Mario Draghi überreicht seinen Report EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen © European Union, 2024
Mario Draghi überreicht seinen Report EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen © European Union, 2024
Hintergrund

Draghi-Report: Das steht in dem Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU

Mario Draghi war von November 2011 bis 31. Oktober 2019 Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) bevor er 2021 Premierminister in Italien wurde. Als EZB-Chef wurde er bekannt als „Retter des Euro“ in der Finanzkrise. Mehr als zehn Jahre nach seiner berühmten „What ever it takes“-Rede 2012 ist er nun zurück: Von der EU-Kommission erhielt er vor etwa einem Jahr den Auftrag, Lage und Maßnahmen zur Wettbewerbsfähigkeit der EU zu analysieren. Den entsprechenden Report – der zweite nach Enrico Lettas Binnenmarkts-Bericht im Frühjahr – hat er nun Anfang September mit einiger Verzögerung vorgelegt. In dem Report beziffert Draghi die notwendigen Investments zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Bewältigung der digitalen und grünen Transformation mit 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr. Das sei mehr als doppelt so viel, wie notwendig war, um Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufzubauen. Der Report soll laut EU-Kommission Basis für einen „Clean Industrial Deal“ sein.

Mehr Innovation gegen sinkende Produktivität

In dem 328-seitigen Bericht geht es zunächst um eine Bestandsaufnahme. Die USA seien vergleichsweise attraktiver für Investitionen, weshalb Unternehmen dort jährlich um 700 Milliarden Euro mehr investieren als in Europa. Hürden seien vor allem der uneinheitliche Kapitalmarkt, viel Bürokratie und ein Mangel an Investitionsanreizen. Europa sei zudem „schwach“ aufgestellt, wenn es um die Entwicklung jener Technologien gehe, die künftig das Wachstum treiben – nur vier der 50 Top-Tech-Unternehmen weltweit kommen aus Europa, steht in dem Bericht. Zwischen 2008 und 2021 hat laut Report ein Drittel der europäischen „Unicorns“ (Startups mit Bewertung > 1 Mrd. Dollar) den Firmensitz verlegt – meistens in die USA. Gleichzeitig schrumpfe die erwerbsfähige Bevölkerung in der EU – um zwei Millionen Menschen pro Jahr bis 2040. Europa müsse dringend seine Innovationskraft stärken, um die derzeit sinkende Produktivität abzufangen.

Investments in grüne Technologien

Die Preise für Strom seien in Europa nach wie vor zwei- bis dreimal höher als in anderen Wirtschaftsräumen und die für Gas vier- bis fünfmal höher. Abhängigkeiten bei Energie, Rohstoffen und „sauberen“ Technologien“ für die Energiewende seien genauso problematisch, wie die staatlich subventionierte Billigkonkurrenz bei „clean tech“ aus China eine Herausforderung für die europäische Industrie darstellt. Die USA wird mit ihrem Inflation Reduction Act (IRA) laut Report zwischen 40 und 250 Milliarden Dollar an Förderungen für grüne Technologien bereitstellen und damit auch die Kostenlücke zwischen Herstellern aus den USA und Herstellern aus China ein Stück weit schließen. In der EU sei diese Unterstützung fünf- bis zehnmal geringer.

Maßnahmen

Als Lösung schlägt der Report eine neue Industrie-Strategie für Europa vor. Zu den zentralen Maßnahmen, die in dem Draghi-Bericht zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit empfohlen werden, gehören beispielsweise ein Fokus auf europäische Hersteller und Startups bei öffentlichen Aufträgen. Die öffentliche Beschaffung sei beispielsweise im Bereich Verteidigung in den vergangenen zwei Jahren zu 78 Prozent außerhalb der EU – vor allem in den USA – erfolgt. Eine gemeinsame Beschaffung schlägt der Bericht für Teile des Energiesektors vor – etwas für Flüssiggas (LNG). Im Umgang mit China empfiehlt der Report Zölle gegen Billigimporte und ein Screening von Direktivestitionen (FDI) auf europäischer Ebene (derzeit national).

Um die Bürokratie einzudämmen, sollen die Berichtspflichten wie bereits angekündigt um 25 Prozent gesenkt werden und für kleinere und mittlere Unternehmen sogar um 50 Prozent. Um die Finanzierung zu stärken, plädiert der Report zudem für eine gemeinsame Schuldenaufnahme der EU-Länder. Detail-Empfehlungen und Hintergrundanalysen gibt es zu insgesamt zehn Sektoren: Energie, Rohstoffe, Digitalisierung, Breitband, AI, Halbleiter, Energie-intensive Industrie, Clean Tech, Automotive, Verteidigung, Space, Pharma und Transport.