Gabriel Felbermayr, Laura Raggl, Helmut Bernkopf und Igor Sekardi © beigestellt/Montage: Selektiv
Gabriel Felbermayr, Laura Raggl, Helmut Bernkopf und Igor Sekardi © beigestellt/Montage: Selektiv
Österreich

Exporte & Startups: Das halten Experten vom Regierungsprogramm

Fünf Monate nach der Wahl legen ÖVP, SPÖ und Neos ihr Regierungsprogramm vor. Auf 211 Seiten unter dem Titel „Jetzt das Richtige tun. Für Österreich“ finden sich Ideen von drei teilweise sehr unterschiedlichen Parteien. Selektiv hat Experten gebeten, sich das Programm in den Bereichen Außenhandel und Startups näher anzusehen und einzuordnen.

Wie plant die neue Regierung, Österreichs Erfolge bei Exporten und Startups zu sichern und auszubauen? „Verbesserter Marktzugang im Ausland, günstigere und sichere Beschaffung von Rohstoffen oder Vorprodukten – dafür gibt es geeignete Instrumente: Freihandelsabkommen. Das Wort taucht allerdings im Regierungsprogramm nicht ein einziges Mal auf“, meint Wifo-Chef Gabriel Felbermayr. Es gibt keine Positionierung zu Abkommen mit den Mercosur-Ländern, Indien oder Indonesien. „Handelshemmnisse müssen abgebaut werden und Unternehmen rasch Zugang zu neuen Märkten erhalten“ betont auch Igor Sekardi von der Industriellenvereinigung. Immerhin: „Positiv hervorzuheben ist das klare Bekenntnis zu einer starken Europäischen Union und der Vertiefung und Vollendung des Binnenmarkts“, so Kontrollbank-Vorstand Helmut Bernkopf. Die Startup-Szene freut sich, dass ein Dachfonds für Risikokapital wieder auf der Agenda steht, allerdings: „Enttäuschend ist das Fehlen eines Beteiligungsfreibetrages“, meint Investorin und Startup-Rätin Laura Raggl.

Es folgt in dieser Serie noch eine weitere Analysen zu den Themen Infrastruktur & Verkehr. Die Experten-Analyse zum Thema „Steuern & Finanzen“ finden Sie hier, jene zu „Arbeit & Soziales“ hier und zu Klima & Energie hier.

„Wo ist der Außenhandel im Regierungsabkommen?“ – Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (Wifo)

„Österreich ist ein Exportland.“ Dieses Bekenntnis steht klar und deutlich im Regierungsabkommen. In der Tat sind 30 Prozent der heimischen Wertschöpfung vom Export getrieben (nicht 50 Prozent oder gar mehr, wie oft behauptet wird, denn die Exporte enthalten hohe Anteile ausländischer Wertschöpfung).

Österreich ist also ein Exportland. Es ist auch ein Importland. Das ist für eine kleine, offene Volkswirtschaft normal. Die neue Regierung will die Diversifizierung der Beschaffungsquellen erhöhen. In einer unsicher gewordenen Welt ist das sinnvoll.

Verbesserter Marktzugang im Ausland, günstigere und sichere Beschaffung von Rohstoffen oder Vorprodukten – dafür gibt es geeignete Instrumente: Freihandelsabkommen. Das Wort taucht allerdings im Regierungsprogramm nicht ein einziges Mal auf. Stattdessen will man sich für „faire“ Handelsabkommen der EU einsetzen. Was darunter zu verstehen ist, bleibt unklar. Sehr häufig, das zeigt die jüngere Vergangenheit, wird das, was wir uns in der EU als „fair“ vorstellen, bei unseren Handelspartnern außerhalb der EU als genau das Gegenteil verstanden, nämlich als protektionistisch. Den Koalitionären dürfte das über 25 Jahre ausverhandelte Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten wohl nicht fair genug sein, sonst hätten sie die Ratifizierung vereinbart. Diese fehlt jedoch. Ebenso gibt es keine Positionierung zu den anderen laufenden Verhandlungen der EU, etwa mit Indien oder Indonesien. Österreich hat die Investitionsschutzabkommen mit Singapur und Vietnam im Unterschied zur Mehrzahl der EU-Mitglieder noch nicht ratifiziert. Auch hier: keine Festlegung. So hilft man der Exportwirtschaft und den guten Industriejobs nicht.

Das Regierungsprogramm enthält ein klares Bekenntnis zu freiem Handel innerhalb der EU. Man will für die Vollendung eintreten und dessen Weiterentwicklung aktiv mitgestalten. Bestehende Barrieren entlang der Grundfreiheiten sollen beseitigt werden. Vor allem Energie, Rohstoffe und Kapitalmarkt werden hervorgehoben. Etwa 70 Prozent der österreichischen Exporte von Gütern und Dienstleistungen gehen in den EU-Binnenmarkt. Dort gibt es, das zeigen zahlreiche Studien, immer noch erhebliche Barrieren. Daher liegt eine Vertiefung des Binnenmarktes im ureigensten österreichischen Interesse. An einigen Punkten wird die neue Bundesregierung auch konkret: etwa bei der besseren Anerkennung von Berufsabschlüssen im Binnenmarkt, bei der Portabilität von Sozialleistungen, beim Roaming im Ladenetz für E-Fahrzeuge oder bei der Quellensteuerrückerstattung bei grenzüberschreitenden Veranlagungen. Außerdem tritt die neue Bundesregierung für den Beitritt der Westbalkanländer in die EU ein. Das ist positiv.

Fazit: Die neue Bundesregierung sieht Freihandel eher skeptisch, tritt aber für eine Stärkung des Binnenmarktes ein. Um dem Exportland Österreich wieder zu Exporterfolgen zu helfen, braucht es allerdings eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Diese wird zwar im Regierungsprogramm umfassend beschworen, was konkret aber zur Absenkung der aus dem Ruder gelaufenen Kosten getan werden soll, bleibt vage oder steht unter Finanzierungsvorbehalt.

„Trumps-Zollpolitik könnte sich als Eisbrecher erweisen“– Helmut Bernkopf, Vorstand der Österreichischen Kontrollbank

Der Wirtschaftsstandort Österreich und unsere Exportwirtschaft stehen angesichts der zunehmenden geopolitischen Verwerfungen, der Konjunkturschwäche in Europa und strukturellen Problemen vor großen Herausforderungen. Es ist erfreulich, dass die neue Regierung den Ernst der Situation erkannt hat und im Regierungsprogramm auch die richtigen Punkte adressiert, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts wieder zu stärken – sei es die Senkung der Lohnnebenkosten, der Bürokratieabbau, Netzausbau oder auch die Steigerung der Forschungsquote. Bei der Umsetzung der Maßnahmen würde ich mir, bei allem Verständnis für die budgetäre Situation und den Konsolidierungsbedarf, mehr Tempo wünschen. Es braucht dringend Entlastungen, um wieder Wachstum zu ermöglichen. Die bis zum Jahresende angekündigte nationale Industriestrategie muss jedenfalls möglichst rasch vorgestellt werden, um den Unternehmen die notwendige Planungssicherheit zu geben. Positiv anzumerken ist, dass das Regierungsprogramm – gleich an mehreren Stellen – einen Ausbau von budgetneutralen Förderinstrumenten vorsieht.

Das Thema Außenhandelspolitik wird im Regierungsprogramm nicht in dem Ausmaß behandelt, wie es für eine Exportnation eigentlich angebracht und im Hinblick auf die zunehmenden protektionistischen Tendenzen auch notwendig wäre. Positiv hervorzuheben ist zunächst das klare Bekenntnis zu einer starken Europäischen Union und der Vertiefung und Vollendung des Binnenmarkts, sowie die Unterstützung von Initiativen zur Weiterentwicklung der WTO. Das Wort Freihandel findet sich im Programm hingegen nur ein einziges Mal: Dieser soll bei gleichzeitiger Sicherstellung, dass Handelsabkommen mit internationalen Partnern soziale und ökologische Standards einhalten, gefördert werden. An anderer Stelle lässt jedoch die explizite Erwähnung von EU-Qualitäts- u. Produktstandards als notwendige Voraussetzung für eine Agrarmarktöffnung im Hinblick auf das so wichtige Mercosur-Abkommen wenig Optimismus aufkommen. Das ist besonders in der aktuellen Situation, in der sich die USA als wichtigster Handelspartner der EU zunehmend abschottet, das falsche Signal. Die EU und Österreich müssen alles daransetzten, internationale Kooperationen mit anderen Handelsblöcken zügig auszubauen – und dabei könnte sich gerade Trumps-Zollpolitik als Eisbrecher erweisen.

„Enttäuschend ist das Fehlen eines Beteiligungsfreibetrages“– Laura Raggl, Investorin (ROI Ventures) und Mitglied im Startup-Rat der Bundesregierung

Die neue Regierung setzt klar auf Einsparungen. Österreich braucht aber mehr – es braucht Wirtschaftswachstum. Startups spielen dabei eine Schlüsselrolle: Sie wachsen schneller als klassische Unternehmen und schaffen eine überproportional hohe Wertschöpfung. Dafür müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden. Es reicht nicht, vage Punkte ins Regierungsprogramm zu schreiben – entscheidend ist die konsequente Umsetzung, insbesondere bei der Verfügbarkeit von Risikokapital.

Positiv ist, dass der Dachfonds wieder auf der Agenda steht. Hier wurde bereits viel Vorarbeit von der Community und auch von der alten Regierung geleistet und es ist zu hoffen, dass dies auch der große Wurf für die Startup-Szene wird. Bei der Ausgestaltung von FlexCo wurden einige Kompromisse geschlossen, die nun verbessert werden könnten. Insbesondere die Punkte “deutlich beschleunigte und rein digitale Gründung” und “Evaluierung der Notwendigkeit der notariellen Beurkundung” gehen in die richtige Richtung. Evaluiert ist hier bereits genug geworden, der Fokus auf die bestmögliche Lösung für Gründerinnen und Gründer wäre wünschenswert.  Das “Aktivierungswahlrecht für selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte” hilft Startups und KMUs, ihre Bilanzen zu stärken und attraktiver für Investoren zu werden.

Besonders enttäuschend ist das Fehlen eines Beteiligungsfreibetrages, hier hat bereits in den letzten Jahren das rote Lager wenig Verständnis für die Wichtigkeit dieser Maßnahme gezeigt. Ohne Startkapital von privaten Investorinnen und Investoren wird es allerdings schwierig sein, dass eine Vielzahl von Unternehmen auch erfolgreich gestartet werden können. Die dringend notwendige Senkung der Lohnnebenkosten, die gerade für junge Unternehmen eine große Hürde darstellt, wurde nicht fixiert, sondern nur vage als „abhängig von der Budgetsituation“ angekündigt.

Mit Elisabeth Zehetner als Staatssekretärin kommt eine engagierte Stimme ins Wirtschaftsministerium, die sich bereits intensiv mit den Anliegen der Startup-Szene auseinandergesetzt hat. Jetzt gilt es, den Druck aufrechtzuerhalten, damit Österreich als potentieller Innovations- und Gründungsstandort nicht weiter an Boden verliert.

„Handelsabkommen sollten nicht durch Partikularinteressen überfrachtet werden“ – Igor Sekardi, Bereichsleiter Internationale Beziehungen & Märkte bei der Industriellenvereinigung

Positiv hervorzuheben ist, dass die neue Bundesregierung die Bedeutung der Erschließung neuer Wachstumsmärkte erkannt hat. Mit 1,2 Millionen heimischen Arbeitsplätzen und 25 Prozent aller Steuereinnahmen, die durch Exporte gesichert werden, ist Österreich eine besonders international ausgerichtete Volkswirtschaft und Gesellschaft. Die zunehmenden protektionistischen Maßnahmen, wie auch durch die neue US-Regierung angekündigt, die Konjunkturschwäche in Europa sowie geopolitischen Spannungen erzeugen daher umso mehr die Notwendigkeit, neue Märkte zu öffnen und bestmöglichen Zugang für europäische und österreichische Betriebe sicherzustellen.

Handelsabkommen werden im Regierungsprogramm als Instrument hierzu genannt. Auch wenn Details beziehungsweise konkrete Abkommen (v.a. Mercosur) leider unerwähnt bleiben, ist dieses Bekenntnis grundsätzlich positiv zu bewerten. Die geplante Forcierung von Haftungen, Krediten und Exportgarantien bleibt zwar ebenfalls Details schuldig, ist jedoch prinzipiell begrüßenswert, da die Produkte der OeKB eine wesentliche Unterstützung für die exportorientierte Industrie darstellen. Auch weitere wichtige Aspekte, wie das Bekenntnis zu einer klaren EU-Beitrittsperspektiven für die Westbalkanstaaten sind vor dem Hintergrund der strategischen Bedeutung der Region für Österreich und Europa, positiv. Die geplante Einsetzung eines österreichischen Ukraine-Wiederaufbau-Koordinators ist in dem Kontext ebenso zu begrüßen wie die geplante Umsetzung des Global-Entry-Programms für vereinfachte Geschäftsreisen in die USA.

Erst in der Praxis wird die Ernsthaftigkeit der Bekenntnisse erkannt werden.

Durchaus kritisch ist jedoch hervorzuheben, dass im Regierungsprogramm die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten und Quoten für sensible Produkte in Handelsabkommen erwähnt werden. EU-Handelsabkommen sollten nicht durch Partikularinteressen überfrachtet werden, da es sonst zunehmend schwieriger wird Abkommen auch zum Abschluss zu bringen. Gerade jetzt darf keine Zeit verspielt werden – Handelshemmnisse müssen abgebaut werden und Unternehmen rasch Zugang zu neuen Märkten erhalten. Auch die geplante Verschärfung von Kontrollen drittstaatlicher Investitionen in Österreich birgt protektionistische Gefahren in sich – werden doch mehr als 262.000 heimischer Arbeitsplätze durch Investitionen ausländischer Unternehmen gesichert. Auch fehlt ein Bekenntnis zum Abschluss neuer Investitionsschutzabkommen – eine tendenziell gerade in diesen volatilen Zeiten sehr sinnvolle Maßnahme.

Insgesamt muss festgestellt werden, dass es durchaus positive Ansätze gibt, allerdings auch bei diesen zum Teil Details offen sind und in der Praxis erst die Ernsthaftigkeit der Bekenntnisse erkannt werden wird (z.B. etwaige Zustimmung der Bundesregierung zu neuen gut gemachten Handelsabkommen wie EU-Mercosur).

Es folgt in dieser Serie noch eine weitere Analysen zu den Themen Infrastruktur & Verkehr. Die Experten-Analyse zum Thema „Steuern & Finanzen“ finden Sie hier, jene zu „Arbeit & Soziales“ hier und zu Klima & Energie hier.