Energieexperte Johannes Benigni © Benigni
Energieexperte Johannes Benigni © Benigni
Interview

Gasversorgung: „Das große Aha kommt im Sommer“

Seit Jahreswechsel fließt kein russisches Gas mehr über die Ukraine nach Österreich. Für Mitteleuropa könnte aber auch die Versorgung über die Türkei schwierig werden. Das Gas, das nun zu uns kommt, hat eine schlechtere Qualität, sagt Energie-Experte Johannes Benigni, der in einer stark gesteigerten Versorgung aus den USA eine Gefahr sieht. „Stellen Sie sich vor, die Amerikaner besetzen Grönland und die EU will die USA sanktionieren. Im Fall von Russland waren wir das letzte Mal nicht vorbereitet und wurden von den Sanktionen überrumpelt. Die Energiepreise sind massiv nach oben gegangen. Das sollte uns nicht noch einmal passieren“, so Benigni.

Die Gaspreise sind diesen Winter wieder gestiegen. Sie bewegen sich bereits deutlich über 50 Euro pro Megawattstunde. Rechnen Sie für heuer mit weiteren Anstiegen?

Johannes Benigni: Ich glaube, dass sich der Markt gerade erst neu orientieren muss. Wir haben jetzt in Europa deutlich weniger Pipeline-Gas und mehr LNG. Der Markt wird sich erst auf die stärkeren Schwankungen einstellen müssen. In Mitteleuropa stellt sich auch die Frage, wie stark die Versorgung aus Russland noch funktionieren wird. Ungarn wird über die TurkStream-Pipeline versorgt, die über die Türkei, Bulgarien und Serbien nach Ungarn führt. Mit der gibt es möglicherweise Probleme. Sollte eine Versorgung über diese Route nicht mehr möglich sein, dann haben wir weniger Angebot und es steigt der Bedarf, Gas durch Österreich zu leiten. Das wäre für Mitteleuropa preistreibend.

Welche Probleme gibt es mit der TurkStream?

Die USA haben russische Banken sanktioniert, darunter auch jene, die für die Abwicklungen der Gaslieferungen zuständig sind. Im Prinzip ziehen die USA die Sanktionsschrauben an. Jetzt stellt sich die Frage, ob und wie lange man noch Überweisungen an Russland tätigen kann. Die Türkei versucht sich hier als Vermittler anzubieten. Wenn weitreichendere Sanktionen kommen und die Schrauben stärker angezogen werden, ist das vielleicht nicht mehr möglich. Das Interesse der Amerikaner ist natürlich, mehr vom eigenen Gas zu verkaufen.

Das Interesse der Amerikaner ist natürlich, mehr vom eigenen Gas zu verkaufen.

Johannes Benigni

Mit Jahreswechsel ist der Transit russischen Gases durch die Ukraine eingestellt worden. Woher kommt unser Gas seither?

Die Qualität des Gases, das seit Anfang des Jahres nach Österreich kommt, bereitet durchaus Kopfzerbrechen. Anhand der Moleküle sieht man, dass die Qualität schlechter ist. Das ist für uns eine neue Erfahrung, weil wir bisher fast immer ausschließlich russisches Gas bezogen haben. Jetzt erhalten wir Gas, dass über Italien oder Deutschland kommt, und die Qualität dürfte etwas nachgelassen haben. Ich schätze, dass Russland nur noch zehn Prozent der Gesamtversorgung in Europa ausmacht. Europa wird jedenfalls mehr Flüssiggas benötigen. Österreich hat mit seiner Abhängigkeit von russischem Gas in der Vergangenheit einen großen strategischen Fehler begangen. Man sollte von einem Lieferanten nicht mehr als zu einem Drittel abhängig sein. Mit einer Drittelstrategie ist man nicht erpressbar. Dass Energie ein Spielball der Sanktionen ist, war in der Vergangenheit nicht so. In Zukunft könnten verstärkt Sanktionen und Zölle bei geopolitischen Auseinandersetzungen zur Anwendung gelangen. Stellen Sie sich vor, die Amerikaner besetzen Grönland und die EU will die USA sanktionieren. Im Fall von Russland waren wir das letzte Mal nicht vorbereitet und wurden von den Sanktionen überrumpelt. Die Energiepreise sind massiv nach oben gegangen. Das sollte uns nicht noch einmal passieren.

Haben wir den Luxus, eine Drittelstrategie anstreben zu können oder sehen Sie eher die Gefahr, dass mit einer Erhöhung des LNG-Bezugs aus den USA die nächste Abhängigkeit droht?

Ja, wir sollten das so gestalten, wie wir es für richtig halten. Das amerikanische Angebot ist auch nur ein Angebot und wir sollten uns nicht noch einmal einem Lieferanten ausliefern. Die Moral gilt beim Energiegeschäft immer nur sehr bedingt. Es geht um Interessen. Ein Beispiel: Die USA kaufen Uranerz aus Russland und auch die Deutschen, die es für die Franzosen aufbereiten. Warum wird das nicht sanktioniert? Weil große Länder ein Interesse haben, es zu kaufen. Wenn wir ein Interesse haben, Gas aus verschiedenen Ländern zu kaufen müssen wir auch unsere Interessen vertreten. In den letzten 20 Jahren – und Gaslieferverträge laufen normalerweise 20-25 Jahre – war schon fast ein jeder unserer Lieferanten auf einer potentiellen Sanktionsliste, weil sie in Kriege involviert waren.

Wenn ein Drittel aus den USA kommt, woher könnten die anderen kommen?

Norwegen bietet sich an und möglicherweise können wir auch bald mit Volumen vom Neptun Feld der OMV in Rumänien rechnen. Auf der anderen Seite besteht die Hoffnung, dass der Krieg in der Ukraine bald beendet wird und Russland irgendwann wieder sanktionsfrei wird. Das Problem ist, dass die russischen Lieferungen nicht unbedingt nur direkt mit dem Krieg in der Ukraine zu tun haben – es geht bei den Energiesanktionen auch um andere Interessen. Sollte kein Gas aus Russland kommen, müssen wir notfalls eben bei anderen Produzenten Flüssiggas einkaufen. Länder wie Katar haben dabei aber ein weiteres Problem aufgezeigt. Im Jahr 2027 tritt die Europäische Sustainability Directive in Kraft und Katar hat bereits angekündigt, dann nicht mehr nach Deutschland bzw. die EU liefern zu wollen, weil sie sonst fünf Prozent ihres weltweiten Umsatzes als Strafe zahlen müssten. Darüber redet noch niemand, aber die EU spielt sich gerade aus dem Markt. Wenn wir immer mehr Vorgaben machen, die Strafzahlungen nach sich ziehen, wird uns keiner mehr LNG liefern. Wir haben ein Riesenproblem mit diesen Gesetzen, die beschlossen sind, aber unsere Wettbewerbsfähigkeit unterminieren. Am besten wäre für uns, wenn ein Drittel des Gases aus dem Osten kommt, ein Drittel aus dem Norden (Deutschland) und ein Drittel aus dem Süden (Italien).

Darüber redet noch niemand, aber die EU spielt sich gerade aus dem Markt.

Johannes Benigni

Vor dem Transitstopp russischen Gases durch die Ukraine war schwer abschätzbar, welche Auswirkungen das haben wird. Ist das Bild bereits klarer?

Die Preise haben sich wie erwartet verdoppelt und notieren derzeit über 50 Euro pro Megawattstunde, an diese Schwankungen müssen wir uns erst gewöhnen. Die Tatsache, dass wir noch keinen Versorgungsengpass haben, liegt daran, dass wir momentan aus den Speichern leben. Die Landesversorger, die bei 25 bis 30 Euro eingekauft haben, freuen sich momentan, weil sie gute Geschäfte machen können. Das große Aha kommt im Sommer, wenn man die Speicher wieder zu höheren Preisen auffüllen muss.

Ist dabei mit Problemen zu rechnen?

Es wird einfach teurer sein. Und es gibt andere Zyklen, da wir in der Vergangenheit relativ stabil Gas aus Russland bekommen haben und im Sommer mehr eingespeichert haben, um im Winter aus den Speichern zu leben. Jetzt sind wir auf den Flüssiggasmarkt angewiesen – da muss jeder erst seine Erfahrungen machen. Am Flüssiggasmarkt sind wir ein kleiner Player. Die große Nachfragesteuerung kommt aus Asien und der Transformation weg von Kohle hin zu Gas. Die Asiaten haben keine großen Lager und kaufen mitunter auf einmal relativ viel je nachdem wie sich die momentane Nachfrage gestaltet. Mit kurzfristig ausfallendem Angebot und plötzlicher Nachfrage wird es auch zu vermehrten Preisausschlägen kommen.

Wie kommt Flüssiggas zu uns?

Es wird am Verladehafen bei minus 160 Grad verflüssigt und auf Schiffen transportiert. Beim Entladehafen in Re-Gas-Terminals wird es wieder in einen gasförmigen Zustand gebracht und kommt dann via Pipeline zu uns. In Italien und Deutschland gibt es genug Re-Gas-Terminals, diese muss man natürlich buchen ebenso wie die Pipeline-Kapazitäten, da wird auch recht viel Wegelagerei betrieben. Das alles kostet aber natürlich und dementsprechend sind die LNG-Preise hoch. Mario Dragi schreibt in seinem Report, dass die Gaspreise bei uns in Europa um 350 Prozent höher liegen als in den USA.

Amerikanisches LNG wird unser Preisproblem also auch nicht lindern?

Das Bemühen amerikanisches LNG bei uns zu verkaufen, wurde schon seit Präsident Trumps erster Amtszeit mit entsprechendem Nachdruck vertreten. Europa ist bei Energie stark importabhängig, eine Streuung der Lieferanten ist da notwendig. Energieexporteure machen gewöhnlich viel Geld mit den Importeuren. Pipelinegas hat viele Vorteile, dazu braucht es aber stabile Handelsbeziehungen und da hat sich in den letzten paar Jahren viel geändert. Wir steuern auch gerade auf stärkere geopolitische Lagerbildungen zu und das macht den Energieimport schwieriger und volatiler.

Wenn alle unsere Klimapläne aufgehen, werden wir die Gas-Infrastruktur dann nur noch für Wasserstoff nutzen?

Wasserstoff wird ein Luxusgut sein und kein Massenprodukt. Es wird vor allem in der Industrie eingesetzt und zum Decken der Schwankungen im Strombereich. Es macht Sinn, gewisse Bereiche umzustellen, wenn man das im internationalen Einklang macht. Davon sind wir aber noch meilenweit entfernt und fehlen verlässliche Rahmenbedingungen. Die meisten sehen da noch ein Puzzle und haben keinen Plan für die Umsetzung. Ein Industriebetrieb kann aber erst seinen Fertigungsprozess auf Wasserstoff umstellen, wenn er sich auf eine gesicherte kostengünstige Versorgung mit Wasserstoff verlassen kann. Will man auf Wasserstoff umstellen, kann ich mir vorstellen, wie eine Lieferkette funktionieren kann, denke aber, dass die Rahmenbedingungen für einen österreichischen Alleingang nicht gegeben sind.

Wasserstoff wird ein Luxusgut sein und kein Massenprodukt.

Johannes Benigni

Wie würde Ihr Plan aussehen?

Sie brauchen einen Market-Maker, der die Einkäufe, Verkäufe und Durchleitungen organisiert. Sie können von keinem österreichischen Kunden erwarten, in Nordafrika shoppen zu gehen – das würden die dort nicht ernst nehmen. Es braucht also jemanden, der das übernimmt. Die Europäische Union versucht, alles zu regulieren und zu fördern, hat aber noch nie einen neuen Markt gemacht. Sie gehen immer von einem reifen Markt aus, das ist aber ein neuer Markt. Die Energiemärkte funktionieren anders: Katar hat die Gasproduktion erst erhöht, nachdem die Verträge mit China und anderen Konsumenten abgeschlossen waren und die Schiffe geordert waren. Erst dann haben sie zu bohren begonnen. Im Energiemarkt will man Sicherheiten und niemand ist bereit, ein Risiko einzugehen. Wir haben aber das Problem, dass wir manchmal von Träumern regiert werden, die zu wenig realistisch und pragmatisch an das Thema herangehen. Wir haben uns schon mit den Sanktionen gegen Russland in das eigene Knie geschossen, weil man zuvor die Auswirkungen zu wenig bedacht hat. Man hat uns erklärt, dass die Energiesanktionen den Krieg rasch beenden werden. Russland ist aber bisher nur teilweise ein Verlierer und die Energiesanktionen hatten nicht den erhofften Effekt, weil viele Länder in der ganzen Welt dabei nicht mitmachen. So wie die Sanktionen konzipiert sind, werden sie möglicherweise bestehen bleiben, auch wenn der Krieg zu Ende ist, weil es nicht nur um die Ukraine geht. Es geht um eine Neuordnung der Energieströme und für uns ist das dann problematisch, wenn wir dadurch höhere Preise haben.  

Wir haben das Problem, dass wir manchmal von Träumern regiert werden, die zu wenig realistisch und pragmatisch an das Thema herangehen.

Johannes Benigni

Die Diskussion um die Merit Order ist scheinbar eingeschlafen. Sollten wir die Gaspreise von den Strompreisen entkoppeln?

Hätten wir am Höhepunkt der Krise den hohen Gaspreis in der Stromproduktion subventioniert, wie in Spanien und Portugal, hätten wir uns diese sehr hohe Inflation erspart. Die nächsten Jahre wird der Strommarkt einer starken Transformation unterliegen und die Abhängigkeiten steigen. Wir sollten uns gut darauf vorbereiten, denn für Zeiten der Dunkelflaute braucht es mehr Wasserkraft und einstweilen noch Gaskraftwerke zur Deckung der Stromversorgung.

Über Johannes Benigni

Johannes Benigni ist Gründer von JBC Vienna und Mitbegründer von ComFin Software, JBC Energy und PVM Data Services. Nach einem Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien begann er seine im Energiebereich, wo er sich ursprünglich mit dem Rohstoffhandel und der Vermittlung von Öl, Erdgas und Strom beschäftigte. Anschließend spezialisierte er sich auf Research- und Beratungsdienstleistungen für große Energieunternehmen im Upstream-, Mid- und Downstream-Geschäft.