen und Zielvorgaben, kein nachträgliches in Frage stellen wie beim Verbrenner-Aus.
Die USA sind Österreichs zweitwichtigster Handelspartner. Wie bedrohlich ist ein möglicher Handelskrieg mit Zöllen zwischen den USA und der EU?
Das sind weitere Unsicherheiten, die der Konjunktur und der Stimmung nicht gut tun. Europa und damit Österreich muss hier andere Handelsabkommen schließen, andere Absatzmärkte erschließen. Also eben in den südamerikanischen Markt und in die asiatischen Märkte hinein. Österreich hat da als kleines, agiles Land mit vielen Nischenprodukten und Zulieferern auch bessere Chancen als zum Beispiel Deutschland. Doch am wichtigsten ist, dass die EU als die einzige Chance für uns verstanden wird, unter diesen sich veränderten Weltbedingungen Einfluss zu haben. Und gleichzeitig muss sich Europa bemühen bei den Schlüsseltechnologien nicht ins Hintertreffen zu geraten, teilweise ist man das schon. Die Vollendung des Binnenmarkts ist hier eine große Chance, aber sie muss auch genutzt werden.