Günter Pauritsch ist Energieexperte bei der Österreichischen Energieagentur © AEA
Günter Pauritsch ist Energieexperte bei der Österreichischen Energieagentur © AEA
Interview

Energieexperte: AKW wieder einzuschalten „völlig an den Haaren herbeigezogen“

Günter Pauritsch leitet bei der Österreichischen Energieagentur das Center für Energiewirtschaft und Infrastruktur und spricht im Interview mit Selektiv über die Auswirkungen der „Dunkelflauten“ in Deutschland auf Strompreise und Versorgungssicherheit. „In Österreich haben wir tausende Megawatt installierte Pumpspeicherkraftwerks-Kapazitäten. Für diese Betreiber ist eine solche Preissituation eigentlich ein hoch erfreulicher Aspekt – der Pumpspeicher fährt in wenigen Minuten hoch und kann Strom zu hohen Preisen absetzen“, sagt Pauritsch.

In den vergangenen Wochen gab es gleich zweimal eine Dunkelflaute in Deutschland. Windkraft und Photovoltaik haben zu wenig Strom produziert, Deutschland wurde vom Stromexporteur zum Importeur und am 12. Dezember lagen die Strompreise im Großhandel punktuell fast beim Zehnfachen vom üblichen Durchschnitt. Was ist da genau passiert und welche Auswirkungen sind zu beobachten?

Günter Pauritsch: Dabei handelt es sich um temporäre Auswirkungen der Veränderung des Stromsystems durch den Ausbau erneuerbarer Energieträger. Früher hatten wir ein klassisches System mit großen Grundlastkraftwerken – tendenziell Wärmekraftwerke – die im besten Fall 8.000 Stunden im Jahr konstant durchgefahren sind. Dann gab es Trapezlastkraftwerke und Spitzenlastkraftwerke. Nun dreht sich das System um – über weite Strecken des Jahres wird mit erneuerbarer Stromerzeugung sehr viel Bedarf abgedeckt und Wärmekraftwerke decken nur noch den Rest ab. Diese sogenannten Residuallasten können im Winter wetterbedingt auch über längere Zeit relativ groß sein. Ein System mit sehr hohen erneuerbaren Anteilen benötigt Wärmekraftwerke, die in der Lage sind, einzuspringen. Klassischerweise sind das noch immer fossil befeuerte Wärmekraftwerke. Langfristig sollten sie auf erneuerbares Gas umgestellt werden.

Am 12. Dezember haben in Deutschland aber punktuell 11 Gigawatt an Kraftwerksleistung gefehlt.

Momentan wird untersucht, was in Deutschland genau passiert ist. Das hat auch Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur auf den Plan gerufen, weil die Kraftwerkskapazitäten in Deutschland eigentlich ausreichend wären, um das abzudecken. Der Preissprung war außerdem extrem hoch – ein Mehrfaches der Grenzkosten von Gaskraftwerken. Es wäre also für jedes Gaskraftwerk rentabel gewesen, einzuspringen. Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur sehen sich nun anscheinend an, ob deutsche Kraftwerksbetreiber nicht Kapazitäten vorübergehend runtergefahren haben, um die Preise nach oben zu treiben und möglichst viel zu verdienen. Medien berichten bereits darüber, ob es nicht eine Art Marktmanipulation gegeben hat, die diese hohen Preise verursacht hat.

Der freie Markt ist schuld?

Freier Markt und Versorgungssicherheit müssen zusammenpassen. Wenn es so war, dass große Unternehmen am Markt sehr manipulativ tätig waren, dann braucht es regulatorische Maßnahmen, um gegenzusteuern. Grundsätzlich muss sich aber das Stromsystem auf einer systemischen Ebene ändern. Wir brauchen mehr Flexibilität und mehr Speicher im Stromsystem. Kurzfristige Speicher wie Batterien, aber auch langfristige Speicher, um elektrische Energie vom Sommer in den Winter zu bringen. Da kommen Power-to-Gas oder Wasserstoffelektrolyse ins Spiel. Außerdem braucht es einen ausgewogeneren Erneuerbaren-Ausbau mit mehr Gewicht auf Windkraft. Windkraft erzeugt im Winterhalbjahr tendenziell mehr und Photovoltaik umgekehrt. Aber es wird immer wieder Tage und vielleicht sogar Wochen geben, in denen ich nicht alles mit Wind und PV abdecken kann. Dann brauchen wir Speicher und Wärmekraftwerke mit erneuerbaren Gasen.

Haben auch energiepolitische Fehler zu dieser Situation der Dunkelflauten und Preisspitzen geführt? Hat man die Atomkraftwerke zu früh abgeschaltet?

Ich weiß nicht, ob man hier von energiepolitischen Fehlern sprechen kann. Es ist eine erwartbare Situation und die Kraftwerkskapazitäten in Deutschland reichen grundsätzlich aus. Man muss nur dafür sorgen, dass diese Kraftwerke auch tatsächlich einsatzbereit sind und nicht irgendeins vielleicht versucht, den Preis nach oben zu treiben. Die Abschaltung der Atomkraftwerke wurde in Deutschland 20 Jahre lang vorbereitet. Es waren zudem klassische Grundlastkraftwerke, die man in einem System mit Residuallast nicht mehr benötigt. Die Diskussion in Deutschland, diese Kraftwerke wieder einzuschalten, ist völlig an den Haaren herbeigezogen. Selbst die Eigentümer der Kraftwerke sagen, dass man die nicht einfach wieder in Betrieb nehmen kann. Außerdem gibt es das Personal nicht – in Deutschland hat aufgrund der Atomausstiegsstrategie seit 20 Jahren niemand mehr Nukleartechnik studiert. Selbst wenn man in Deutschland jetzt den Gegentrend einleiten würde, würde es zehn bis 20 Jahre dauern, bis das wieder läuft. Die Zeit hat man in der Energiewende nicht.

Rechnen Sie damit, dass es jetzt häufiger Dunkelflauten geben könnte? Was bedeutet es für Europa, wenn die größte Volkswirtschaft mit Dunkelflauten konfrontiert ist?

Je mehr Wind wir haben, desto weniger intensiv werden diese Phasen sein. Generell wird aber ein Stromsystem mit hohen erneuerbaren Anteilen unterschiedliche Preisniveaus je Jahreszeit haben. Das heißt, dass Strom im Sommerhalbjahr deutlich billiger sein wird als im Winterhalbjahr. In Österreich hatten wir heuer auch bereits sehr billige Stromphasen – im Sommer sogar teilweise negative Strompreise. Preisspitzen wie in Deutschland würde ich nicht überdramatisieren, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass nur ein relativ geringer Anteil des gesamten Strombedarfs über die Börse gehandelt wird.

Wer ist von solchen punktuellen Preisspitzen betroffen?

Einerseits Stromhändler und Stromversorger, die kurzfristig an der Börse kaufen und vielleicht manche großen Industriebetriebe. Es gibt in der Beschaffung aber entsprechende Hedging-Strategien, um mit diesem Risiko umzugehen.

Was bedeutet so eine Situation in Deutschland für Österreich?

In Österreich haben wir tausende Megawatt installierte Pumpspeicherkraftwerks-Kapazitäten. Für diese Betreiber ist eine solche Preissituation eigentlich ein hoch erfreulicher Aspekt – der Pumpspeicher fährt in wenigen Minuten hoch und kann Strom zu hohen Preisen absetzen. Das ist ein Asset, das für den Strommarkt in Österreich und Deutschland von großer Bedeutung ist. Die österreichischen Pumpspeicherkraftwerke sind immer schon für den deutschen Markt mitbetrieben worden und können in solchen Situationen wirtschaftlich gut reüssieren.

Ist eine Dunkelflaute auch in Österreich möglich und welche Konsequenzen hätte sie?

Wir haben natürlich auch Phasen, in denen wir nicht in der Lage sind, alles mit erneuerbaren Energieträgern abzudecken. Wir haben aber Gaskraftwerke, auch im Winter einiges an Wasserkraft und den Vorteil der Pumpspeicherkraftwerke. Preisaufschläge treffen natürlich auch Österreich, aber die Versorgungssicherheit ist nicht gefährdet. Kunden müssen aber auf Preissignale reagieren – gerade in der Industrie kann es sein, dass man bei einem bestimmten Preisniveau auf andere Energieträger umsteigt oder die Produktion kurzfristig einschränkt.

Im Norden Europas hat die Dunkelflaute mit den fehlenden Kraftwerkskapazitäten für einiges an Unmut gesorgt. Aus Schweden kamen da teils sehr harte Reaktionen. Warum ist man dort weniger entspannt?

Das ist ein Marktthema. Wenn ich in Schweden kurzfristig Strom anbiete und sehe, dass das Preisniveau in Deutschland höher ist, dann werde ich den Strom lieber nach Deutschland verkaufen. Das hat in Südschweden die Preise erhöht.